Mainz
Bernd Thewes lässt stumme Filme sprechen

Mainz - Bernd Thewes ist Stummfilmkomponist. In seinem Atelier in der Mainzer Neustadt taucht er ein in die Filmwelt der 20er-Jahre.

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Mainz – Das Zentrum des Arbeitsplatzes von Bernd Thewes bildet ein Keyboard. Um ihn herum sind mehrere Lautsprecher angeordnet, vor ihm steht ein großer Computerbildschirm.

Dort sind mehrere Sichtfenster geöffnet. In einem läuft ein schwarz-weiß Film ab, in dem anderen ist ein Notenblatt zu sehen, in das Thewes mit der Tastatur Eintragungen macht. Der 53-Jährige ist hauptberuflicher Stummfilmkomponist.

In seinem Atelier in der Mainzer Neustadt taucht er ein in die Welt der 1920er-Jahre. Für viele Filme, die in dieser Zeit entstanden, existiert überhaupt keine spezielle Musik. In den Bibliotheken gab es damals Bände mit „Musik für alle Gelegenheiten“.

Dort konnten sich Musiker, die Stummfilme begleiteten, ansehen, was gespielt wird, wenn im Film Krieg herrscht, eine Liebesszene zu sehen ist oder eine Fest gefeiert wird. Für den Fernsehsebder arte schrieb Bernd Thewes daher zum Beispiel eine komplett neue Musik zu „Die Gezeichneten“, ein Film von 1922 über ein Judenprogrom in Russland.

Ton und Bild gleichberechtigt

Für Bernd Thewes ist so etwas ein Glücksfall. Am dem Genre reizt ihn, dass die Musik gleichberechtigt neben dem Bild existiert. In den heutigen Tonfilmen hat sie mehr oder weniger die Aufgabe, nicht weiter zu stören.

„Im Stummfilm dagegen, müssen beide Medien miteinander tanzen.“ Einen Spielfilm à la Hollywood zu vertonen, das würde ihn nicht interessieren. „Diese Musik ist meistens im Stil der Hochromantik komponiert.“ Er beschäftigt sich lieber mit der experimentellen Musik. Und die ist im Stummfilm eher gefragt. Häufig ist es aber so, dass die Partituren zu einem Streifen oder Teile davon noch existieren. Dann ist Bernd Thewes als Bearbeiter gefragt.

Wie zum Beispiel bei dem legendären Film „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ oder bei seinem aktuellen Projekt „Der Sprengbagger“ von 1929. „Das ist ein typisches Thema für diese Zeit“, sagt Thewes. Es geht um die Begeisterung des Menschen für die Technik und die Zerstörung der Natur. Diese thematische Ebene ist eingebunden in die Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen einem Erfinder, einer fortschrittlichen Ingenieurin und einer naturverbundenen Frau vom Land.

Bewegungen als Musik

Die Bewegungen der Maschinen werden in der Musik abgebildet. Bernd Thewes stoppt genau nach wie schnell gespielt werden muss, damit Bild und Ton zusammen passen. Die Tempoangaben trägt er in die Partitur ein. Auch wenn einer Person der Hut vom Kopf geweht wird und dies Geste musikalisch dargestellt wird, macht er einen Vermerk für den Dirigenten. Manchmal muss Thewes aber auch ganze Passagen dazu komponieren, wenn Teile der Noten verschollen sind. Oder er muss streichen, wenn das Filmmaterial Lücken hat.

Komponieren im Selbststudium

Das Interesse an der Filmmusik hat sich bei Bernd Thewes nach und nach entwickelt. Zunächst studierte er Schulmusik in Saarbrücken. Da er aber nicht als Lehrer arbeiten wollte, schrieb er sich in Mainz für Musikwissenschaften ein und beschäftigte sich nebenher im Selbststudium mit dem Komponieren. Dabei pflegte er schon immer Kontakte zu bildenden Künstlern.

So kam es, dass er zu einem studentischen Filmprojekt die Musik schrieb, was ihn damals schon faszinierte. Da er als Komponist auch viel in der sogenannten „Neuen Musikszene“ unterwegs ist, lernte er irgendwann die Redakteurin kennen, die bei arte für Stummfilme zuständig ist. Seitdem beschäftigt er sich hauptberuflich mit Stummfilmen und hat damit sozusagen seinen Traumberuf gefunden.

Claudia Bathe