Fluterschen. Detlef S. (49) zwang seine Töchter jahrelang zum Sex und verkaufte sie an fremde Männer – das Missbrauchsdrama von Fluterschen (Westerwald) sorgte bundesweit für Entsetzen: Wie konnte es zu dem Drama kommen? Haben Mitarbeiter des Kreisjugendamtes Altenkirchen Fehler gemacht?
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat diese Frage inzwischen verneint. Sie stellte das Ermittlungsverfahren gegen den Jugendamtsleiter ein. Gegen ihn hatten fünf Anzeigen wegen „unterlassener Hilfeleistung“ und „Begünstigung von sexuellen Handlungen mit Minderjährigen“ vorgelegen.
Jetzt überprüft nur noch Ex-Richter Karlheinz Held (64) den Fall Detlef S. Er arbeitete 25 Jahre lang am Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt. Im Februar beauftragte ihn der Altenkirchener Landrat Michael Lieber (CDU) damit, das Handeln des Jugendamts auf Fehler und Versäumnisse zu überprüfen.
Chronologisch sortiert
Unsere Zeitung hat bei Gutachter Held nachgefragt, wie weit er mit seiner Arbeit ist. Ergebnis: Er hat inzwischen 1800 Aktenseiten vom Kreis Altenkirchen und von der Staatsanwaltschaft Koblenz ausgewertet und chronologisch sortiert. Doch bis er seinen wohl mehrere Hundert Seiten umfassenden Abschlussbericht vorlegen kann, werden noch Monate vergehen. „Ich will alles sehr gründlich machen“, sagte er unserer Zeitung. „Aber ich werde auf jeden Fall noch 2011 fertig.“
Bis dahin wird er noch mit den Mitarbeitern des Jugendamtes sprechen, die mit der Familie S. betraut waren. Warum erst jetzt? „Bisher konnte ich nicht offen mit ihnen reden“, erklärt Held. „Ihnen drohte ja noch eine strafrechtliche Verfolgung durch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft.“ In den Gesprächen will er auch prüfen, welche Ausbildung die sozialpädagogische Familienhilfe hatte, die die Familie S. betreute.
Keine Unterlagen zu altem Fall
Außerdem will Held die Akten zu zwei Ermittlungsverfahren gegen Detlef S. auswerten – eines von 1998, eines von 2002. Er hat sie im April und Mai bei der Staatsanwaltschaft Koblenz angefordert. Doch bisher hat er sie nicht erhalten. Und das wird in Teilen auch so bleiben. Grund: Auf Anfrage unserer Zeitung teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass es heute keinerlei Unterlagen mehr zum Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 1998 gibt.
So kam es damals zu dem Verfahren: Die Stiefkinder von Detlef S. erzählten ihrem Onkel, dass ihr Stiefvater sie häufig grundlos schlägt. Darum erstattete der Onkel Strafanzeige. Doch als die Kinder zu den Vorwürfen befragt wurden, stritten sie alles ab – wohl aus Angst vor Detlef S. Die Ermittlungen wurden eingestellt, die Akten längst vernichtet. Die Unterlagen aus dem Jahr 2002 gibt es aber noch, so die Staatsanwaltschaft. Damals hatte das Kreisjugendamt Strafanzeige erstattet, weil ein Stiefsohn von Detlef S. behauptet hatte, dieser habe seine Töchter missbraucht. Es war das erste Mal, dass ein Missbrauchsvorwurf gegen Detlef S. publik wurde. Doch das Verfahren wurde Anfang 2003 eingestellt, weil die Töchter die Übergriffe in Abrede stellten oder dazu schwiegen.
Das Landgericht Koblenz verurteilte Detlef S. im März wegen hundertfachen Kindesmissbrauchs zu 14,5 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung. Er hatte seine Töchter jahrelang missbraucht und zur Prostitution gezwungen. Mit seiner Stieftochter zeugte er acht Kinder.
Von unserem Redakteur Hartmut Wagner