Koblenz
Bilder im Kopf und auf der Leinwand

The Rhine Phillis Orchestra, das Jazzorchester der Rheinischen Philharmonie, spielte im zweiten Teil des üppigen Anrechtskonzertes.

Tom Frey

Koblenz. „Klassik“ auf der einen Seite, Jazz auf der anderen: Zwei Welten prallen aufeinander – oder eben nicht. Denn im Konzertbetrieb wird meist streng getrennt. Hier bot das vierte Anrechtskonzert in der Sporthalle Oberwerth einen von mehr als 1500 Besuchern gefeierten Brückenschlag.

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Koblenz. „Klassik“ auf der einen Seite, Jazz auf der anderen: Zwei Welten prallen aufeinander – oder eben nicht. Denn im Konzertbetrieb wird meist streng getrennt.

Hier bot das vierte Anrechtskonzert in der Sporthalle Oberwerth einen von mehr als 1500 Besuchern gefeierten Brückenschlag, gar etwas „bundes- oder europaweit Einmaliges“ für den Jazztrompeter und Dirigenten Jörg Engels: „Es gibt schon mal Konzerte, in denen erst ein Sinfonieorchester spielt, danach eine Bigband.“ Dass aber zwischen Rheinischer Philharmonie und dem Rhine Phillis Orchestra große personelle Überschneidungen bestehen, ist bemerkenswert.

Das Erforschen neuer Territorien war roter Faden des Konzertes – und vielleicht noch das unausgesprochene Motto der „Bilder im Kopf“. Denn jenes Kopfkino setzt sofort ein, wenn die Tanz-Episoden aus Aaron Coplands „Rodeo“ uns Assoziationen bringen zu dem Amerika, dass wir aus Western und Co. zu kennen glauben. Und sie sind eine spannungsreiche Konfrontation des Orchesterapparates mit neuen Rhythmen: Es ist schon eine Freude zu erleben, wie quer durch die Rheinische Philharmonie die Füße wippen, der Funke des Wilden Westens überspringt.

Zahllose Bilder entzündet auch die Ouvertüre zur komischen Operette „Candide“: Leonard Bernstein hat eine großartige Satire geschrieben. Ein Amerikaner, der einen Voltaire-Roman mit Mitteln der ureuropäische Kunstform Oper erzählt: Alte und Neue Welt kommen hier lustvoll säbelrasselnd zusammen. Daniel Raiskin, Chefdirigent der Rheinischen, wählt einen sinfonischen Zugriff des satten und großen Klanges. Man könnte in diesem Stück auch groteske Momente herausstellen, mehr auf Gegensätze drängen – aber selbst der späte Bernstein bevorzugte für dieses Werk größere Besetzungen und operngereifte Stimmen.

Im Copland-Ballett hadert die Rheinische noch gelegentlich mit den Fallen, die der Komponist für die Klang- und Rhythmusideale eines klassischen Orchesters ausgelegt hat. Ganz zu sich und seinem Klang findet das Orchester in Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“. Eine gute Überleitung zum zweiten Programmteil, der in der Entwicklung der Musikgeschichte logisch fortschreitet – eben mit den Mitteln des Jazzorchesters.

Jörg Engels erläutert die Werke, die in anspruchsvollen Arrangements etwa aus der Feder von Thad Jones oder Bill Reddie gespielt werden. Und die Rhine Phillis räumen richtig ab: Wer es schafft, ein Publikum, das im ersten Teil noch höflich-bestimmt den Beifall zwischen einzelnen Sätzen auszischte, dazu zu bringen, nach tollen Jazz-Soli in ein Stück hineinzuklatschen, hat seine Sache richtig gut gemacht.

Den größten Solo-Beifall bekommt Dominik Wimmer ab – in der Rheinischen kennt man ihn als Paukist, im Jazzorchester führt er das Schlagzeug in einem atemberaubenden Solo im „West Side Story“-Medley sogar als Melodieinstrument vor: eine ganz starke Leistung. Eva Mayerhofer hat nur zwei Songs lang Zeit, die hohe Kunst des Jazzgesangs vorzuführen – gut, dass es sicher bald wieder ein Wiedersehen mit ihr und den Rhine Phillis gibt.

Schließlich das Finale des üppigen Abends: „Aus der Neuen Welt“ von Antonin Dvorak. Die rundeste Leistung der Rheinischen, die unter Daniel Raiskin die Faszination dieser Sinfonie frisch aufblättert und bestätigt. Die Bilder dazu sind nicht nur im Kopf: Tobias Melle steuert auf großer Leinwand Hunderte Fotos einer USA-Reise bei, von der Freiheitsstatue über eine Pocahontas-Idylle bis zu Naturbildern zwischen Regenbogen und Wasserfällen. Eine mächtige Ebene, die das Orchesterspiel – wie etwa ein Ballett oder ein Pantomime auch – leicht dominieren kann. Eben eine Inszenierung mit Musik, in gewisser Weise auch ein Wettstreit von Auge und Ohr um die Aufmerksamkeit der Besucher – aber offensichtlich ein Publikumsmagnet und ein Angebot, das „Kino im Kopf“ einmal mit neuen Bildern zu versorgen.

Von unserem Kulturchef Claus Ambrosius