Wahlkämpfer Jung, Kohl und Römer im fairen Wettstreit im Gesellschaftshaus
Bürgermeisteranwärter für neue VG Kirner Land debattierten in der „Gut Stubb“: Nach der Podiumsdiskussion steht's unentschieden
Ideale Voraussetzungen für einen Wahlkampfabend mit vielen brisanten Themen: Moderator Rainer Gräff (von rechts) und die Kandidaten Andreas Römer, Thomas Jung und Oliver Kohl genossen die starke Resonanz und dass den Bürgern der Region etwas an der Wahl am 20. Oktober liegt. Fotos (8): Sebastian Schmitt
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Kirn. Volles Haus in der Kirner „Gut Stubb“. Wenn das Gesellschaftshaus sprichwörtlich aus den Nähten platzt und bis auf den letzten Platz besetzt ist, dann ist entweder Fastnacht oder es geht um Fusion oder ums Krankenhaus. Oder eben um Wahlkampf. So wie am Montagabend. Draußen im Foyer und sogar auf der Treppe standen noch Dutzende interessierte Bürger, um sich ein Bild von den drei Bürgermeisterkandidaten Thomas Jung, Oliver Kohl und Andreas Römer zu machen. Diese konnten auf Einladung unserer Zeitung ihre Ambitionen untermauern, Prioritäten setzen. Nein, ein bissiger, hitziger Wahlkampf war das (noch) nicht. Das war auch nicht gewollt. Dreiminütige Vorstellungsrunde, sechs von unserer Redaktion vorbereitete Fragen, dann Feuer frei für Fragen aus dem Publikum. So wurden in gut zweieinhalb Stunden ein gutes Dutzend Themen abgehandelt.

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Dies geschah in sehr kultivierter Manier ohne Spitzfindigkeiten und ohne Zwischenrufe. Schließlich ging's allen um das Wohl von Stadt und Verbandsgemeinde. Die problematische Fusion zweier selbstständiger Verwaltungen und von Stadt und 20 Dörfern steht an. Von daher „vertrugen“ sich die Partner recht gut in der „Gut Stubb“.

Und wer hat jetzt gepunktet? Als erstes die Bürger aus Kirn und Umgebung. Sie haben eindrucksvoll gezeigt, dass ihnen etwas an der Region liegt. Für unseren Redaktionsleiter Rainer Gräff, der die Veranstaltung moderierte, war's ebenfalls ein Heimspiel, denn er war viele Jahre in Kirn tätig. Ein neues Zeitalter werde nach jahrelangen Geburtswehen mit der Fusion eingeläutet, sagte Gräff. Einer der Architekten des Fusionsvertrags, der kürzlich verstorbene Werner Müller, wäre sicherlich gern dabei gewesen, erinnerte er an den früheren Bürgermeister.

Nach Platzwahl per Losentscheid, wie es Fußballer Thomas Jung gewohnt ist, ging's los mit Oliver Kohl. Wirtschaftsförderung, Jugendscout, Hochwasserschutz nannte der 45-jährige SPD-Verwaltungsmann und Werkleiter einige wichtige Stichpunkte. Etliche sahen Kohl nach zweieinhalb Stunden als Punktsieger. Eloquent, wortgewandt, sicher in komplexen Fragen wie Wasser oder Straßenausbaubeiträgen.

Thomas Jung (47) will Alternativen anbieten, Schwung reinbringen, Bürger beteiligen. Viele haben ihm ihre Stimme längst gegeben, die Fußballer der Region sowieso. „TJ“ war aber nicht so locker, wie man ihn kennt. Er punktete später mit Beispielen aus Oberhausen (Energieprojekt, Kletterfelsen als Tourismushighlight, Baumhotels). Außenseiter Andreas Römer (57) als „100 Prozent unabhängiger Kandidat“ (Jung wird von der CDU unterstützt) kämpft in seinen Augen gegen den SPD-Parteiklüngel. Anfangs hielt sich der frühere Chef der Gau-Bickelheimer Autobahnpolizei stark an sein Konzept, schoss aber bei Publikumsfragen später munter und gekonnt aus der Hüfte.

