Einen großartigen Spannungsbogen schlug Extrembergsteiger Hans Kammerlander am Sonntagabend mit seinem Vortrag vor über 400 Zuhörern im Gesellschafthaus. In der guten Stube Kirns konnten sich die Kammerlanderfans lässig zurücklehn und den schmächtigen 57-Jährigen auf die zweithöchste Gipfel der Welt begleiten: In die eisige Kälte Alaskas (Mt. Logan), auf den K 2 (Karakorum) oder in die Antarktis. Oder in ins brütende Dschungelklima Afrikas (Mt. Kenia) und Australiens (Puncak Trikora). Spannung auch im Erzählton.
Hier die Todeszone, in der Bilder der Bergung eines verunglückten Bergsteigerkameraden gezeigt werden, der Hinweis auf den Tod seines Partners Jean-Christof Lafaille am K 2. Und dort die drolligen Bilder von Pinguinen in der Antarktis oder dem Koch in Indonesien. Der Koch war für mich der Star im Kammerlanders Vortrag. Der Dschungelmann machte sich Sorgen um die Bergsteiger, die da in seine heilige Wand eingestiegen waren. Er eilte ihnen in kaputten Gummistiefeln nach, überholte sie und empfing sie in Gipfelnähe im nebelumwaberten Grat auf nadelspitzen Felsen.
Hans Kammerlander ist nett und offen. Er hat in einer Ecke im Foyer seine Bücher, Kalender, Poster aufgebaut. Er gibt vor und nach der Vorstellung viele Autogramme, schreibt persönliche Widmungen in die Bücher, beantwortet viele Fragen. Dabei ist der Kletterer, der Reinhold Messner als Vorbild sieht (auch weil er mit ihm auf Achttausendern stand) schwer verletzt. Sein Knie schmerzt, er kann kaum laufen, als er einpackt, Bücher in den Transporter bringt. Ein Unfall im November hat sein Leben verändert. Mehrere Autos sind ineinandergekracht, ein 21-jähriger starb, Kammerlander war alkoholisiert. „Schlimme Sache“, sagt er im Gespräch. Der Ausgang ist offen, die Schuldfrage wohl nicht zu klären. Kammerlander kämpft.
„Am seidenen Faden“, ist der Titel eines seiner Bestseller über K 2 und andere Grenzerfahrungen. Seine Erkenntnis: „Wenn Du es nicht versuchst, wirst Du nie wissen, ob Du es kannst.“ Das ist der rote Faden seines Vortrags: Da ist von Scheitern die Rede. Am Mt. Logan kehrt er um. Morgens klafft am Lagerplatz eine Gletscherspalte.
Umkehren will gelernt sein. Am K2 sind's nur wenige Meter. Bei 15 Metern Geländegewinn pro Stunde scheitert er und kehrt im Jahr darauf zurück, friert sich beim Gipfelsieg fast den Fuß ab. Und dann wieder ein „Spaziergang“ als Wanderer auf den Mt. Kenia. „Da braucht's keine Schwindelfreiheit,“ sagt er. Das meinte er. Und dann: tagelang Regen und Schnee auf dem zweithöchsten Afrikagipfel. Klettern mit druchweichten Treckingschuhen.
„Wie die Jungfrau zum Kind kamen wir zum Gipfel. Das war leichtsinnig“, merkt der Südtiroler Bergbauernbub an. Mit acht hatte er seinen ersten Gipfel gestürmte, mit zehn starb die Mutter. Und dann kam der Wettlauf auf die Gipfel der Welt. 25 Jahre lang. Bis er „die Schnauze voll davon“ hatte. 300 Bergsteiger haben alle höchsten Berge der Kontinente erklommen. Die Zweithöchsten schaffte bislang nur er.
Im Nachsitzen. Am Mt. Logan musste er ein drittes Mal ran. Drei fast gleichhohe Gipfel hat der Alaska-Kälteblock. Auf zweien war er, erhielt dann eine Mail, der eigentliche Gipfel sei mit einem Eispickel gekennzeichnet. Wo der auf seinem Gipfelbild wäre. Also noch mal in die Eiseskälte, damit der Kritiker Ruhe gibt. Hans Kammerlander weilte schon ofter an der Nahe, hat hier einige Freunde.
Auch in Kirn war er schon, kennt aber die Kirner Dolomiten noch nicht, gibt er zul. Allerdings ist ihm der Rotenfels ein Begriff, obwohl das nur eine Frühstückswand für ihn sein sollte. Schnelligkeit ist sein Ding. Ohne viel Gepäck, ohne Zelt, Schlafsack und Ballast losstürmen. Rauf und runter. „Das gibt die größte Sicherheit“, meint er. Sein extemster Eildruchgang: In 24 Stunden auf den Everest rauf und mit Skiern hinab. Mit Skiern fuhr der Skilehrer auch am Nanga Parbat teils herunter.
