Bernkastel-Kues
Cusanus: Religiöse Toleranz war seine größte Mission

Bernkastel-Kues – Nikolaus von Kues (1401-1464), genannt Cusanus, war seiner Zeit weit voraus: Er lehnte die zwangsweise Mission von Juden und Muslimen ab und gilt als Vorreiter des interreligiösen Dialogs. Seine Lehre, nach der alle Gegensätze in Gott zusammenfallen, prägte die Philosophiegeschichte. Der Friedensdenker von der Mosel, der vor 550 Jahren gestorben ist, entwarf eine religiöse "Einheit in Verschiedenheit".

Aktualisiert am 11. August 2014 12:28 Uhr

Von Christian Feldmann

Man schätzt ihn je nach Interessenlage als Rechtshistoriker, Mathematiker, Theologen, Kirchenreformer oder Friedenspolitiker. Doch am faszinierendsten erscheint immer noch der universale Blickwinkel seines Denkens.

Mit Vorträgen, Ausstellungen und einem Pontifikalamt wird in diesem Jahr der „Cusaner“ gefeiert, der am 11. August 1464 im umbrischen Bergstädtchen Todi starb. Das katholische Cusanuswerk, das Studienwerk der katholischen Kirche, trägt heute noch seinen Namen.

Sohn eines Moselwinzers

Geboren wurde Nikolaus von Kues 1401 im heutigen Bernkastel-Kues an der Mosel als Sohn eines Weinbauern, Händlers und Moselschiffers. Studiert hat er in Heidelberg und Padua. Rasch machte er Karriere, wurde Dozent an der Universität Köln und Vertreter seines Erzbischofs beim Nürnberger Reichstag. Hier zeigt sich bereits die Widersprüchlichkeit dieses schillernden Lebens: Im Auftrag des Erzbischofs reformiert Nikolaus die Klöster, zugleich rafft er wie ein Besessener Ämter und einträgliche Pfründen zusammen – was damals zum Lebensunterhalt und der Finanzierung (kirchen)politischer Aktivitäten üblich war. Eine seinr bedeutensten Pfründe war das Dekanat des Koblenzer Stifts St. Florin, der heutigen Florinskrche.

Wortführer der Konziliaristen

Diplomatische Missionen führen ihn nach Rom und nach Basel. Hier tagt seit 1431 ein Konzil der gesamten Christenheit, um die Kirche zu reformieren und den Frieden in Europa zu sichern. Nikolaus macht sich zum Wortführer der sogenannten Konziliaristen, die das ehrwürdige synodale Prinzip wieder einführen wollen: Das Konzil soll über dem Papst stehen und dieser nur als Sprecher der Gesamtkirche fungieren.

1437 verhandelt Cusanus im Auftrag von Papst Eugen IV. in Konstantinopel über eine Wiederannäherung von Ost- und Westkirche. Tatsächlich gelingt es ihm zwei Jahre später, den Kaiser von Byzanz und 28 Erzbischöfe nach Italien zu holen, wo auf dem Konzil von Florenz eine Kirchenunion vereinbart wird. Doch die wiedergewonnene Einheit ist nur von kurzer Dauer. Der Kirchenpolitiker und Papstfreund Cusanus mischt überall mit, ist stets mit einem Dutzend Projekten gleichzeitig beschäftigt. Er schlichtet Streitigkeiten zwischen Bischöfen und Domherren, Städten und Orden, er schreibt philosophische Dialoge und theologische Entwürfe, er arbeitet an einer Kalenderreform.

Bischof in Tirol

Der Papst ernennt ihn zum Kardinal und überträgt ihm das Bistum Brixen, heute Südtirol. Cusanus saniert die maroden Finanzen, setzt Kleriker ab. Er wechselt nach Rom, als Generalvikar des Papstes. So-gleich beginnt er, den römischen Klerus zu disziplinieren, verschont aber auch seinen Arbeitgeber nicht mit seinen Ideen: Der Papst soll sich von einem ständigen Konzil aus Kardinälen unterstützen und seine Amtsführung regelmäßig von Visitatoren überprüfen lassen. Im Vatikan stößt von Kues damit natürlich auf taube Ohren.

Was ist von Cusanus geblieben? Er hat keine Schüler um sich gesammelt und kein abgerundetes Lehrgebäude hinterlassen. Aber in seinen zahlreichen Gelegenheitsschriften und Meinungsäußerungen erwies er sich als überaus produktiver Vordenker: Seine Ideen beeinflussten etwa Nikolaus Kopernikus, René Descartes und Leo-nardo da Vinci.

Eine Revolution für die damalige Zeit bedeutete seine Überzeugung, dass der Kosmos unendlich ist. Nach althergebrachtem mittelalterlichen Denken war die Erde der Mittelpunkt des Weltalls. In der Unendlichkeit hingegen kann jeder Stern Mittelpunkt sein, sind möglicherweise auch andere Galaxien bewohnt. Statt des „Unten und Oben“ des gewohnten Weltsystems gibt es eine Vielheit von Sphären, die jeweils das große Ganze repräsentieren.

Nach Berichten von Zeitgenossen ist der Theologe Kues ein tieffrommer Mensch gewesen. Aber er hatte etwas gegen die Manier der Kirchenbeamten, den Schöpfer des Alls in Begriffe und Formeln einzuschließen. Gott, wie er ihn verstand, ist prinzipiell nicht zu fassen: „Ich weiß, dass alles, was ich von ihm weiß, er nicht ist“, resümiert Cusanus, „und dass alles, was ich erfasse, ihm nicht ähnlich ist, sondern dass er vielmehr alles überragt.“

Eigene Propheten für jedes Volk

1453, die Türken haben gerade Konstantinopel eingenommen und dem Abendland droht ein blutiger Religionskrieg, fasst Cusanus seine Konkordanzidee in dem grundlegenden Werk „De pace fidei“ zusammen, auf Deutsch: „Über den Frieden im Glauben“. Den einzelnen Völkern, bemerkt Cusanus, hat Gott jeweils ihre eigenen Propheten und Lehrer gesandt: „So verbirg Dich nicht länger, o Herr (...) Sei gnädig und zeige Dein Antlitz (?), dann wird ruhen das Schwert, der missgünstige Hass und jedes Leiden, und alle werden einsehen, dass unter der Verschiedenheit der religiösen Bräuche nur eine Religion besteht.“

Sein Leichnam wurde in der Kirche San Pietro in vincoli in Rom, sein Herz aber in der Kapelle des von ihm gestifteten St. Nikolaus-Hospitals in Bernkastel-Kues begraben. Kurz vor seinem Tod hatte er das zwischen 1450 und 1458 erbaute Hospital für alte Männer zum Universalerben eingesetzt. Bis heute wird es als Altenpflegeheim geführt. Kues' Handschriften, Predigten und Privatbibliothek kamen fast vollständig ins Hospital. Die Sammlung ist weltberühmt.