Als Bratic vor rund einem Vierteljahrhundert im Publikum saß und die nur durch Reifenstapel und Kiesbett von dem Asphalt getrennten Bilderjäger mit den riesigen Objektiven sah, sagte er sich: „Da komme ich auch einmal hin.“ Nun wusste der begeisterte Motorsport-Fan damals noch nicht, dass der Weg von der Tribüne an den Streckenrand doch einigermaßen steinig ist. Es war und ist heute noch ein elitärer Kreis an Fotografen, der eine Akkreditierung für die Rennen erhält. Mit der nötigen Portion Zielstrebigkeit, etwas Rückendeckung durch die richtigen Kontakte und dem ersehnten ersten Redaktionsauftrag einer Zeitung, der die Eintrittskarte zur Formel-1-Premiere an der Kamera sein sollte, erreichte er sein großes Ziel. Beim Nürburgring-Rennen 1996, wo Jacques Villeneuve ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Sieg gegen Michael Schumacher für sich entschied, gab der gebürtige Bosnier sein Debüt. „Die haben gesehen, der Bratic kann sich an der Strecke benehmen und liefert entsprechende Arbeit ab“, schmunzelt der freiberufliche Profi-Fotograf heute.
„Es darf keine Routine einkehren“
Von Einsatz zu Einsatz wuchs die Erfahrung, von Einsatz zu Einsatz knüpfte er neue Kontakte, von Einsatz zu Einsatz behielt er seine Begeisterung. „Jedes Rennen ist und bleibt etwas Besonderes. Es darf keine Routine einkehren, sonst wird es gefährlich“, erklärt der 52-Jährige seine erfolgreiche Einstellung.
Um die 120 Fotografen erhielten in der Zeit vor der Corona-Pandemie eine der begehrten Akkreditierungen. Aktuell dürfen pro Rennen nur rund 35 dabei sein. Hasan Bratic zählt trotz der begrenzten Kapazitäten dazu. Er war bei den Testfahrten und dem Saisonauftakt in Bahrain vor Ort, fotografierte bei den Rennen in Imola, Portimao, Barcelona und zuletzt beim Klassiker schlechthin im Leitplanken-Dschungel des Stadtkurses von Monaco. Bratic erhält seitens des internationalen Motorsport-Dachverbandes FIA den Zuschlag, weil er sich einen Namen gemacht hat. Seine Bilder sind gefragt. Bratic hat seinen eigenen Stil entwickelt. Er setzt auf individuelle Motive – das Außergewöhnliche mit dem Blick fürs Detail. Nichts von der Stange. „Die klassischen Agenturfotografen müssen abdrücken, abdrücken, abdrücken. Ich versuche andere, besondere Sachen einzufangen. Der Mix macht es. Im Endeffekt muss sich das Bild auch verkaufen lassen“, sagt er.
Die klassischen Motive von der Start-Ziel-Geraden oder den bei der Siegerehrung ausgelassen mit Champagner um sich spritzenden Top-Drei gehören nicht zum üblichen Portfolio Bratics, weil: „Wenn 100 Fotografen vor dem Podium stehen, muss ich nicht als 101. noch dabei sein. Ich suche mir häufig Positionen an der Strecke, wo sich sonst kein anderer Fotograf befindet.“ Das Gespür für die richtige Kurve bescherte Fotos, die sonst niemand hat. Bratics Spezialität: die spektakulären Kollisionen. In der Branche heißt es inzwischen, wenn jemand den Unfall „im Kasten“ hat, dann Hasan Bratic, der in der Szene deshalb den Namen „Mr. Crash“ besitzt. Nur an Glück und Zufall liegt das nicht. Der Westerwälder besitzt ein Händchen für den geeigneten Schauplatz („Man kann sich sein Glück erarbeiten“) und im Gegensatz zu vielen anderen Fotografen-Kollegen, die sich 10 bis 15 Runden vor dem Rennende auf den Weg in Richtung Siegerpodium begeben, hält Bratic „draußen“ die Stellung. „Ich arbeite für keine Agentur, die die Bilder verlangt, sondern bin mein eigener Herr“, erklärt er. „Ich kann meine Freiheiten ausleben. Das habe ich früher, als ich noch für einige Agenturen fotografiert habe, etwas vermisst.“
