Wiesbaden – Hier ein Brandsatz, dort ein Nazi-Graffiti – und die Täter sind meist jung. In Hessen hat das rechte Lager Zulauf. Experten warnen die Politiker, die Augen nicht zu verschließen.
Der eigentliche Adressat des Anschlags, ein Pastoralreferent der katholischen Kirche und bekennender Gegner der Rechten, ist in dieser Märznacht gar nicht daheim. Die vier mutmaßlichen Täter, Männer im Alter zwischen 17 und 24 Jahren aus der rechten Szene, stehen dieser Tage vor dem Limburger Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen versuchten Mord und schwere Brandstiftung vor.
Dies ist ein oft zitiertes Beispiel bei der Expertenanhörung am Mittwoch im Landtag in Wiesbaden zum Thema Gewalt und Extremismus in Hessen. Die Abgeordneten wollen auf den aktuellen Stand gebracht werden. „Extremisten aller Couleur haben in Hessen keine Chance“, hatte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in seiner Regierungserklärung im September gesagt. Doch was die Experten berichten, ist beunruhigend. Der Rechtsextremismus wird jünger – und breitet sich vor allem jenseits der Parteienlandschaft aus.
„Wir haben gedacht, das ist ein kurzes Phänomen“, sagt Pädagoge Benno Hafeneger von der Universität Marburg. Doch die rechtsextremen Gruppen, die mit NPD und den Republikanern nur ideologisch zu tun haben, wachsen. Eine neue Jugendkultur habe sich über mehr als zehn Jahre etabliert. „Der Nachwuchs verjüngt die Szene.“ Im Kern hätten die Gruppen oft nicht mehr als 15 Mitglieder – doch das faschistische Gedankengut verbreiteten etwa Kameradschaften und Burschenschaften. Sie folgten einer für Jugendliche typischen, rebellischen Kultur.
Der Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, Roland Desch, hat zudem beobachtet: „Die jungen Nationaldemokraten scheinen aktiver zu werden.“ Im Jahr 2008 habe es keine rechte Demonstration gegeben. Im Mai diesen Jahres marschierten immerhin 150 Rechtsextremisten in Wiesbaden auf.
Immer mehr Eltern seien deshalb besorgt, berichtet Reiner Becker vom Beratungsnetzwerk Hessen. Seit 2007 arbeiten 26 Berater für eine demokratische Aufklärung. Die Eltern erzählten etwa, dass ihre Kinder Musik von rechtsextrem eingestuften Künstler hörten und NPD-Flaggen im Zimmer aufgehängt hätten. Einige seien in der Schule mit „Heil Hitler“ begrüßt worden und hätten andere Erfahrungen mit Rechten gemacht.
Unvergessen ist auch noch der Anschlag auf ein Camp der linken Jugendgruppe „Solid“ in Nordhessen im Sommer 2008. Den 19 Jahre alten Haupttäter schickte der Richter für mehr als zwei Jahre in Haft. Der junge Mann hatte mit einem Spaten und einer Flasche auf ein Zelt eingeschlagen und so unter anderem eine 13-Jährige schwer verletzt.
Im Frühjahr 2010 erließ das Amtsgericht Schwalmstadt – ebenfalls in Nordhessen – Haftbefehl gegen einen 21-Jährigen aus der rechten Szene, der mit drei weiteren Männern einen 30-jährigen Ausländer in einer Gaststätte zusammengeschlagen haben soll. Dennoch warnt Becker am Mittwoch davor, rechtsextreme Tendenzen auf bestimmte – ländliche – Regionen zu begrenzen. „Die Aufmerksamkeit ist immer abhängig von den Ereignissen.“ Das gilt sowohl für vorsichtige Eltern, als eben auch für alle, die noch Anschluss an Gleichgesinnte suchen.
Marco Krefting