Wer will, kann mit Hans Kammerlander wandern gehen. Den Teilnehmern der 24 Stunden von Hennweiler werden die Ohren klingeln: Kammerlander hat die 24-Stunden-Trecks erfunden, bietet sie in den Dolomiten an. „Nur“ 60 Kilometer misst die Strecke – allerdings sind's 3000 Höhenmeter und nicht nur 1000 wie an der Nahe, wo 72 Kilometer gewandert werden. Kammerlander bietet noch eine 36-Stunden-Tour an. Für die, die es wissen wollen.
Er hofft, dass sein Knie im Sommer wieder mitmacht und auch ansonsten alles gut geht. Er hat noch viele Pläne. Die Matterhörner der Welt könnten in ein, zwei Jahren Vortragsthema in Kirn sein. Matterhörner, die klassischen Bergpyramiden, gibt es auf der ganzen Welt. In Indien an der Gangesquelle, in Nepal, in Kanada, Norwegen. Wenn er die Pyramide in Russland bestiegen hat, hätte er die Matterhörner eigentlich fertig. Aber da gibt's noch einige weitere. In China, ein „ganz Wildes“. Da will er noch hin.
Mit 57 ist das Bergsteigerleben noch lange nicht zu Ende. Die Menschen locken Kammerlander in die Ferne. Die Begleiter in Afrika oder in Indonesien, die ohne Dolmetscher sprachlos ein harmonisches Miteinander ermöglichen. Das reiozt ihn. Und natürlich die Vortragssäle. Auch das ist Kammerlander. Auf der Bühne stehen, locker und doch zurückhaltend plaudern, fern jeder Aufschneiderei. Die Bilder sprechen.
Er steht mit Herbert Wirzius auf der Bühne. Der Vorsitzende der Soonwaldstiftung hat den von der Sparkasse Birkenfeld gesponserten Abend initiiert. Die Eintrittsgelder sind für die Stiftung, für Kinder in Not. Auch für Kammerlanders Nepalhilfe wird ein erkleckliches Sümmchen gespendet, verspricht Wirzius. Und auch die VHS als Gastgeberin hat was davon, hat die Bewirtung der 400 Gäste übernommen. Eine Win-win-Situation.
Viele haben Kammerlander-Bücher gekauft und ein bisschen was vom großen Abenteuer mit heimgenommen. So wie der Meister von jedem Gipfel ein Steinchen mit heim nimmt und die wichtigsten (K 2, Everest) als Halskette trägt, nehmen viele aus dem authentischen Vortrag etwas mit. Etwa die Erkenntnis: Auch das Zweitbeste kann das Beste sein.
So sieht das auch Kameramann und Multimedia-Experte Hartmann Seeber, der die Technik bedient, Bücher verkauft. Er stand schon auf dem K2, dem Berg der Berge, in den das Matterhorn 40 Mal hineinpasst. Sein Lieblingsberg ist aber der nur 6850 Meter hohe Ama Dablam in Nepal. Dort ist das Hilfsprojekt Kammerlanders angesiedelt, eine fast fertige Schule für blinde Kinder. 18 Schulen und zwei Kinderheime hat Kammerlander am Dach der Welt mitfinanziert.
Das überstrahlt den Gipfelsturm am Everest. Und toppt den gummibestiefelten Koch aus dem Kanibalen-Bergland. Fazit: Hans Kammerlander sollte eines Tages nach Kirn kommen, egal wie das mit seinem Autounfall in Südtirol ausgeht, vielleicht Kammerlanders höchster Berg. Egal ob er alle Matterhörner bestiegen hat oder ob seine Kritiker doch noch irgendwo eins für ihn auftun, wo er raufmuss. Armin Seibert
Seven Second Summits – die sieben zweithöchsten Gipfel der Kontinente. 2001 K2 (8611 m), Pakistan (Asien), mit Jean-Christof Lafaille, der 2002 starb; 2009 Ojos del Salado (6893 m), Chile (Südamerika), mit Toni Mutschlechner; 2009 Mount Kenia (5199 m), Kenia (Afrika), Ostwand, mit Konrad Auer; 2010 Dychtau (5204 m), Russland (Europa), mit Florian Kern; 2011 Puncak Trikora (4730 m), Indonesien; 2012 Mount Tyree (4852 m), Antarktis; Mount Logan (5959 m), Alaska (Nordamerika).