Mainz – Der Rekordversuch ist gescheitert. Auch der FSV Mainz 05 hat es nicht geschafft, als erster Klub im 48. Jahr Bundesliga mit acht Siegen in eine Saison zu starten. Die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel unterlag im ausverkauften Bruchwegstadion dem Hamburger SV mit 0:1 (0:0). Die Entscheidung in einer dramatischen und für die Zuschauer hochklassigen Partie fiel eine Minute vor dem Abpfiff.
Das Mainzer Publikum bewies wieder einmal ein glänzendes Gespür für einen besonderen Moment. Nach sieben Startsiegen war am Bruchweg Trauer über den gescheiterten Rekordversuch unangebracht. Die Fans würdigten die prächtige Saisonleistung des FSV Mainz 05 nach dem Schlusspfiff mit aufmunternden Sprechchören. Rhythmisches Klatschen. Gesänge. „Wir sind stolz auf unser Team, Halleluja!“, tönte es durch das Stadion. Verbunden mit dem Blick nach vorne: „Auswärtssieg, Auswärtssieg!“ Am kommenden Samstag geht es nach Leverkusen. Und das ist auch nach dem unglücklichen 0:1 gegen den Hamburger SV immer noch ein Spitzenspiel.
Der neue Tabellenführer in der Bundesliga ist Borussia Dortmund, aber nur mit einer um vier Einheiten besseren Tordifferenz vor den punktgleichen Mainzern. Thomas Tuchel war tief enttäuscht. Doch einen positiven Aspekt hob der ehrgeizige 05-Trainer, der nichts mehr hasst, als Spiele zu verlieren, dennoch hervor: „Vielleicht zieht jetzt der ganze Zirkus nach Dortmund weiter. Darüber wäre ich nicht böse.“ Der 37-Jährige spielte an auf das gewaltige bundesweite Mediengetöse, das den 05ern seit dem Sieg in München mehr und mehr die Ruhe geraubt hat.
Tuchel war angestochen. Seine Mannschaft hatte verloren nach dramatischen, für die Zuschauer hochklassigen, von taktischer Ordnung, Kampf, Tempo und Technik geprägten 90 Minuten. „Am Ende haben wir noch das Tor bekommen, vom Ergebnis her war das bitter“, sagte der 05-Coach. „Aber wir müssen uns nicht grämen.“ Weil die Leistung der Mainzer Mannschaft in jeder Phase dieser Partie für den achten Startsieg hätte ausreichen können. Als Armin Veh später von den Hamburger Journalisten belobigt wurde, da sprach der HSV-Trainer einen der klügsten Sätze des Abends: „Wenn die Mainzer ihr Tor machen, dann reden wir über dieses Spiel ganz anders.“ Vehs Fazit: „Es ist kein Zufall, das die Mainzer sieben Siege stehen haben, sie spielen einen richtig guten Fußball.“
Niemand wird behaupten, der HSV hätte diese drei Punkte gestohlen. Dennoch war die Niederlage der 05er in hohem Maße unglücklich. Das lässt sich am Chancenverhältnis ablesen: 3:2 für die Hamburger vor der Pause, 6:2 für die Mainzer in der zweiten Halbzeit. Endergebnis: 0:1 – der Siegtreffer durch Paolo Guerrero ereignete sich eine Minute vor dem Abpfiff. Das war für die 05er, die glänzende Spielzüge im Repertoire hatten und dem 8-Siege-Startrekord nach der Pause immer näher zu kommen schienen, das, was man im Eishockey den „sudden death“, den plötzlichen Tod nennt. „Wir hatten in der zweiten Halbzeit das Chancenplus, Chancen von hoher Qualität“, sagte Tuchel. „Es sollte heute nicht sein...“
In der gesamten Liga, nirgendwo auf der Welt lasse sich ein Trainer finden, so Tuchel, „der da nicht enttäuscht ist“. Und weiter: „Wir haben den Rekord nicht geschafft. Darüber kann ich mich nicht freuen. Aber wir gehen unseren Weg weiter.“ Unbeirrt, das war deutlich zu spüren.
Komprimiert lässt sich diese Niederlage in zwei Punkten zusammenfassen: Den 05-Profis gelang es nicht, aus acht guten bis sehr guten Chancen ein Tor zu machen, am Ende bescherte ein wilder Eigenfehler von 05-Innenverteidiger Bo Svensson, der Zé Roberto an der Grundlinie unterschätzte, dem HSV, der über 90 Minuten geordnet, kämpferisch und mental zäh immer dran geblieben war, statt einem erarbeiteten Punkt sogar geschenkte drei.
Den Mainzer blieb nach einer in taktischen Details nicht fehlerfreien, insgesamt aber mutigen, kämpferisch monströsen und spielerisch hochwertigen Leistung nichts. Auch das ist Fußball. An den bösen Tagen.
Veh hatte die Mainzer gut gelesen. Der HSV setzte in seinem 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld auf ein abgedichtetes Zentrum. Nach vorne betrieben die ballsicheren Norddeutschen ein in die Breite zielendes, schnelles und präzises Kurzpassspiel. Diesen Ansatz bekamen die 05er bis zur Pause nie so richtig in den Griff. Nach Ballverlusten jenseits der Mittellinie entstanden Lücken in den hinteren Räumen. Die Abstände wurden insgesamt weiter, als man das vom Tuchel-Team gewohnt ist. Der sonstige scharfe Zugriff auf den Ballführenden war damit erschwert. Der HSV nutzte das.
Mit Ball streuten die 05er teilweise brillante Ballpassagen ein. Direktspiel, Doppelpass, diagonale Verlagerungen. Und dazu einige Hochgeschwindigkeitskonterzüge, binnen 20 Sekunden von Küste zu Küste. „Teilweise waren wir im letzten Drittel etwas zu euphorisch“, analysierte Tuchel. Deshalb sei dann oftmals der letzte Pass misslungen. Da fehlte ein wenig der Pragmatismus. Wer überragend aufbaut und die Lücken findet und dann am Ende der Zauberkombination nicht zum Abschluss kommt, dem fehlt die Belohung für das kunstvolle Spiel. Im Ergebnis zählt im Fußball aber nur diese Belohnung. Das Tor.
Reinhard Rehberg