Mainz
Feier-Rituale: Tennisschläger, Zäune und Balkone

Mainz - Sieben Siege. Einstellung des neuen Startrekordes. Die Fußballwelt rätselt, was hinter dem grandiosen Erfolg steckt. Am Samstag (15.30 Uhr) kommt der Hamburger SV zum Bruchweg. Gibt es einen weiteren Heimsieg? Einen neuen Rekord? Wenn ja, wer muss dann auf den Zaun? Vielleicht sogar der Manager?

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Mainz – Sieben Siege. Einstellung des neuen Startrekordes. Die Fußballwelt rätselt, was hinter dem grandiosen Erfolg steckt. Am Samstag (15.30 Uhr) kommt der Hamburger SV zum Bruchweg. Gibt es einen weiteren Heimsieg? Einen neuen Rekord? Wenn ja, wer muss dann auf den Zaun? Vielleicht sogar der Manager? Das bundesweit gestiegene Interesse am FSV Mainz 05 hat die Themenlage verändert.

Stammgäste der wöchentlichen Vorschau-Pressekonferenz beim FSV Mainz 05 erleben derzeit einen Paradigmenwechsel. Das überdimensional gestiegene Medieninteresse am Tabellenführer der Bundesliga verlangt nach Plakativem, fordert verstärkt Themen, die am Bruchweg eigentlich eher niedrig aufgehängt werden oder gar keine sind. Die sonst üblichen Gespräche über das kommende Spiel, über fußballerische Aspekte dieser bevorstehenden Aufgabe, Diskussionen über Trainingsarbeit, Formkurven, Entwicklungen einzelner 05-Spieler rücken in den Hintergrund. Thomas Tuchel muss überwiegend Fragen zum Hype und dessen möglichen Folgen – positiver wie negativer Art – beantworten.

Der 05-Trainer bewältigt diese Fragestunde, die ihn sichtlich Mühe kostet, mit einer bemerkenswerten Geduld und überragender Eloquenz. Der 37-Jährige kommt dabei sehr authentisch und sympathisch rüber. Aber auch glasklar und beharrlich seinen Standpunkt vertretend.

Natürlich geht es vor dem Heimspiel am Samstag (15.30 Uhr) im ausverkauften Stadion um den Rekord. Nach sieben Siegen in Folge ist die Möglichkeit, mit einem weiteren Erfolg gegen den Hamburger SV einen alleinigen Startrekord aufstellen zu können, das Thema Nummer eins. „Das hilft uns nichts, wenn das Spiel angepfiffen wird“, sagt Tuchel lapidar. Die Möglichkeit den Rekord aufzustellen, „gibt uns weder ein Tor Vorsprung, noch haben wir einen Elfmeter gut. Es ist einfach nicht relevant.“

Zwischen Trainer und Mannschaft sei dies nach wie vor kein Thema, „weil es nicht förderlich ist, wenn ich das in die Mannschaft hinein posaune. In der Ansprache des Trainers ist das kein Thema, weil es nicht zielführend ist. Es wird keine Aufmerksamkeit drauf verwendet.“

Der 05-Coach führt Boris Beckers ersten Sieg in Wimbledon als Erklärung an. Becker habe später gesagt, wenn er sich das alles, was damit verbunden sein könnte, vorher bewusst gemacht hätte, hätte er seinen Schläger nicht mehr hoch gekriegt. Das sei in seiner Mannschaft ähnlich, sagt Tuchel. Es gebe wie bei einem Individualsportler Rituale, automatisiere Abläufe. „Bei uns laufen automatisierte Trainingseinheiten, automatisierte Ansprachen, Spielersitzungen, da gib es Aufgaben zu erfüllen, die sich von Woche zu Woche verändern. Ich hoffe, dass jeder Spieler in seiner Aufgabe bleibt und dass dies in der Konsequenz zu Ergebnissen führt. Wenn wir damit einen Startrekord aufstellen, ist das eine Belohnung .“

Sollte es den 05ern wirklich gelingen, auch noch den HSV am Bruchweg zu besiegen und den achten Erfolg in Serie zu erzwingen, dann sind wir beim eigentlichen Thema, das derzeit die Welt außerhalb von Mainz beschäftigt. Der Zaun. Und ob sich ein Trainer dort so präsentieren darf, wie Tuchel nach dem begeisternden 4:2 gegen die Hoffenheimer, der Einstellung des Startrekordes.

Der Mainzer Coach bezweifelt im übrigen, dass Armin Veh, Trainer des kommenden Gegners, ihn mit Aussagen in einer Zeitung wirklich attackiert habe. Er glaube vielmehr, dass Veh den 05ern den Jubel gönne, aber darauf hinweisen wollte, dass auch andere Zeiten kommen könnten. „Ich habe da keine Probleme mit und will nicht drauf reagieren, weil ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass er mir persönlich irgendwas Böses will, mir einen rein drücken will. Dafür gibt es überhaupt keinen Anlass.“

Dennoch muss Tuchel noch einmal ausführlich über seinen Auftritt vor den Fans auf dem Zaun Rechenschaft ablegen. „Da waren noch 15 000 Leute im Stadion, und wir haben einen Rekord eingestellt. Alle hier kennen die Rolle, aus der wir diese Spiele gewonnen haben. Das Publikum war in den Jahren hier, als es uns nicht so gut ging. Das Publikum hat, obwohl es weiß, dass ich das nicht gerne mache, eine Minute lang nach mir gerufen. Da ist es meine Pflicht und unser Recht, einen solch besonderen Anlass so zu feiern, wie das hier gefeiert wird.“ Und: „Wir wissen, dass wir nichts Falsches getan haben und dass es zum Verein Mainz 05 dazu gehört. Deshalb weigere ich mich, mein Verhalten zu ändern, nur weil es Konsequenzen haben könnte.“ Mainz 05 lasse sich nicht vorschreiben, wie es zu feiern habe. „Wir hören nicht vorher auf zu feiern, nur weil wir vielleicht irgendwann mal nichts mehr zu feiern haben.“

Unterstützung erhält der Coach von seinem Manager. „Die Bayern gehen regelmäßig auf den Balkon, wenn sie den Pokal oder die Meisterschaft gewonnen habe. Das war bei uns noch nicht der Fall“, sagt Christian Heidel. „Wir feiern unsere kleinen Siege. Siebenmal in Folge zu gewinnen ist für uns von der Wertigkeit her so, als wenn Bayern die Champions League gewinnt. Die gehen auf den Balkon, wir auf den Zaun. Das sind die Unterschiede. Die sollten wir uns auch bewahren.“

Heidel fügt hinzu: „Um den Skandal perfekt zu machen: Wenn sie mich rufen, gehe ich auch hoch. Das ist Mainz und so wird es bleiben.“ Eine kleine Schwierigkeit gibt's noch, das weiß auch der Manager. „Wir müssen erst mal gegen den HSV gewinnen.“

Jörg Schneider