Mainz – Alles beginnt mit einem rund 2000 Jahre alten römischen Grabstein aus dem Landesmuseum. „Leben konnte ich nicht länger als 30 Jahre“, steht dort eingemeißelt in Latein. „Dann nahm mir ein Sklave das Leben, und er selbst stürzte sich kopfüber in den Strom.“
Darunter ist ein Relief zu erkennen mit drei Schafen, einem Hirtenhund und womöglich dem Verstorbenen selbst: Jucundus, der Viehhirte. Es war unüblich im römischen Reich, dass ein Mann dieses Standes einen solchen Stein bekam. Die nicht unbeträchtlichen Kosten übernahm sein Patron, der ihn einst aus der Sklaverei entließ.
Aber warum? Diese Frage stellte sich auch Franziska Franke – und strickte einen Roman darum: „Der Tod des Jucundus“, ein Krimi aus dem römischen Mainz.
Zum Gespräch ist Franke ans römische Bühnentheater oberhalb des Südbahnhofs gekommen. Dort spielt eine entscheidende Szene ihres Buches. Die Autorin wirkt zuerst nicht unbedingt als jemand, der gleich wie ein Wasserfall erzählt, aber über ihr Buch plaudert sie bald sehr angeregt.
„Mainz macht es mir leicht, darüber zu schreiben, weil hier so viel Römisches erhalten ist und weil die Stadt in der Römerzeit eine große Rolle spielte“, sagt sie. Zudem studierte die gebürtige Leipzigerin in Mainz und Frankfurt Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Kunstpadagogik. Als Kind schon kam sie in den Westen, seit 1975 lebt sie in Mainz.
„Mit den Römern habe ich mich schon früher viel beschäftigt, das half beim Schreiben.“
Im Mittelpunkt des Romans steht der ehemalige Sklave Marcus, ein penibler, etwas spießiger Weinhändler in Mogontiacum. Er leidet sehr darunter, dass sein Bruder Lucius ein so leichtsinniger Kerl ist. Das Geschäft schert Lucius wenig, der Wein dafür sehr. Nach einer durchzechten Nacht erwacht er neben dem erstochenen Viehhirten Jucundus. Die Tatwaffe hält Lucius in der Hand, sein Gewand ist blutbefleckt. Marcus stellt Nachforschungen an. Sein Weg führt ihn zum Isis-Tempel, ins römische Theater und sogar auf die andere Rheinseite nach Wiesbaden, nach Aqua Mattiacorum, einer Ansammlung ärmlicher Häuser, die ihre Existenz eigentlich nur einem übel riechenden Schwefelwasser zu verdanken hat. Bald merkt Marcus, dass er einer viel größeren Sache auf der Spur ist als nur dem Tod eines Viehhirten.
Besonders die Hauptfigur, der gar nicht heldenhafte Geschäftsmann Marcus, ist Franke hervorragend gelungen. „Ich habe mein Personal in einer anderen Schicht angesiedelt, als in solchen Romanen üblich“, erzählt sie. „Marcus' Situation als frei gelassener Sklave interessierte mich.“
Zudem zeichnet die Autorin ein bemerkenswert genaues Bild von Mogontiacum. Da lärmen die Händler, im Tempel schwelt Weihrauch, und Heilwasser ätzt den Gaumen. Mainz ist zu hören, zu riechen und Wiesbaden immerhin zu schmecken. „Mein Hauptproblem waren nicht die Personen und die Handlung, es waren diese Alltagsszenen“, sagt Franke. „So habe ich die Römer zu Beginn Rindfleisch essen lassen, bis ich erfuhr, dass etwa die Schlachtung von Ochsen verboten war. Die wurden als Zugtiere gebraucht.“ Also stieg sie auf Schweinefleisch um und entwickelte dazu noch einigen Humor: Marcus bekommt ständig eklige Schweinefüße aufgetragen.
Geschichtsbücher berichten von Kaisern und Feldzügen, von Großen und Mächtigen. Dieser Krimi beschreibt Alltägliches. Franke hat unzählige Details über die römische Lebenswelt zusammengetragen, über Gladiatoren, Sklaven und Legionäre, Handelswege, Theatermoden und Essengewohnheiten. All das tischt sie auf, ohne je in einen belehrenden Ton zu verfallen. Im Gegenteil: Sie mischt es raffiniert unter die Handlung. „Der erste Impuls war, einen spannenden Krimi zu schreiben. Auch wenn alle wichtigen römerzeitlichen Orte von Mainz vorkommen, sollte es nie lehrhaft klingen.“
Das ist rundum gelungen. „Der Tod des Jucundus“ bietet einen römischen Bilderbogen voller bunter, eindrucksvoller und unterhaltsamer Szenen. Franke bringt den Mainzern ihr Mogontiacum ein gewaltiges Stück näher – und ganz nebenbei löst sie mit viel Fantasie das aufregende Rätsel dieses merkwürdigen Grabsteins aus dem Landesmuseum.
Gerd Blase
Franziska Franke: „Der Tod des Jucundus“, Leinpfad Verlag, 290 S., 11,90 Euro.