Kanuslalom: Vater von Olympiateilnehmerin Ricarda hat sich als Aktiver, Trainer, Theoretiker und Vorbild ganz seiner Sportart verschrieben
Der Bad Breisiger Thorsten Funk liebt die (be)rauschende Suche nach der Ideallinie – Der Vater von Olympiateilnehmerin Ricarda hat sich als Aktiver, Trainer, Theoretiker und Vorbild ganz seiner Sportart verschrieben
Vollrath

Bad Breisig. Thorsten Funk mag das Chaos. Oder genauer: Er liebt es, das Chaos zu durchdringen und zu bezwingen. Und das nicht als Chaostheoretiker, sondern als Slalomkanute. „Die einzige Sportart, in der sich der Sportplatz bewegt. Und zwar manchmal ziemlich chaotisch“, sagt der Bad Breisiger.

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Aber genau darin liegt für ihn der Reiz: im rauschenden Wasser mit dem Boot durch den Stangen-Parcours den richtigen Weg wählen, die richtige Position finden. Das Streben danach und die Begeisterung dafür haben den Lebensweg des 59-Jährigen entscheidend mitgeprägt: als aktiver Sportler, als Trainer auf Bundesebene, Theoretiker und praktisches Vorbild. Tochter Ricarda, unter anderem schon Weltcupsiegerin und zweifache Europameisterin, nimmt nun im Sommer als einzige Deutsche in der Disziplin Einer-Kajak der Frauen an den Olympischen Spielen in Tokio teil.

Klar, dass der 29-Jährigen die Liebe zum Kanuslalom in die Wiege gelegt worden ist, ebenso wie ihrem Bruder Alexander. Nur Schwester Theresa widerstand. Wenn der Vater schon erfolgreich war in dieser Sportart, Mutter Claudia auch, dann überträgt sich das schnell. Aber die Beeinflussung ging auch in beide Richtungen.

Mit den Erfolgen der Kinder entwickelte sich Vater Funk auch als Trainer. Mittlerweile fungiert er schon seit Jahren auf Honorarbasis als Bundestrainer beim Deutschen Kanu-Verband (DKV). Am Pfingstmontag macht er sich mit der U 23 zu einem Vorbereitungswettkampf nach Meran in Südtirol auf.

Dass ihn sein Sport einmal durch die ganze Welt bringen würde, hätte er in seinen Anfangszeiten natürlich selbst nicht gedacht. Aber auch er hatte ein tätiges Vorbild und einen aktiven Mentor: Sein Patenonkel, sogar WM-Teilnehmer, schenkte ihm dereinst ein Boot, womit der Weg aufs Wasser vorgegeben war, erst im Wildwasserrennsport, dann im Kanuslalom. Geboren in Braunschweig, kam Funk über Köln nach Bad Breisig, berufsbedingt. Der gelernte Schmied war zur Bundeswehr gegangen, wo er als IT-Service Manager & Leitung Konzeptentwicklung in der Telemedizin arbeitet, mittlerweile als Ruhegeldempfänger nur noch projektweise. Was ihm Zeit lässt, sich noch mehr für seinen Sport zu engagieren.

Wobei er den Aufwand nie gescheut hat: Da die Ahr nur bei Hochwasser geeignete Trainingsmöglichkeiten bietet, hatten in den Jahren, als der Nachwuchs nach oben strebte, weite Fahrten angestanden, eben dorthin, wo es gute Strecken gibt: Augsburg, Leipzig, Hohenlimburg, Lippstadt, Bourg Saint Marc in der Auvergne (Frankreich) und natürlich Bad Kreuznach. Tochter Ricarda, mittlerweile Wahl-Augsburgerin, startet immer noch für den dortigen KSV.

„Ja, da kam einiges an Kilometern zusammen“, erinnert sich Thorsten Funk, der das im Nachhinein aber auch als Vorteil ansieht: „Das hat eine höhere technische Vielfalt mit sich gebracht, als wenn man immer nur auf der gleichen Strecke trainiert.“

Aber er war sich auch der Gefahr bewusst, die der hohe Zeitaufwand und das gemeinsame Training mit sich brachten: „Man musste natürlich aufpassen, dass man nicht schon morgens beim Frühstück mit diesem Thema anfängt und es nichts anderes mehr gibt.“ Probleme mit der Doppelrolle als Vater und Trainer habe es hingegen keine gegeben, erzählt er: „Wir haben nur am Ende jeden Jahres entschieden, ob wir noch ein weiteres dranhängen. Dann aber auch richtig.“

