Uraufführung "Die Abenteuer des Joel Spazierer" am Theater Koblenz - Spannungsbogen fehlt
"Die Abenteuer des Joel Spazierer": Roman zur Bühnenfassung verknappt

Uraufführung am Theater Koblenz: Mit einer eigenen Bühnenfassung hat das Theater Koblenz „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ zu einem dreistündigen Theaterabend geformt – der Zauber des Romans von Michael Köhlmeier kann sich dabei jedoch schwer entfalten.

Matthias Baus für das Theater Ko

Koblenz. Literarische Werke in Bühnenstücke zu verwandeln, bleibt nach wie vor ein hochriskantes Unterfangen. Das zeigt die Uraufführung von Michael Köhlmeiers Roman "Die Abenteuer des Joel Spazierer" am Theater Koblenz.

Von unserem Autor Andreas Pecht

Bei Erscheinen 2013 war die Literaturkritik von Michael Köhlmeiers „Die Abenteuer des Joel Spazierer” hellauf begeistert. Die jetzige Uraufführung der Koblenzer Bearbeitung für die Bühne hinterlässt beim Theaterkritiker aber vor allem eines: Ratlosigkeit.

Streng genommen wird auf der Bühne die Lebensgeschichte eines Burschen erzählt, von frühkindlicher Traumatisierung über verkorkstes Heranwachsen bis zum Versinken des Erwachsenen in Betrug, Raub, Mord. Besser gesagt: Die Titelfigur erzählt und kommentiert quasi in Erinnerungsbildern selbst, wie es mit ihrem Leben halt so gekommen und gegangen ist. Dargestellt wird das in Form einer dreistündigen Reihung von Episoden, die in unterschiedsloser Gleichgewichtigkeit und bar eines dramatischen Spannungsbogens exemplarische Entwicklungsstationen des Joel Spazierer von den 1950ern bis in die Schlussphase der DDR abschreiten.

Aufwendige Produktion

Das Theater Koblenz steckt allerhand Mühen in diese Produktion. Regisseurin Olga Wildgruber, Hausautor Stefan Wipplinger und Intendant Markus Dietze ringen dem 650-seitigen Roman eine Bühnenfassung ab. Bei Wolfram Karrer wird eigens eine Stückmusik in Auftrag gegeben, bei den Puppenbauern des Theaters ein Nebenensemble aus Tierfiguren. Schließlich spielen 13 Akteure 54 Rollen – was schauspielerisch einen Vielseitigkeitsparcours zum Ergebnis hat, dessen kurz angebundene Schlaglichtart für interessantes Charakterspiel indes weder Zeit noch Raum erübrigen kann. So bleibt es bei einem Vorbeizug knapper Typen- und Schicksalsskizzen, die an Botho Strauß' Stück „Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomeida” erinnern.

Ein 360-Grad-Foto von der Bühne gibt es hier

Das ganze Gewicht entfalteter Schauspielerei liegt allein auf Jona Mues als Titelfigur, die ihre Namen und Identitäten wechselt wie die Episoden, die sie durchlebt. „Schelmenroman” oder „Entwicklungsroman” hat man Köhlmeiers Buch genannt – und auch so empfunden bei der stillen Lektüre dieser wunderbar Realität und Surrealität, Wahrheit und Lügengespinst verwebenden Lebensbeichte. Wie Mues den Joel Spazierer ausformt, verliert sich die Lektürevorstellung vom Schelm, der sich mit einem falschen Ich nach dem andern durch die Welt lügt, dabei aber so charmant bleibt, dass man ihm noch die ärgsten Verbrechen nicht wirklich krummnehmen kann.

Faszinierender Hauptdarsteller

Stattdessen macht Mues auf der Koblenzer Bühne aus seiner Figur eine eigentümliche und interessante Mischung aus dem „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen und der „Lulu“ von Frank Wedekind. Ob als verlorenes Kind verfolgter und durchgeknallter Eltern und Großeltern, ob als Stricher in Wiener Hinterhöfen, Dealer, Internatsschüler, Mörder oder Gefängnisinsasse: Wie Peer Gynt braucht er die Lüge als Überlebenselixier; wie bei Lulu der Sex, wohnt das Lügen dem Joel Spazierer als urwüchsiger Trieb inne. Und die Triebe beider beziehen ihre Kraft aus der Sucht der Mitmenschen, sich da im Begehren, hier im Lügenbild bestätigt zu finden.

Die fast lakonisch beiläufige, sich bisweilen zum Selbststaunen aufschwingende Spielweise von Jona Mues ist ein Faszinosum. Doch kann sie den Abend allein nicht tragen. Wo die Romanlektüre dem Burschen zu immer neuen Orten, Bedingungen, Um- und Geistwelten folgt, bleiben im Theater bescheidene Perspektivenvariationen, die ein auf die Drehbühne montiertes Rahmenkonstrukt von Ausstatterin Claudia Rüll Calame-Rosset öffnet. Das ist zu wenig für einen Stoff, der natürlich die Theatermacher reizt. Dessen Eigenart ist in diesem Fall aber offenkundig an eine Romanform gebunden – die der Bühnendramatik weder bedarf noch sie anbietet. So steht man denn am Ende eines ziemlich lang gewordenen Abends ratlos vor der Frage: Warum und wozu diesen brillanten Roman in eine Stückform quetschen, die per se nie und nimmer ein vergleichbares Niveau erreichen kann?

  • Nächste Aufführungen am 12., 14., 16., 19. und 23. Februar, weitere Informationen und Tickets gibt es unter Telefon 0261/129 28 40 sowie hier.