20.000 Fotos pro Wochenende
Bratic hat im Formel-1-Zirkus seine Nischen gefunden. Er fotografiert auch, aber nicht nur für große Zeitungen. Viele Teamsponsoren, die Teams selbst und ihr Marketing sowie zahlreiche Internetportale zählen zu den festen Kunden. Weil ein Motorsport-Wochenende mehr als die Königsklasse ist und auch die kleineren Rahmenrennen in Szene gesetzt werden wollen, kommt da im Laufe von vier Tagen an der Strecke einiges zusammen. In der Regel kehrt der Fotograf mit 20.000 Bildern von einem Wochenende zurück. „Ich versende an jedem Veranstaltungstag ungefähr 200 Fotos. Zu Hause angekommen, sichte ich noch einmal alle und bereite die zeitlos verwendbaren Motive auf.“ Das nimmt Zeit in Anspruch. Zudem gehört auch noch die entsprechende Vorbereitung dazu. Welche Ehrengäste begrüßen die Teams? Absolviert ein Fahrer ein Jubiläumsrennen? Bratic setzt sich mit den Hintergrund-Informationen auseinander. „Der Motorsport ist meine Leidenschaft. Und ich glaube, das bringen auch meine Bilder zum Ausdruck.“
Sie transportieren die Dynamik. Oder wie es der Urheber selbst ausdrückt: „Der Betrachter soll nicht nur ein Auto auf Asphalt sehen. Die Geschwindigkeit muss wirken. Mich interessieren immer nur der Fahrer und das Auto. Sensations-Schnappschüsse sind nicht mein Ding. Seriöse Arbeit verschafft einem einen Namen in der Branche. Wer anders rangeht, ist schnell einmal verbrannt.“ Auf seiner Spur und mit der Erfahrung für den richtigen Moment fährt Hasan Bratic seit inzwischen 25 Jahren gut. So auch beim Großen Preis von Imola in diesem Jahr, als er den Unfall zwischen Valtteri Bottas und George Russell vor seiner Kamera hatte. „Die anderen Fotografen hatten die Tamburello-Kurve zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Aber ich habe gelernt, dass es sich auszahlt zu warten. Und als es gekracht hat, war ich eben immer noch da. Wie meistens eigentlich.“
Handball, Boxen, Triathlon
Die dröhnenden Motoren auf den Rennstrecken dieser Welt sind das Steckenpferd Hasan Bratics. Aber natürlich fühlt er sich auch in allen anderen Sportarten heimisch. Leichtathletik, Boxen, Triathlon, Eishockey, Handball – Bratic hatte schon alles vor der Linse. Noch genau erinnert er sich an den Boxkampf Arthur Abraham in Wetzlar gegen Edison Miranda, der dem Ex-Weltmeister den Kiefer brach. „Mein Oberteil war voller Blut“, blickt Bratic zurück. Das gehört dazu, mittendrin im Geschehen.
Auf der Rennstrecke, direkt am Rande des Boxrings oder natürlich auch im Fußballstadion – es muss etwas Packendes passieren, was die Bilder aus einem Augenblick in die Ewigkeit mitnehmen. Bratic: „Ich brauche die Action.“ Und die gibt es nach seinem Geschmack am meisten im Motorsport. „Dort habe ich mehr Möglichkeiten für ein besonderes Motiv. Beim Fußball hingegen kommt es ,nur‘ darauf an, im richtigen Moment da zu sein und auf den Auslöser zu drücken. Die Individualität der Bilder ist im Motorsport viel größer.“ In den Stadien, wo der Deutschen liebste Sportart betrieben wird, ist der Nentershausener trotzdem Stammgast. In der 3. Liga genauso wie in der Bundesliga und bei der Nationalmannschaft.
Auch auf lokaler Ebene auf den Sportplätzen im heimischen Westerwald? „Später irgendwann vielleicht auch das einmal.“ Davor hat „Mr. Crash“ aber in Melbourne, Monaco und Co. noch einiges vor mit der Formel 1. Denn auch nach 25 Jahren hinter der Kamera ist jedes Rennwochenende auf der Suche nach den besonderen Winkeln und Motiven noch etwas Besonderes.