Mit acht Milliarden Euro jährlichen Gebühreneinnahmen im Rücken können die Öffentlich-Rechtlichen auch im Internet viel bewegen. Ein fairer Wettbewerb mit privaten Anbietern ist das nicht.
Eine Einschätzung von Chefredakteur Joachim Türk
Je älter der Streit, desto absurder die Argumente. Wie dieses: Internet ist Rundfunk. Damit haben ARD und ZDF einen argumentatorischen Tiefpunkt erreicht in der Auseinandersetzung darüber, was die mit unseren Gebühren (und demnächst der Haushaltsabgabe) finanzierten Sender online treiben. Die Debatte konzentriert sich auf die Frage, ob Geld vom komfortablen Gebührenkonto dazu dienen darf, private Wettbewerber zu verdrängen – vor allem Zeitungen und Magazine.
Das Internet ist eine heiß umkämpfte Welt – hier treffen alle traditionellen Medien als Konkurrenten aufeinander: Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen. Und sie stoßen auf neue Marktteilnehmer, die Blogs schreiben, in sozialen Netzwerken publizieren, Waren und Dienstleistungen anpreisen und mit Informationsangeboten Kunden locken.
Nur langsam und mit erheblichem Aufwand entwickeln sich erste kostenpflichtige verlegerische Angebote. Dem Bestreben, Qualitätsnachrichten auch online rentabel zu veröffentlichen, stehen nämlich etliche Hindernisse entgegen: Das Netz entwickelt sich unglaublich dynamisch, heute gefeierte Plätze können morgen verwaist, aktuelle Programme und Endgeräte veraltet sein; noch immer hat das Internet den Charakter eines Gratismediums, und vor allem Informationen werden rigoros kopiert, „schwarz“ verbreitet und vermarktet.
Dass sich jetzt auch noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem Segen seiner Aufseher im Netz festsetzt, muss also auf erheblichen Widerstand treffen. Hier tritt ein Konkurrent auf, der jährlich acht Milliarden Euro ausgeben kann, und dessen Existenz der Staat schützt (der im Gegenzug über diverse durch Politiker besetzte Gremien seinen Einfluss geltend macht – und nicht nur bei der Besetzung von Chefredakteurs-Posten wie jüngst beim ZDF).
Dem zunehmenden Widerstand der Zeitungen und Zeitschriften setzen die Öffentlich-Rechtlichen eine Flut von Gutachten entgegen. Ihren Höhepunkt erreichte diese Flut beim Drei-Stufen-Test, dem alle Angebote unterzogen wurden, um festzustellen, ob sie einen gesellschaftlichen Mehrwert haben, ob die Auswirkungen auf den Wettbewerb erträglich sind, wie es um die Finanzierbarkeit bestellt ist. Die Gutachter wurden von den Sendern beauftragt und bezahlt, die Ergebnisse von der „Familie“ der Rundfunkräte bewertet – das Ergebnis war vorhersehbar: Alle Angebote sind in Ordnung – sogar „tagesschau.de“. Nur die Archive werden abgespeckt.
Auftrag großzügig ausgelegt
Für ARD und ZDF ist das eine willkommene Bestätigung ihres Expansionskurses, mit absehbaren Folgen. Die staatlichen Medien werden den privaten, kommerziellen Anbietern im Internet einen verzerrten Wettbewerb liefern. Nach der glatten Genehmigung ihrer 37 „Telemedienkonzepte“ werden sie ihren staatlichen Auftrag sehr großzügig auslegen – mit regionalen Nachrichten in Text und Bild, Börsentickern und Apps für mobile Telefone. Erlaubt sind den Öffentlich-Rechtlichen eigentlich nur Inhalte mit Bezug zu Sendungen, und sie dürfen nicht „presseähnlich“ sein.
Das würde auch völlig ausreichen. Schließlich herrscht im Internet kein Mangel an seriösen Informationen – schon gar nicht an einer staatlich garantierten „Grundversorgung“. Keine Bevölkerungsgruppe ist ausgegrenzt, jeder kann aus dem Vollen schöpfen. Dass der Staat neben Verlagen und Agenturen für zusätzliche Angebote sorgt, ist völlig überflüssig. Und teuer. Einige Hundert Millionen Euro sind schon in deren Aufbau geflossen – mit dem Freifahrtschein in der Hand und der künftigen Haushaltsabgabe für Radio und Fernsehen vor Augen werden die Sender nicht bescheidener.
Zumindest nicht freiwillig. Deshalb drohen die Verleger mit einer Klage vor der EU-Kommission. Aber vorher sollen Gespräche geführt werden mit den eigentlich für das Durcheinander Verantwortlichen: den Ministerpräsidenten der Länder, die für Rundfunkpolitik in Deutschland zuständig sind.
Sie können per Staatsvertrag eindeutig regeln, was der Staatsfunk darf. Und was nicht. Und wofür die per Umlage garantierten Milliarden ausgegeben werden dürfen – warum nicht für mehr Programmqualität, TV im Netz und mobil? Im Zeitalter des Web 2.0 taugen Begriffe wie „presseähnlich“ als Abgrenzung zwischen den Medien offenkundig nicht. Ob deutlichere Worte gefunden, ARD und ZDF wieder zurückgepfiffen werden?
Fall für die EU-Kommission
Damit ist kaum zu rechnen. Staatskanzleien und Staatssender sind eng miteinander verbunden – wenn auch nicht immer freundschaftlich. Den Einfluss – der vorhanden ist, auch wenn er unterschiedlich genutzt wird – lassen sich die Politiker nicht streitig machen. Und wenn er bis ins weltweite Internet reicht – umso besser. Deshalb kommt ihnen die Einschätzung des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gerade recht. Der kommt im Auftrag der ARD zu dem Schluss, dass alle Informationsangebote online gleichzeitig Rundfunk sind – es sei denn, sie entsprechen exakt einer Zeitung.
Dann sollen sich also Bild.de, Spiegel online und Rhein-Zeitung.de bald um Rundfunklizenzen bemühen und sich staatlicher Aufsicht unterordnen? Staatsfernsehen, Staatsinternet? Staatspresse durch die Hintertür? Wenn die Politiker diesen Irrweg nicht beenden, muss es wohl die EU-Kommission tun.