Von unserem Autor Andreas Pecht
Die Gewohnheiten aus dem Erbe des romantischen Handlungsballetts wirken lange nach, obwohl das wortlose, abstrakte Ballett als nächster Verwandter der absoluten Musik gelten darf. Und wie etwa eine Sinfonie ohne erzählendes Programm unmittelbarsten Zugang zu Gemüt und Seele des Hörers findet, so kann der Betrachter auch purer Form und reinem Gefühl handlungsloser Ballettkunst den geraden Weg zum Herzen öffnen.
Ballettchef Steffen Fuchs hat für die aktuelle Produktion mit seiner Kompagnie am Theater Koblenz vier berühmte Kompositionen von Johann Sebastian Bach ausgewählt. Vom Band eingespielt werden drei wortlose Stücke sowie die Solokantate „Jauchzet Gott in allen Landen”. Das summiert sich im kleinen Rahmen der Probebühne 4 unter dem Titel „Bach-Ballett” zu einem 90-minütigen, abwechslungsreichen Abend. Der ist bis zur Pause von teils sehr ernstem Charakter, bietet nachher zwei frisch-frech-humorige Kabinettstückchen.
Feinsinnig umgesetzt
Den Auftakt macht „Horror Vacui”, Bachs Concerto a-Moll für vier Cembali. Fuchs bietet dafür nur drei Akteure auf, die durch hochmusikalisches und sehr präzises Miteinander im neoklassischen Stil bestechen: Michael Waldrop, Isaac Campbell und als Frau im Spiel Kaho Kishinami. Überhaupt bleiben die Tanzbesetzungen an diesem Abend klein. Das entspricht der Intimität des leeren Aufführungsraumes, schafft zugleich Konzentration auf die feinsinnige, nicht zuletzt durch Nahbetrachtung beeindruckende Umsetzung.
Beim Auftaktstück wird nach wenigen Takten klar, wie der Choreograf die Bach-Sache angepackt hat. Der Tanz hebt in diesem Fall nicht auf die Sichtbarmachung der komplexen Kompositionsstrukturen ab, sondern auf das tänzerische Äquivalent zum Charakter, zur Stimmung der Musik. Im Fall der grandiosen Chaconne aus Bachs Partita No. 2 wird daraus ein teils auf Spitze getanztes Ballett von hoher formaler Strenge – mit einem Unterton von Begierde. Drei Männer im schwarz-grauen, körperbetonten Dress haben es mit Ami Watanabe und Meea Laitinen in roten Leggings zu tun (Kostüme ebenfalls Fuchs).
In wechselnden Konstellationen schöpft die Choreografie reichlich aus dem Repertoire des klassisch orientierten Paartanzes, mehr noch aus den neoklassisch entfalteten Triofiguren mit ihren vielfältigen, sich aus zwei Hebern für eine Tänzerin ergebenden Möglichkeiten. Und: Fuchs gibt allen Raum, sich auch solistisch vorzustellen. Da beeindrucken beide Damen mit kunstvoller Überhöhung des (klassisch) Weiblichen, empfiehlt sich Arkadiusz Glebocki wieder einmal als Charaktertänzer mit längst nicht ausgeschöpftem Potenzial.
Heiterkeit prägt den zweiten Teil
Schmunzeln, Lachen, tosender Beifall dann im zweiten Abendteil. Die Solokantate führt drei unschuldige Mädels in knielang flatternden Frühlingskleidern zusammen. Das „Jauchzet” des Musiktitels wird als Leitmotiv in reizend keckes Tanzspiel übertragen – an dem auch der liebe Gott seine Freude hätte, obwohl er darin keine Rolle mehr spielt. Dabei imitieren Clara Jörgens und Léa Périchon im augenzwinkernden Girly-Duo mit witzigen Schritten quasi den Continuo-Part der Komposition. Während Chio Kawabata wie ein Schmetterling munter und frei die Gesangsstimme umschwirrt.
Auf Mädels folgen abschließend zum Brandenburgischen Konzert Nr. 3 Buben. Waldrop, Glebocki, Campbell, Ivan Kozyuk und Pierre Doncq dürfen in hellblauen Turnhöschen dichte Serien von sportiven, burschikosen, gockelnden Hochtempo-Formationen hindurch jede Menge Schweiß vergießen – nur zwischendurch kurz beim Anblick einer schönen Frau im offenen Kimono erstarren. Streiten könnte man, ob das eine passende Interpretation des Bach'schen Konzerts ist. Der Charakter der Musik erlaubt solchen Übermut jedenfalls (auch), und also lassen wir uns die Freude am Tanzspiel auf bei diesem Abend rundum bemerkenswert hohem Niveau nicht nehmen.