Nach einer schmerzhaften Wembley-Schlappe muss Löw zwölf Tage zu früh in die Bundestrainer-Rente. Aggressive Engländer haben den Traum vom vierten deutschen EM-Titel abrupt zerstört und die einst glanzvolle Ära des Weltmeister-Trainers im EM-Achtelfinale beendet. „Wir hatten uns natürlich was anderes erhofft“, sagte Löw. „Im Moment ist bei allen Spielern Totenstille, alle Spieler sind maßlos enttäuscht.“ Routinier Toni Kroos bezeichnete das Aus als „sehr, sehr bitter“.
55 Jahre nach dem legendären WM-Endspiel von 1966 brauchten die „Three Lions“ kein historisch zweifelhaftes Lattentor, um die deutsche Nationalmannschaft erstmals wieder in einem entscheidenden Turnierspiel zu bezwingen. Löw hatte wieder einmal, als es schief lief im deutschen Spiel, keinen Plan B parat.
Raheem Sterling (75.) und Harry Kane mit seinem ersten EM-Treffer (86.) erzielten vor 41.973 euphorisierten Fans die Tore zum 2:0 (0:0) der Engländer gegen eine in der spannungsgeladenen Stimmung viel zu harmlose DFB-Elf. Für Rekordcoach Löw endet die DFB-Zeit nach fast 15 Jahren und 198 Länderspielen als Bundestrainer mit einer herben Enttäuschung. „Er hat eine klasse Ära geprägt. Dass es so zu Ende geht, ist natürlich schade und auch sehr traurig“, sagte Kapitän Manuel Neuer über den Ex-Bundestrainer.
Thomas Müller vergab in der 81. Minute bei einer der wenigen deutschen Tormöglichkeiten die große Chance auf den Ausgleich.
Schon Stunden vor der Partie feierten Fans rund um das Stadion eine feucht-fröhliche Party. Auf den Sitzen waren auch schwarz-rot-goldene Fahnen ausgelegt, die fast ausschließlich einheimischen Fans sangen, lärmten und zelebrierten in Corona-Zeiten eine ausgelassene EM-Sause. Seit November 2019 hatte die DFB-Auswahl wegen der Pandemie nicht mehr vor solch einer Kulisse gespielt.
In der Anfangsphase beflügelte dies die DFB-Elf. Leon Goretzka, der bei seinem ersten Startelf-Einsatz bei diesem Turnier wie erwartet Ilkay Gündogan (Schädelprellung) ersetzte, war nach einem feinen Pass von Müller kurz vor der Strafraumgrenze nur durch ein Foul zu stoppen (8.). Den Freistoß aus zentraler Position schoss Kai Havertz aber in die englische Mauer. Neben Goretzka war auch Havertz' Chelsea-Kollege Timo Werner neu in die Startelf gerückt. Der Angreifer hatte nach einer guten halben Stunde die beste Chance zur Führung, scheiterte aber an Keeper Jordan Pickford.
Zwischen den beiden Chancen und in der Viertelstunde vor der Halbzeit dominierten aber die Engländer. Die Deutschen verloren zu viele Zweikämpfe im Mittelfeld, die „Three Lions“ spielten aggressiver und erarbeiteten sich ein deutliches Übergewicht. Löw verschränkte die Arme. Löw winkte frustriert ab. Was er da auf dem heiligen Rasen sah, konnte ihm überhaupt nicht gefallen. Sinnbildlich dafür stand zu diesem Zeitpunkt Bayern-Profi Müller, der (zu) viel im leeren Raum rannte.
Joshua Kimmich beispielsweise war ständig in der Defensive gebunden und konnte offensiv kaum Akzente setzen. Dies gelang den Engländern am Anfang besser. Sterling scheiterte an Neuer (16.). Auch im Prestigeduell mit den Engländern hielt Löw an seiner Formation im 3-4-3 System fest. Sein Kollege Gareth Southgate änderte sein System und stellte in der Abwehr auf eine Dreierkette um, die wenige Minuten nach Wiederanpfiff fast bezwungen war.
Doch den großartigen Dropkick von Havertz lenkte Pickford reaktionsschnell über die Latte (48.). Wieder gehörte die Anfangsphase dem DFB-Team – wieder aber währte die Drangphase zu kurz. Stattdessen sorgten der starke Sterling und Kane mit seiner Turnierpremiere für das deutsche Aus.