Mainz
Fußballerkopf bräuchte Rückspulknopf

Die große Mainzer Ausgleichschance in der ersten Nachspielminute: Der eingewechselte 05-Mittelstürmer Morten Rasmussen traf bei seiner Direktabnahme frei vor dem Tor die Kugel nicht richtig.

Bernd Eßling

Mainz - Acht Siege in den neun Startspielen. Und nun schon die dritte Heimniederlage in Folge. Der Fußball schreibt merkwürdige Geschichten. Diese erzählt vom FSV Mainz 05. 

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Mainz – 0:1 gegen den Hannover 96. Die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel spielte am Samstagabend im Bruchwegkessel unter Flutlicht nicht wie ein selbstbewusster und beschwingter Tabellenzweiter, der mit einem Heimsieg schon am 12. Spieltag die beste Vorrundenleistung in der Bundesligageschichte des Klubs hätte besiegeln können. Sondern wie ein verkrampfter Tabellenvorletzter, der unter dem Druck steht, schon mit einem Remis den Anschluss an das rettende Ufer zu verlieren.

Das sind nicht die Beine, erklärte der Cheftrainer. „Das ist der Kopf.“ Derart viele Spieler zu diesem Zeitpunkt mental außer Form, das konnte sich Thomas Tuchel nach dem Abpfiff nicht erklären. Das ist der Mensch im Fußballprofi. Zwei, drei Niederlagen, und alles, was vorher glänzend funktioniert hat, ist plötzlich wie weggeblasen. Das Fachgebiet Psychologie hat herausgefunden: Negative Erlebnisse haben beim Menschen eine nachhaltigere Wirkung als positive. Warum auch immer. Und das Teilgebiet Psychomotorik sagt dann: Negative Emotionen haben Auswirkungen auf die Motorik, und eine als negative empfundene Motorik wiederum hat dann zusätzliche Auswirkungen auf die eh schon angeschlagene Psyche.

Das klingt so einfach. Und das ist auch einfach in der Ursache-Wirkung-Erklärung. Nur hat der menschliche Kopf keine Knöpfe und Tasten, an denen man beliebig eine Resettaste drücken könnte. Um die Bilder zurückzuspulen zu den glücklicheren Momenten des Films. Das ist das Problem. Kummer und Sorgen sieht man schon dem normalen Menschen an der Körperhaltung, am Gang an; wer am Schreibtisch arbeitet, kann das in den meisten Fällen leicht kompensieren. Wer aber für seine Berufsausübung in hohem Maße auf Psyche u n d Motorik angewiesen ist, und das sind zum Beispiel die Leistungssportler, der hat in einem verunsicherten Zustand hart zu kämpfen. Und dabei schauen dann auch noch 20 000 Leute zu. Die auch noch hörbar murren, wenn es nicht gut läuft.

Hannover 96 hat es mit dem einfachen Mittel, das Aufbauspiel der 05er aggressiv anzulaufen und zu stören, schon in der Anfangsviertelstunde geschafft, in den Mainzer Profis das zuletzt gelernte Gefühl hervorzurufen: Mist, das läuft ja heute schon wieder so wie zuletzt beim 0:2 gegen Borussia Dortmund und danach beim 0:1 in Freiburg. Und dieser emotionale Zustand verstärkte sich mit jedem Fehlpass, mit jedem verlorenen Zweikampf, mit jeder vergebenen Chance, mit jedem gelungenen Spielzug des Gegners. Klassische Kettenreaktionen, „bei denen“, so Tuchel„, “der eine den anderen heute angesteckt hat„. Und dann sieht das Spiel einer guten Mannschaft an diesem Tag genau so aus, wie das der 05er gegen ein Team aus Hannover, das mit dieser Vorstellung eigentlich diese drei Punkte nicht unbedingt hätte schnappen müssen. Eher überhaupt nicht.

Und es ist im Fußball ein bekanntes Phänomen, dass sich in diesen Misserfolgsphasen nicht nur das Spielglück verflüchtigt, sondern auch noch das Pech einnistet. Ein 26-Meter-Glücksschuss mit der schlingernden Flugkurve einer Leuchtrakete, abgefeuert mit links von Roberto Pinto, einem klassischen Rechtsfuß, entschied diese Partie. Viel mehr zu bieten hatten die Gäste nicht. Die 05er trafen bei ihren weit besseren Chancen nicht.

An glücklicheren Tagen hätte Andreas Ivanschitz für das Einsteigen von Keeper Florian Fromlowitz in der 41. Minute vielleicht einen Strafstoß bekommen, und Lewis Holtby hätte den Nachschuss wahrscheinlich mit dem Knie ins leere Tor bugsiert (und nicht um wenige Zentimeter über die Latte geschaufelt). Drei Zeigerumdrehungen später traf Pinto mit seinem Flatterball. Nach der Pause scheiterte Ivanschitz mit einem Klassefreistoß an Fromlowitz (56.). André Schürrle schoss im Fallen drüber aus kurzer Entfernung (57.). Haruna Babangida köpfte eine Klasseflanke von Florian Heller um Luftkastenbreite am rechten Pfosten vorbei (70.). Nach einem prächtigen Pass von Ivanschitz legte sich der Nigerianer die Kugel bei der Annahme einen Meter zu weit vor Auge in Auge mit dem Torhüter (71.). Und in der ersten Nachspielminute traf der eingewechselte Torjäger Morten Rasmussen frei vor dem Tor die Kugel nicht sauber mit der Innenseite. Abpfiff.

“Steht auf, wenn ihr Mainzer seid„, tönte es leise aus den Lautsprechern. Viele Zuschauer summten noch leiser mit. Die Fantribüne war längst verstummt. “Klar, Niederlagen beeinflussen Spieler genauso wie Siege„, sagt Tuchel. “Dass wir aber eine derart große Verunsicherung haben bei den taktischen Abläufen, das ist schon bemerkenswert. Das sind Defizite, daran müssen wir arbeiten.

Reinhard Rehberg