Die Anzahl derer beim FSV Mainz 05 und im Umfeld des Bundesligisten, die drei Kreuzzeichen machen, wenn diese Saison am nächsten Samstag vorüber ist, dürfte groß sein. Dann hat das Drama endlich ein Ende. Dann kann sich der Klub neu ausrichten, sich personell neu aufstellen. Der letzte Auftritt dieser Spielzeit vor ausverkauften Rängen in der Coface-Arena hat noch einmal brutal vor Augen geführt, wie sehr die Mannschaft von Thomas Tuchel auf dem Zahnfleisch geht. Der Auftritt bei der deprimierenden 2:4-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach nach eigener Führung war nur bedingt bundesligatauglich.
Platz zwölf kaum haltbar
Glücklicherweise hat dieses Team frühzeitig die nötigen Punkte gesammelt, um nicht noch in die Abstiegszone zu rutschen. Das große Zittern bleibt den Mainzern also erspart. Doch die Umstände lassen vermuten, dass es Tuchel und dessen Profis nicht gelingen wird, den zwölften Tabellenplatz zu halten. Die Befürchtung liegt nahe, dass die 05er nach dem Auswärtsspiel in Stuttgart im Endklassement Platz 13 und damit den letzten sicheren Rang im Niemandsland der Bundesligatabelle einnehmen. Nach einem Rückrundenstart von Position sechs aus.
Wer Realist genug sei und die vergangenen Wochen betrachte, könne nichts anderes erkennen als eine Niederlage in der Bundesliga, die in dieser Aufstellung ziemlich normal sei gegen einen Gegner wie Gladbach, erklärte der 05-Trainer nach dem Debakel. „Ich muss konstatieren, dass das alles zu viel für uns ist in dieser Zusammensetzung, gepaart mit der mentalen Verfassung, in der einige Spieler auf dem Platz stehen“, betonte Tuchel. „Das sind zu viele Dinge, die wir nicht kompensieren können. Schauen Sie einfach auf unsere Aufstellung.“
Das Fehlen von Stammspielern und Leistungsträgern Marke Elkin Soto, Adam Szalai, Niki Zimling und Jan Kirchhoff oder eines Hoffnungsträgers wie Eric-Maxim Choupo-Moting schlägt in einem Kader, wie dem der 05er, irgendwann einfach massiv ins Kontor. Dazu drei Profis in der Mannschaft, deren Verträge vom Klub nicht verlängert werden, was bei allem Engagement an deren Leistung abzulesen war. Dieses Potpourri von Problemen zwingt dann junge Spieler wie Shawn Parker und Yunus Malli in tragende Führungsrollen und in Schuhe, die eine Nummer zu groß sind.
„Wenn wir in voller Besetzung antreten, müssen wir uns schon gewaltig strecken, um in dieser Liga erfolgreich sein zu können“, so der 05-Trainer. „Wenn wir aber überhaupt keine Möglichkeiten mehr haben, taktisch oder personell einzugreifen, dann ist das zu viel. Aus einer solchen Instabilität entstehen Fehler.“
Parkers schönes Führungstor
Genügend im Laufe der Partie. Ein mehr als ordentlicher Start schien zunächst anzudeuten, dass allem Unbill zum Trotz doch noch einmal etwas gehen könnte. Shawn Parkers schöner Führungstreffer belegte dies. Die Möglichkeiten waren da, diesen Vorsprung auszubauen. Doch die Mannschaft verlor komplett ihr Spiel gegen einen besser werdenden Gegner. Dann das übliche: Ein dicker Malli-Fehler leitete den Konter zum Ausgleich ein. Der gelang den Gladbachern mithilfe eines Elfmeters, der keiner war, da Bo Svenssons Gezoppel am Gegner (fünfte Gelbe Karte für den Innenverteidiger) vor dem Strafraum erfolgte. Dann die schwache Verteidigung von Nikolce Noveski, gefolgt von der unglücklichen Rettungsaktion von Radoslav Zabavnik, die Branimir Hrgota zu seinem zweiten Tor nutzte. Ein Caligiuri-Fehlpass ermöglichte Mike Hanke in letzter Konsequenz das 3:1. Und schließlich eröffnete Zdenek Pospech mit dem nächsten Fehlpass Hrgota das 4:1. Zu viel des Schlechten. Und wenn der Gegner dann noch den einzigen 05er mit Zug zum Tor (Nicolai Müller) aus dem Spiel nimmt, dann gibt es zurzeit keinen 05-Angriff, der diesen Namen verdiente.
„Das ist kein Zustand“, sagte Tuchel, „dass die reine Anwesenheit am Freitag reicht, um in den Spielkader zu kommen.“ Aus diesem Grund, sagte der Coach, „bin ich froh, wenn es nächste Woche vorbei ist.“ Das ist die eine Seite der Medaille. Die Darstellung der sportlichen Leitung.
Wo Tuchel aus seiner Sicht den Schaden, den diese letzte Heimspielniederlage anrichtete, nicht erkennen will, angesichts der Umstände, hört sich das auf der andere Seite schon anders an: Beim Klub und dessen Anhängern, quasi den Auftraggebern an Trainer und Profis. Für diese 05er ist der schleichende Absturz ein echtes Drama, das die Stimmung im Verein und in der Stadt, die komplette 05-Atmosphäre äußerst negativ beeinträchtigt. 15 Rückrundenpunkte sind die Bilanz eines Absteigers. Und ein sehr mieses Marketing für im Hinblick auf Dauerkartenverkauf und Saisonplanung. Dass die Mainzer Fans die Situation auf ihre ureigene Art und Weise begleiteten, sollte der Verein als ganz großes Plus werten. Ein wenig Fatalismus, etwas Sarkasmus, selbst choreografierten Torjubel, das Feiern von Ex-05ern – dieser Umgang hatte viel aus alten Bruchwegzeiten und zeigte, dass die Mainzer die Situation verstehen, aber auch Lösungen erwarten.
Enttäuschung bei allen groß
„So etwas muss man nicht unbedingt erleben“, kommentierte Harald Strutz die Heimniederlage frustriert. „Unseren Fans hat man es nicht angemerkt, aber die Enttäuschung ist bei allen groß.“ Er sei weit davon entfernt diese Saison als Ganzes in Frage zu stellen. „Doch das, was uns mal stark gemacht hat, ist in den letzten Spielen nicht mehr da gewesen“, sagte der 05-Präsident. „Das ist schade, ärgerlich und bitter für uns als Verein, denn das trübt die allgemeine Stimmung und nimmt etwas die Vorfreude auf die neue Saison. Genau die aber brauchen wir dringend im Moment.“
Mainz 05 habe schon schlimmere Zeiten erlebt, sagte Strutz. „Einen guten Tabellenplatz haben wir jedenfalls etwas zu einfach weggegeben.“
Jörg Schneider