Was war denn jetzt neu in der Debatte? „Nix“, spottete der ein oder andere. Die drei Kandidaten sind schließlich Realisten genug, kennen die begrenzten Möglichkeiten des angestrebten Amtes. Flexibel bleiben, sich nicht auf Wein oder Edelsteine festlegen, Brauerei und SooNahe einbinden, auf Natur setzen. So bringt Römer die Tourismusfrage (lieber Wein oder Edelstein?) auf den Punkt. Jung setzt auf Abenteuersport mit Klettern, Mountainbikepark. Kohl propagiert eine starke Marke vom Rhein bis zum Idarkopf und kein Klein-Klein. Er will zum Beispiel überregionale Radwege, mehr Gastronomie, Ferienwohnungen.

Klimaschutz und Ehrenamt

So gibt's etliche Themen, die nicht in zwei Minuten abschließend zu klären sind, etwa Klima- und Umweltthemenkomplexe. Greenpeace-Aktivist und Grünen-VG-Ratskandidat Horst Schäfer fragte, ob in Sachen Klimawandel endlich die Konzeptlosigkeit in der Region ein Ende hat. Kohl brachte Energiesparvorschläge an Kläranlagen und Hochwasserkonzept, Thomas Jung das nachhaltige, angedachte Oberhauser Energiekonzept, Römer einen Umweltmanager für Trinkwasserfragen ins Spiel. Beim Thema Ehrenamt (Daniel Scholz fragte) und Kinder und Jugendarbeit (Pfarrer Volker Dressel hakte nach) schlug Römer unter anderem die Erhöhung der Feuerwehreinsatzpauschalen vor. Jung will die Ehrenamtskarte, Kohl einen professionellen Kümmerer einstellen.

Das kitzlige Kirn-Land-Thema Trinkwasser brachte Karl-Heinz Buss aufs Tapet: „Steigen Privatinvestoren ein?“ Stefan Hartmann (Hennweiler) stellte die Gebührenfrage. Da zeigte „TJ“ echte Größe, reichte das Mikro kurzerhand an Wasser- und Gebührenfachmann Kohl weiter. Der fragte clever: „Wie lang hab' ich Zeit?“ Abendfüllend wäre es notfalls geworden. Einige von Kohls Knackpunkten: Die Quellschüttung geht zurück, ein Querverbund mit Birkenfeld (aufzubereitendes Talsperrenwasser) gilt's zu untersuchen. Preise werden kostendeckend kalkuliert, die Gebührenfrage 2023 geklärt. Der VG-Rat entscheidet. Für Römer wichtig: Die Versorgung bleibt kommunal, damit nicht Großkonzerne Reibach machen.

„Wir brauchen einen Wertstoffhof“, fordert Karl Reinländer. Die nötige Fahrt nach Sobernheim ist für ihn ein ökologischer Skandal. Kohl verweist auf den Kreis als zuständige Institution und informiert, dass der AWB die in Kirn vorgeschlagenen Flächen ablehnte.

Günther Gerhardt, vor zehn Jahren selbst Bürgermeisterkandidat, bot zum Dauerthema Straßenausbaubeiträge an: Behalten, Abschaffen oder wiederkehrende Beiträge? TJ und Römer sind für abschaffen, auch Kohl will das, gesetzt der Fall, die Finanzierung steht. Einig sind sich die Kandidaten auch in der Personalfrage. Die Führungsebene ist zwar jetzt festgezurrt, die Sachbearbeiterebene wird geklärt, was will der Bürgermeister da 2020 noch ändern? Da ist das Trio einig: Er ist der Boss und wird seine Kernkompetenz nutzen, wenn's drauf ankommt.

