Löws Verdienste: Löw ist und bleibt Weltmeister-Trainer. Er reiht sich in die Galerie hinter Sepp Herberger (1954), Helmut Schön (1974) und Franz Beckenbauer (als Teamchef 1990) ein. Den Triumph von Brasilien 2014 kann Löw keiner mehr nehmen. Auch nicht das historische 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien. Überhaupt hat Löw die DFB-Auswahl bei fünf großen Turnieren immer mindestens ins Halbfinale geführt.
Nach seiner Amtsübernahme von Jürgen Klinsmann nach dem Sommermärchen 2006 entwickelte der Badener einen Spielstil weiter, der nur noch wenig mit dem früher gern als Rumpelfußball bezeichneten deutschen Auftreten zu tun hatte. Spielertypen wie Mesut Özil, Thomas Müller, Miroslav Klose und auch Jerome Boateng und Mats Hummels standen für filigranen und teils begeisternden Offensivfußball, offenbart etwa bei der WM 2010 mit einem 4:1 im Achtelfinale gegen England und einem 4:0 im Viertelfinale gegen Argentinien, gekrönt natürlich durch den Titelgewinn vier Jahre später in Rio de Janeiro. Joachim Löw war der König, erfolgreich, souverän, charmant, lässig, gut gekleidet.Seine Gesamtbilanz als Bundestrainer kann sich von der Statistik her sehen lassen: In 198 Länderspielen gelangen der deutschen Auswahl 124 Siege, 40-mal gab es ein Unentschieden, 34-mal eine Niederlage – die abschließende gegen England schmerzt natürlich besonders. Löws Bilanz ergibt einen Punkteschnitt von 2,09 Zählern pro Spiel. Nur die oft belächelten Jupp Derwall (2,17) und Berti Vogts (2,20) waren als Bundestrainer besser – was den (Un-)Sinn solcher Zahlenspielereien aber auch dokumentiert. Löw hat jedenfalls viel geleistet für den deutschen Fußball und ihn zwischenzeitlich zweifellos auf ein neues Niveau gehoben.
Löws Versäumnisse: Die größten Fehler werden im Erfolg gemacht, heißt es so schön. Viele meinen, dass Löw nach der Krönung von Brasilien hätte zurücktreten sollen, auf dem Höhepunkt. Er tat es nicht und beging in der Folgezeit gleich reihenweise Fehler. Er schaffte es nicht, sich und seine Mannschaft neu zu erfinden. Löw und seine Mitstreiter, allen voran Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, ruhten sich zu sehr auf dem Erreichten aus. Löw wurde nachlässig, wirkte zunehmend überheblich, stur – und ließ keine klare Linie erkennen. Ein Hoffnungsschimmer war der Triumph beim WM-Testlauf namens Confed Cup 2017. Doch anstatt seinen Kader für Russland mit etlichen jungen Titelgewinnern aufzufrischen, vertraute er seinen Vertrauten. Das Ergebnis ist bekannt: Deutschland schied erstmals in der Geschichte in der WM-Vorrunde aus. Düpiert von den Außenseitern Mexiko und Südkorea. Löw tauchte nach dem Debakel erst einmal ab, ging in sich – zumindest behauptete er das – und versprach einen Neuaufbau, den er jedoch verschleppte.
Im März 2019, also erst neun Monate nach dem Desaster von Russland, opferte er kurzerhand das Bayern-Trio Müller, Hummels und Boateng und warf sie aus der Nationalmannschaft. Einen neuen Spielstil konnte Löw in der Folgezeit nicht etablieren, überhaupt irrlichterte der einstige Erfolgstrainer in den vergangenen drei Jahren meist umher. Der nächste Tiefpunkt war im November 2020 ein 0:6 in der Nations League gegen Spanien, ein letzter Warnschuss vor der EM. Gerade mal 24 Tage vor dem Turnierbeginn machte Löw dann die Rolle rückwärts und holte Müller sowie Hummels zurück. Kein Wunder, dass diese Hauruck-Aktion keinen Erfolg hatte. Überhaupt vermittelte Löw bei dieser paneuropäischen EM nie den Eindruck, dass er einen übergeordneten Plan hatte, vor allem auch keinen Plan B. Er konnte (oder wollte) von außen zu selten Einfluss auf das Spiel nehmen.
Die Fehler des DFB: Versagt hat auch der Deutsche Fußball-Bund. Das mag zwar aufgrund der Skandale und Querelen der vergangenen Jahre nichts Neues sein, aber seinen wichtigsten sportlichen Angestellten stattete der weltgrößte Sportfachverband mit allen Befugnissen aus. Noch vor der missratenen WM 2018 verlängerte die Präsidenten-Fehlbesetzung Reinhard Grindel Löws Vertrag ohne große Not vorzeitig bis zur WM 2022. Selbst nach dem auf allen Ebenen vergeigten Russland-Turnier konnte sich das DFB-Präsidium nicht dazu durchringen, Löw zu ersetzen. Es fehlte über Jahre hinweg ein Korrektiv im Verband, da auch DFB-Direktor Bierhoff hier keine Hilfe war. Der frühere Stürmer war offenbar zu sehr mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt.
Die nächste Präsidenten-Fehlbesetzung Fritz Keller versuchte noch einmal, das Ruder herumzureißen. Sein Alleingang nach dem 0:6 gegen Spanien, bei dem er Löw den sofortigen Rücktritt nahelegte, fasste dieser hochnäsig als Majestätsbeleidigung auf. Der mit sich selbst beschäftigte DFB ließ seinen Bundestrainer einfach viel zu lange machen – und war machtlos.
Die Zukunft: Nach fast 15 Jahren ist Schluss für Löw als Bundestrainer. Sein Amt übernimmt sein ehemaliger Assistent Hansi Flick. Der 56-Jährige bringt als Empfehlung sieben Titelgewinne mit dem FC Bayern in nur gut eineinhalb Jahren mit. Löw ist optimistisch: „Ich glaube, dass diese Mannschaft eine sehr, sehr gute Zukunft vor sich hat und vielleicht auch diesen Erfolg erreicht, den sich alle wünschen.“ Sein Nachfolger Flick muss nun deutlich mehr tun als dessen Vorgänger, mehr Innovator sein als Verwalter.
Was Joachim Löw in Zukunft macht, ist noch unklar. Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass er sich den stressigen 24-Stunden-sieben-Tage-Job eines Vereinstrainers antut. Dafür schätzt er die Vorzüge des vergleichsweise entspannten Lebens als Nationaltrainer zu sehr. Dem Nachbarn aus den Niederlanden sagte Löw nun schon mal ab. Anstatt Nachfolger des entlassenen Bondscoaches Frank de Boer zu werden, will Löw erst mal eine längere Pause einlegen. Er hat einiges aufzuarbeiten.