Neustadt – Die Stimme klingt zumeist unbarmherzig aus dem Lautsprecher – ganz gleich, ob männlich-markant oder freundlich-feminin: „An der nächsten Kreuzung bitte links abbiegen!“ Ohne ihr kleines, nützliches Navigationsgerät im Auto bliebe bei manchen Autofahrern das Ziel auf der Strecke. Bei vielen jungen Berufsanfängern und Schulabsolventen ist das nicht anders.
Selbst wenn der Abschluss erst mal in der Tasche ist, wissen viele nicht, wohin die Reise hingehen soll. Einen ganz anderen – in Rheinland-Pfalz bislang einzigartigen Weg – schlägt dagegen die Realschule plus in Neustadt (Kreis Neuwied) ein. Der sogenannte Berufsnavigator hilft hier bei der Orientierung am kniffligen Scheideweg ins Arbeitsleben. Clou des ausgeklügelten Systems: Die Neustädter Schüler geben sich die Noten selbst
Der Weg zum passenden Traumjob geht über einen kleinen schwarzen, viereckigen Kasten mit allerhand Zahlen darauf. Fabienne (16), Eva (15) und Mira (14) sitzen vor einem Flachbildschirm, verpassen sich gegenseitig Noten in Durchsetzungsvermögen, Wortschatz oder andere Fähigkeiten, die auf der Mattscheibe erscheinen. Kurz überlegt, eine Taste gedrückt und der Navigator rechnet.
„Die Schüler sind ehrlich zueinander“, weiß Thomas Geist vom Berufsnavigator-Team aus Hamburg, der die Daten erfasst. „Eine Schülerin, die zu spät zur Abstimmung gekommen ist, hat eine Sieben in Pünktlichkeit bekommen“, verrät Geist. Beim Navigator ist die Eins die Bestnote, die Neun – am anderen Ende der Skala – eine Art Höchststrafe.
Nach knapp einer Stunde spuckt der Computer zehn passende Berufe aus
Für die drei Eignungsprofile von Fabienne, Eva und Mira erfasst er die Einschätzung zu 50 Fähigkeiten, die dann den Stärkenreport ergeben. Exakt 52 Minuten dauert das Abfragen der 50 Fähigkeiten der Neuntklässlerinnen, und keine 30 Sekunden später erscheinen die Worte „Die Daten sind erfolgreich berechnet“ auf dem Bildschirm. Der Rechner spuckt zehn Berufe aus, die dem Stärkenprofil entsprechen. Rund 200 verschiedene Berufszweige hat der Computer im Hinterkopf.
„Für manche Schüler ist es wichtig zu wissen, dass sie überhaupt Stärken haben. Das gibt Selbstbewusstsein“, sagt Heinz-Jörg Dähler, Leiter der Neustädter Realschule. Zweieinhalb Tage sind die Zahlenmeister des Berufsnavigators in der Schule zu Gast, um 120 Neuntklässler im Alter von 14 bis 16 Jahren dem Einschätzungstest zu unterziehen. Die Neustädter sind die Ersten in Rheinland-Pfalz, die auf dieses außergewöhnliche Instrument der Berufswahl aufmerksam wurden. Ohne Sponsoren stünde das Projekt vor dem Aus, berichtet Rektor Dähler.
Die Neuwieder Agentur für Arbeit und die Raiffeisenbank Neustadt fördern den Berufsnavigator. Außerdem zahlen die Schüler – respektive die Eltern – einen Obolus. Denn: „Nichts kosten darf es nicht, sonst wird es nicht wertgeschätzt“, findet der Schulleiter.
Aktueller Trend: „Es geht derzeit verstärkt in die naturwissenschaftlichen Berufe“
Einen aktuellen Richtungstrend in Sachen Berufswahl sieht Berufsnavi-Berater Hans-Hinrich Somann: „Es geht derzeit verstärkt in die naturwissenschaftlichen Berufe“, weiß der 72 Jahre alte Elektroingenieur, der bis zu seiner Pensionierung als Ausbildungsleiter tätig war. Begehrt seien Fachkräfte jeden Geschlechts, die im Maschinenbau, in der Elektrotechnik oder bei IT-Berufe Fuß fassen wollen. „Wir können beim Spektrum der Berufe möglichst schnell aktualisieren“, verrät Somann. Klischees von typischen Frauen- oder Männerberufen bedient der Berufsnavigator übrigens nicht: „Für die naturwissenschaftlichen Jobs versuchen wir verstärkt Frauen zu gewinnen“, sagt der Berater, der zusammen mit drei Kollegen mit jedem Teilnehmer die Ergebnisse des Navi-Tests bespricht.
Mira Karlowsky (14) strahlt, als die sieht, was der Berufsnavigator ausspuckt: Tierpflegerin. „Das war schon vor dem Test meine erste Wahl“, meint sie glücklich. Beim Vorschlag Schornsteinfegerin muss sie allerdings grinsen: „Gut, ich brächte allen Glück“, sagt Mira. „Aber vorstellen kann ich mir das nicht.“
Am Ende zählt – trotz Berufsnavigator – immer noch der persönliche Wunsch
Aber: Dass der Berufsnavigator auch mal eine Richtung vorgibt, mit der die jobsuchenden Jugendlichen nichts anfangen können, zeigt das Ergebnis, das Eva Krupp mit Kopfschütteln quittiert. „Auf keinen Fall was-mit-Kindern, kein Büro oder Altenpflege – das liegt mir nicht. Ich bin ein Sprachtalent“, sagt sie vor dem Test selbstbewusst.
Doch die Maschine spuckt „Kinder- oder Altenpflege“ als Favoriten aus. Evas Wunschberuf Fremdsprachenkorrespondentin ist zwar unter den zehn Jobvorschlägen. Er landet aber lediglich auf Platz acht. Ihr Zweitwunsch Floristin taucht gar nicht auf. Eva Krupp steht aber nun nicht orientierungslos da: Sie weiß auch ohne Navi schon, wohin die Richtung geht. „Ich möchte ein Praktikum als Floristin machen.“
Von unserem Redakteur Mario Quadt