Berlin
Birgit Pielen zu Personaldebatten bei den Grünen: Frauen sind nicht per se bessere Politikerinnen

Nachrichtenchefin Birgit Pielen

Jens Weber

Robert Habeck versucht, Personalspekulationen zu dämpfen, die sich um seine mögliche Rolle in einer Regierungskoalition drehen. Es gebe noch keinen Kanzler, deshalb sei die Frage nach einem Vizekanzler völlig irrelevant, erklärte er. Hintergrund sind Berichte von „FAZ“ und „Welt“, wonach Annalena Baerbock nach ihrem Scheitern als Kanzlerkandidatin ihrem Co-Parteichef die führende Rolle in einer neuen Regierung überlassen will.

Die Absprache lautet angeblich: Liegen die Grünen bei der Bundestagswahl unter 17 Prozent, soll Habeck Vizekanzler werden. Die Nachricht verursachte prompt ein kleines Erdbeben bei den Grünen – und nicht nur dort. Denn seitdem wird die Frage diskutiert: Rutschen Frauen, die mit einem ambitionierten beruflichen Vorhaben gescheitert sind, zu schnell wieder in die zweite Reihe? Geben sie zu schnell auf? Ist der Feminismus selbst bei den Grünen am Ende?

Diese Fragen sind es wert, diskutiert zu werden, weil sie grundsätzlicher Natur sind. Im Fall von Baerbock sind sie allerdings leicht zu beantworten: Es ist nichts von alldem. Dass aus den 28 Prozent Zustimmung für die Grünen im April schließlich nur 14,8 Prozent am Wahlabend wurden, lag an einer ganzen Reihe persönlicher Fehler – für sie trägt ausschließlich Baerbock die Verantwortung. Während die Umfragewerte bröckelten, blieb einer standhaft an ihrer Seite: Robert Habeck. Er ließ öffentlich nie einen Zweifel daran, dass er hinter der grünen Kanzlerkandidatin steht. Es gab keine Zwischentöne, keine Sticheleien, keine öffentliche Kritik. Stattdessen viel Rückhalt, viel Lob, viel Ermunterung. Habecks Form der Loyalität ist in der Politik alles andere als selbstverständlich.

Sollte Habeck im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung Vizekanzler werden, könnte man die Grünen nur beglückwünschen. Dann wären sie im politischen Realismus angekommen. So sehr sie ihre Verdienste im Kampf um Gleichberechtigung haben, darf nicht vergessen werden: Das Geschlecht an sich ist noch kein Qualitätsmerkmal. Für Habeck spricht vor allem seine Regierungserfahrung. Er war sechs Jahre lang Minister und stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein – zuletzt in einer Dreierkoalition aus Union, Grünen und FDP. Dass Habeck aus dem Wahlabend am Sonntag gestärkt und Baerbock geschwächt hervorging, liegt an der politischen Erfahrung, die er hat – und die ihr nach wie vor fehlt.

E-Mail: birgit.pielen@rhein-zeitung.net