Rheinland-Pfalz/Brüssel
EU: 2020 kein Fahrverbot für laute Züge

Wird der Lärmschutz verschoben? Für die Menschen im Mittelrheintal, durch das rund um die Uhr Züge donnern, wäre das fatal. Foto: dpa

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Rheinland-Pfalz/Brüssel. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc rüttelt am Fahrverbot für laute Güterzüge im Jahr 2020. Dafür kämpft die rheinland-pfälzische Landespolitik samt Bürgerinitiativen seit Jahren. Darauf hat sich auch die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgelegt.

Wird der Lärmschutz verschoben? Für die Menschen im Mittelrheintal, durch das rund um die Uhr Züge donnern, wäre das fatal. Foto: dpa

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Von unserer Redakteurin Ursula Samary

Aber die als streitbar bekannte Bulc hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schriftlich aufgefordert, dass das deutsche Verbot lauter Waggons „nicht einseitig ab 2020 angewendet werden“ soll, „sondern vielmehr mit der breiteren gesamteuropäischen Lösung, die nach 2021 umgesetzt sein sollte, in Einklang gebracht“ wird. Mehr Lärmschutz auf unbestimmte Zeit verschieben? Dies ist für deutsche Politiker wie Bürger am Mittelrhein undenkbar.

Regelung ab 2022?

Der unserer Zeitung vorliegende Brief beginnt freundlich im Ton, hat es aber in sich: Bulc lobt zunächst Deutschlands Bemühungen um eine Lärmreduzierung im Schienenverkehr, die „vielfach völlig neuartig innerhalb der EU sind“. Sie erklärt, dass die EU ab 2022 Grenzwerte für alle Güterwagen im grenzüberschreitenden Verkehr festlegen will. In diesem Zusammenhang betont sie, dass nationale Schritte zur Lärmbekämpfung „kein Hindernis für den Binnenmarkt und die Eisenbahn-Interoperabilität“ , sprich das reibungslose Funktionieren unterschiedlicher Systeme, darstellen dürften.

Bulcs deutliche Mahnung, garniert mit ihrer Einwilligung zu nationalen Beihilfen für die Umrüstung auf leisere Bremssohlen, endet werbend bis drohend mit den Worten: Sie hoffe, „dass dank gemeinsamer Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der Kommission Schienenlärm bereits in wenigen Jahren nicht länger eine erhebliche Beeinträchtigung für die europäischen Bürger darstellt. Sicherlich ist Deutschland maßgeblich, damit diese Hoffnung sich bewahrheitet“.

Die Slowenin mit dem schwarzen Gürtel in Taekwondo ist dafür bekannt, dass sie keine Furcht hat, sich mit Regierungen anzulegen. Dobrindt weiß dies nur zu gut, seit sie wegen der geplanten Pkw-Maut ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Dieses Vorgehen hat viele Politiker – abseits der CSU – noch aufatmen lassen. Wird Bulc aber zur knallharten Gegnerin von mehr Lärmschutz im Jahr 2020, kann sie mit lautem Protest einer breiten Mehrheit rechnen.

Politisch müsste die EU-Kommissarin aber auch ein Druckmittel gegen die Schweiz in der Hand haben. Denn die Eidgenossen sind bislang fest entschlossen, 2020 ihre Grenzen für laute Güterzüge dichtzumachen. Die Hoffnung der Landesregierung wie der Bürgerinitiativen sowie einer parteiübergreifenden Parlamentsgruppe im Bundestag: Spätestens dann sind Bahn-Unternehmen – im Transit zwischen Nordsee, Alpen und Mittelmeer – unter Druck, laute Waggons auszumustern. Vor dieser Kulisse sieht der Vertrag der Großen Koalition in Berlin auch bereits Sanktionen – etwa Tempolimits – für den Fall vor, dass 2016 nicht bereits die Hälfte der Güterwagenflotte leiser ist. Und an dieses Hoffnungszeichen klammern sich die unter unerträglichem Lärm leidenden Menschen am Mittelrhein. Denn durch das enge Tal donnern Güterzüge – teils so laut wie Presslufthämmer – rund um die Uhr.

„Am Ziel, bis 2020 alle Güterzugwagen mit lärmarmen Bremssystemen auszurüsten, darf nicht gerüttelt werden.“ Dies haben die Verkehrs- und Umweltminister der Länder Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Dobrindt zuletzt im Juni noch einmal deutlich gemacht. Dabei betonten die Mainzer Minister Roger Lewentz (SPD) und Ulrike Höfken (Grüne), dass es zu Sanktionen – wie Tempo 70 in der Nacht – kommen muss, wenn 2016 nicht die Hälfte der Waggons umgerüstet ist. Bisher seien lediglich 28 000 Wagen lärmarm. Für 159 000 Wagen lägen Förderanträge für eine Umrüstung vor. Lewentz pocht auch darauf, eine alternative Güterverkehrstrasse in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen.

Knickt Dobrindt jetzt vor EU-Kommissarin Bulc ein, kann er auch mit ziemlichem Krach der mittlerweile mehr als 120 Mitglieder starken Parlamentsgruppe Bahnlärm im Bundestag rechnen. Die haben sich von den privaten Güterwagenhaltern zuletzt „verbindlich“ zusichern lassen, dass diese bis 2020 alle ihre rund 69 000 Waggons umrüsten. Dies betonten nach dem Gespräch die Gründungsmitglieder Erwin Rüddel (CDU, Kreis Neuwied), Detlev Pilger (SPD, Koblenz) und Tabea Rößner (Grüne, Mainz). Danach hat der Geschäftsführer des Verbands der Güterwagenhalter, Jürgen Tuscher, zugesagt, dass 2016 gut 40 Prozent der Waggons leise durchs Land rollen.

Violeta

Bulc

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Parlamentsgruppe kompromisslos

Die Bundestagsabgeordneten wissen, dass die ausländischen Halter ein Lärmproblem sind, während sie Bahn wie private Betreiber „auf einem guten Weg“ sehen. Kampfesbereit kündigten sie bereits an: „Hier werden wir aber keine Kompromisse machen. Unsere Parlamentsgruppe fordert ein Durchfahrverbot ab 2020 für laute Züge – genau wie in der Schweiz. Dabei sehen wir etwaigen Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU gelassen entgegen. Wir sind entschlossen, die Menschen in Deutschland vor Umgebungslärm zu schützen. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung geht vor“, bekräftigten die Bundestagsabgeordneten, als hätten sie Bulcs Einschreiten schon erwartet. Die Brüsseler Kommissarin dürfte also beim Bahnlärm auf mehr Widerstand in Berlin stoßen als bei der ziemlich unbeliebten Maut – erst recht vor wichtigen Landtagswahlen.