Auf die wichtigste und drängendste Frage gab es ein deutliches Ja. Einstimmig beschlossen die Haupt- und Finanzausschüsse von Stadt Kirn und VG Kirner Land in ihrer Sitzung im Sitzungssaal der Verbandsgemeinde, das MVZ grundsätzlich anzuschieben. Viele Fragen, die in zweieinhalb Stunden im Beisein von Anja Otten (Betriebsberaterin der KV) und ihrem online zugeschalteten Kollegen Robin Sonn angeschnitten wurden, blieben unbeantwortet. Ein Auszug aus dem bunten Fragenkatalog.
Sollen die Verbandsgemeinde Kirner Land und die Ortsgemeinde Stadt Kirn die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) unter dem Dach einer GmbH vorantreiben?
Die Ausschüsse stimmten ohne Enthaltung mit Ja.
Darf die Stadt und/oder die Verbandsgemeinde für Umbau und Einrichtung und Betrieb Schulden machen, obwohl es sich um eine freiwillige Leistungen handelt?
Jein. Kommunalaufsicht und ADD sind nicht detailliert gefragt, insofern fehlen Antworten. Die Tatsache, dass man für ein Feuerwehrauto 390.000 Euro, für Lüftungsgeräte 1,7 Millionen und Kitas mehrere Millionen ausgeben darf oder sogar muss, relativiert die MVZ-Schulden jedenfalls.
Sind Stadt und VG die Ansprechpartner für ein MVZ? Wer ist für Versorgung zuständig? Eine Frage von Jörg Schäfer (FWG), der die VG-Verwaltung dank Fusion und Corona-Pandemie zu 110 Prozent ausgelastet sieht.
Für die medizinische Versorgung steht in erster Linie die KV (Kassenärztliche Vereinigung) gerade. Kann sie das nicht leisten, kommen Krankenkassen ins Spiel. So die Information von KV-Vertreterin Otten und Ratsmitglied Dr. Peter Jungblut, einst selbst Krankenhauschefarzt in Kirn und stellvertretender KV-Vorstand.
Warum nehmen sich also die Bürgermeister Thomas Jung (VG) und Frank Ensminger (Stadt Kirn) der Sache so vehement an?
Weil seit der Praxisschließung von Dr. Wischmann 1500 Patienten in der Stadt ohne Hausarzt waren, und weil die Vakanzabfrage (Jung) erbrachte, dass bald wohl weitere Hausärzte in der Region schließen.
Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Der alte Spruch passt bei der Hausarztdiskussion in Kirn wie die Faust aufs Auge. Der Mangel war schon vor zehn Jahren absehbar, wurde an runden Tischen und mit Projekten von Land und KV propagiert.Kommentar zum Ärztemangel im Kirner Land: Keine schnelle Lösung in Sicht?
Kann die KV als Verteilungsinstanz helfen, dass ein MVZ in Kirn vertraglich Fachärzte zugeordnet bekommt und diese nicht schnell in lukrativere Gefilde wechseln? Etwa nach Kreuznach, wo es mehr Privatpatienten gibt als in der Kirner Region. Speziell geht es um eine Kinder- und HNO-Arztstelle.
Nein, die KV hat keine Steuerungsinstrumente. Eigentlich war und ist sie zuständig, dafür zu sorgen, dass es keine Ärzteschwemme gibt. Für die Verteilung ist der Zulassungsausschuss zuständig.
Hat sich die prekäre Hausarztsituation nicht schon länger abgezeichnet im Kirner Raum?
Doch. 2016 gab es große Treffen mit Gesundheitsminister, einen runden Tisch mit Ärzten. Vor allem jene haben damals abgewunken. Motto: Noch kein drängendes Thema. KV-Vertreterin Otten erzählte eine Anekdote. Ein junges Arztpaar wollte sich in einer Region niederlassen, in der von Arztmangel die Rede war. Plötzlich machten niedergelassene, etablierte Praxen im Schnitt 200 bis 300 Scheine im Quartal mehr als zuvor. Typischer Fall von Futterneid. Hans Helmut Döbell ergänzt: „Wir haben genau die Probleme von heute 2016 diskutiert. Das war bekannt. Die Probleme sind nicht vom Himmel gefallen.“ Man sei nicht drangeblieben, müsse man selbstkritisch sagen.
Warum nicht?
Weil das keine Aufgabe der Kommune sei. Das wurde von den damals selbstständigen Kommunen Kirn und Kirn Land so gesehen, auch die Diakonie winkte ab.