Als schwierig hat sich in der Anfangszeit hingegen der Umstand erwiesen, dass sich der Sport seit der eigenen aktiven Wettkampfzeit doch erheblich verändert hat. „Ich konnte meine eigenen Erfahrungen nicht so einfach aufs Heute übertragen“, berichtet Funk, auch wenn er seinerzeit erfolgreich war, DM-Titel holte und international startete: „Aber der Sport ist mittlerweile viel dynamischer, athletischer und anspruchsvoller geworden.“

Die Boote sind nunmehr kürzer als damals, damit wendiger und die Parcours deutlich kürzer. Wo früher noch rund 600 Meter zu bewältigen waren, sind es heute noch rund 300 – bei gleicher Anzahl an Toren. Ganz zu schweigen von der technischen Ausstattung und den Rahmenbedingungen.

„Ich bin mal bei einer Deutschen Meisterschaft Dritter geworden, wobei ich nicht mehr so richtig weiß, ob ich nicht vielleicht ein Tor ausgelassen habe. Aber die Torrichter an der Strecke wussten es auch nicht“, erzählt Funk. Heute undenkbar.

Seitdem die Sportart (wieder) olympisch ist (1992), hat die Professionalisierung auch hier enorme Fortschritte gemacht, natürlich auch in der Trainingslehre. Und wer Funk vom Kanuslalom referieren und schwärmen hört, das geht ineinander über, bekommt einen Eindruck von der Komplexität dieser Sportart: Da ist dann nicht nur von Bootslänge und -form oder Paddellänge und Griffhaltung die Rede, sondern auch von Kehrwasserlinie, von Rücklaufströmung oder davon, dass das Wasser und die Strömung einen eigenen Puls haben, den es zu erfassen gilt.

„Die Frage ist immer, wie ich die Situationen technisch und taktisch auflöse“, sagt er. Eigentlich sei Kanuslalom ja fast schon eine technisch-kompositorische Sportart, in der es gilt, eine Technik in Idealform anzuwenden, ähnlich wie beim Turnen. „Aber eben in chaotischen Verhältnissen. Man muss dann über die Technik variabel verfügen können“, betont Funk. Welche Linie die beste ist? Das entscheidet jeder für sich. „Die Vielfalt ist ja das Tolle“, schwärmt Funk. Angesichts der gestiegenen Ansprüche an die Trainingslehre hat er sich mit entwickelt. Erst hat er den B-Schein gemacht, dann den A-Schein, womit er dann auch für den Deutschen Kanu-Verband interessant wurde. Seit 2005 engagiert er sich nun schon im nationalen Verband, erst für die Jugend- und Junioren-Auswahl, mittlerweile für die U 23. Was er mit der Kurzformel „mehr Engagement als Lohn“ umschreibt.

Im Laufe der Jahre hat er schon so manchen internationalen Titel gewonnen mit seinen Schützlingen, zu denen auf DKV-Ebene aber nie die eigene Tochter zählte. „Das wollte ich nicht“, betont er. Genug zu tun hat er auch so noch.

So verfasst er derzeit als Leiter der entsprechenden AG beim DKV die Rahmentrainingskonzeption (die schon über 300 Seiten umfasst), zudem ist er Mitglied der AG Landeskadertest, und dann arbeitet er noch an der Entwicklung der Trainerausbildung und am entsprechenden Curriculum mit. Um die Pressearbeit im DKV hat er sich auch schon verdient gemacht, Artikel etwa über Geschichtliches und Trainingstechnisches verfasst er ebenfalls noch, und um die Homepage seiner Tochter und Anfragen kümmert er sich auch. Was ihn aber nicht davon abhält, wie zuletzt beim WSV Remagen, in einem Kurs Anfängern seinen Sport schmackhaft zu machen. Und natürlich selbst noch aktiv zu sein. „Ich bin eigentlich jeden Tag auf dem Wasser“, sagt er.

Aber ganz bestimmt nicht dann, wenn Tochter Ricarda bei den Olympischen Spielen an den Start geht. Die eigentlich schon geplante Tour nach Tokio ist ins Wasser gefallen, Angehörige dürfen nicht mit. „Das ist schon in Ordnung, es erspart einem den Gewissenskonflikt, ob man es machen soll oder nicht“, meint Funk. So wird er dann notgedrungen am Fernseher verfolgen, wie sich seine Tochter im rauschenden Chaos schlägt. „Beim Zuschauen bin ich immer total nervös, das ist ganz schlimm“, sagt er. Kunststück, bei so viel Begeisterungsfähigkeit.

Von unserem Redakteur Marcus Pauly