Trivial nannte Gerhardt seine Fragen nach der Gestaltung des ersten Arbeitstags als Bürgermeister und nach dem Wunsch der Zeitungsüberschrift nach 100 Tagen im Amt (also am 19. April 2020). Jungs Wunsch: „Ein frischer Wind fegt durchs Kirner Land und durch die Verwaltung.“ Römers Überschrift: „Wir haben den Richtigen gewählt!“ Kohl textet: „Es hat reibungslos funktioniert. Die Bürger sind sehr gut bedient worden!“ Wo ist der Kundennutzen?, wurde noch gefragt: In der möglichen Mitarbeiterspezialisierung, sagen Kohl und Jung; Römer verweist zurückhaltend auf Vorgaben des Landes.

Brust fragt nach der Kultur

Und wie sieht es mit der Kultur und den Partnerschaften aus?, wollte Karl Heinz Brust wissen. Keine Gefahr für Ausstellungen und Partnerschaften sieht Andreas Römer, auch Thomas Jung ist optimistisch, sieht durch die Kulturloge viel Potenzial und stellt sich einen Partnerschaftsverein mit Lenauheim vor. Oliver Kohl verweist auf den stark gefüllten Kulturkalender, der schon unglaublich viel bietet und gern noch ausgebaut werden soll. Demografischer Wandel, Krippenplätze, Ortsbürgernachfolge in Oberhausen, Infrastruktur (wird die Region Kirn „abgehängt“?), Krankenhaus, Schule und Kitas, Integration von 500 Migranten in der Region, Führungskompetenz der Kandidaten, Verwaltungszusammenführung waren weitere Themen, über die wir noch berichten.

Am Ende hätte sich der ein oder andere einen Knopf zum Abstimmen gewünscht. Andere haben im Geiste längst ihre Stimme gegeben. Doch es sind noch dreieinhalb Wochen Zeit. Da gibt's jede Menge Möglichkeiten für Hausbesuche der Kandidaten, eine Podiumsdiskussion in Heimweiler am 9. Oktober, die Oktoberfest-Abende auf der Kirner Wies'n (18. und 19. Oktober). Wichtig ist allen: Die Kirner Region hat die Wahl und sollte mit einer großen Wahlbeteiligung untermauern, dass ihr an der Zukunft etwas liegt.

Für die Kandidaten war es ein erstes Warmlaufen vor großem Publikum. Es gibt genügend Stoff, um die Profile zu schärfen. Dieser Tage bringt auch Andreas Römer seinen Wahlkampfflyer heraus. Dann können am 9. Oktober alle drei Aspiranten ihre Flyer auslegen und sicher bei Gewerbeschau und Bauernmarkt in Kirn eine Woche vorm Wahltag die Werbetrommel rühren. Kohl und Jung hatten am Montag Flyer dabei, packten sie aber auf Verlangen Römers fair ein, weil der passen musste.

Fazit: Der Oeffentliche Anzeiger hat zur Podiumsdiskussion gerufen, und sehr sehr viele Bürger kamen. Viele fanden's (so wie wir) klasse, andere zu lang, andere nicht erschöpfend genug ausdiskutiert. Ein Dank gilt den Hausherren für die Bereitstellung der „Gut Stubb“ und den Hausmeistern Michael Schiel und Viktor Gugenberg. Ein besonderer Dank gebührt Lena und Jochen Lorenz, die in Anbetracht des riesigen Andrangs eine Sonderschicht anhängten. Sie halfen Stühle schleppen, besorgten Getränke. Musikschulleiter Jochen Lorenz gingen die teils kratzenden Saalmikrofone gegen den Strich. Aber der Profi konnte das zum Glück in Ordnung bringen.

Und wer war jetzt der gefühlte „Sieger“ im Saal? „Ganz klar Kohl“, sagten etliche mit Blick auf die Fachkompetenz. „TJ macht's so wie auf dem Sportplatz“, die anderen. Und zu Andreas Römer hörten wir: „Der sorgt immerhin für die Stichwahl am 3. November.“

Von unserem Redakteur
Armin Seibert