Und wie klappt das in Hochstetten?
Mit Unterstützung der KV sei das gut gelaufen, sagt Hans Helmut Döbell. Für „sein“ Dorfmodell und die Ansiedlung eines Arztes als Nachfolger des plötzlich verstorbenen Hausarztes und Beigeordneten Heribert Schöll war er teils heftig auch in Kirn kritisiert worden war. Die KV habe geholfen.
Warum gibt es im Land nur vier kommunale MVZ. Wie viele gibt es überhaupt? Und warum macht das die Diakonie nicht? (Fragen von Werner Speh und Norbert Stibitz)
KV-Betriebswirt Robin Sann erklärte, dass erst seit Kurzem Kommunen MVZ gründen dürfen. Dafür wurden Gründer wie Apotheken ausgebremst. Im Land gibt es aktuell 121 MVZ sagte Sann nach kurzem Aktenstudium. „Ich finde es gut, wenn die Kommune das macht“, merkte Anja Otten an.
Wie sieht es mit der Diakonie als MVZ-Betreiber aus?
Aktuell sind Stadt und VG mit der Diakonie im Gespräch. Für eine 129 Quadratmeter große Praxis stehen 20.000 Euro Mietkosten im Raum (ein Bruchteil der kalkulierten halben Million Umbaukosten fürs VG-Nebengebäude). Jung: sagte: „Mit der Diakonie könnte es sofort losgehen.“ Außerdem wären Synergieeffekte durch Ärzte und medizinische Geräte möglich. Bei einer Praxisneueinrichtung in der VG sind 130.000 Euro Startkosten kalkuliert. Dazu Döbell: So etwas wird heute nicht gekauft, sondern geleast. Norbert Stibitz befand: „Nicht die Diakonie sollte uns beim MVZ helfen sondern wir der Diakonie!“
Was sind die Vorteile eines kommunal betriebenen MVZ?
Man wäre unabhängig von großen Betreibern (Diakonie), könnte Zweigstellen im Kirner Land einrichten, Praxen in Hennweiler oder Becherbach betreiben. Der Standort am Bahnhof wird wegen der idealen Zug- und Busverbindung gegenüber der Diakonie favorisiert. Die Diakonie müsste erst Parkplätze schaffen, denn die aktuelle Situation dort wäre für kranke Menschen untragbar, sagt SPD-Stadtrat Jürgen Simon.
Drohende Krankenhausschließung trotz Zusage des Landes, das Kirner Haus sei unverzichtbar, drohender Abzug der Rettungswache, versprochenes Landesprojekt (ZUG) als Modell für Hausarztversorgung und Krankenhausnachsorge vor allem für Senioren.MVZ im Kirner Land: Die Faktenlage
Und wie geht es jetzt weiter?
Erst mal Hausaufgaben machen. Kommunalaufsicht und ADD sollen grünes Licht für einen kalkulierten Start eines MVZ mit roten Zahlen geben. Es werde eine externe Expertise gebraucht (ab 10.000 Euro).
Wie ist die Zeitplanung?
Stadtrat und VG-Rat müssen Beschlüsse fassen, gegebenenfalls sind Umbaupläne fürs VG-Nebengebäude (von der ADD als Verwaltungsbüros abgesagt) zu machen. Dazu zeigte Hans Helmut Döbell eine Entwurfsskizze für die 284 Quadratmeter mit drei Behandlungsräumen, Wartezimmer, Labors. Kein Problem, meinte er scherzhaft. Das habe er in einer Stunde bei Regenwetter gezeichnet. Im Ernst: In Anlehnung an die Praxis in Hochstetten-Dhaun sah das sehr praxisnah und den Erfordernissen entsprechend top aus.
Was passiert, wenn Stadt und VG nichts tun?
Dann nimmt der Druck der Basis zu. Täglich werde man teils heftig angefeindet, sagt Stadtbürgermeister Ensminger. Motto: „Ihr macht ja nix! Die Bürger sagen: Ihr müsst was tun!“ KV und Kassen sehen sich außerstande, Ärzte aufs Land zu schicken, schnellstens Medizinstudienplätze zu schaffen und Arztniederlassungen auf dem Land vertraglich langfristig festzuklopfen. „Nur mit der Kommune zusammen kriegen wir es hin“, sagt KV-Vertreterin Otten. Stadt und VG sind unter Zeitdruck. „Im Idealfall macht sich jeder hier Gedanken“, streut Thomas Jung das Hausarztthema in den Saal.