RZ-AdventskalenderDie Privatbibliothek in der Reichsburg ist gut versteckt
9. Türchen im RZ-Adventskalender: Wo der Burgherr die Muße zum Lesen fand
Burgführerin Sabrina Rataj hat die RZ in die geheime Bibliothek der Reichsburg geführt. Foto: Verena Düren
Thomas Kölsch

Cochem. In unserem Adventskalender möchten wir Einrichtungen, Gebäude und Institutionen vorstellen, die gewöhnlich nicht öffentlich zugänglich sind. Dieses Mal hat unsere Autorin die Privatbibliothek der Reichsburg in Cochem besucht.

Eigentlich ist es nur ein kleiner Knopf im Boden, fast ein wenig wie ein Türstopper. Das romanische Zimmer auf der Burg Cochem wirkt spartanisch, eher wie ein Durchgangszimmer. Als normaler Besucher und ohne eine Burgführerin wie Sabrina Rataj würde man vermutlich einfach durchlaufen – wäre da nicht dieser Knopf im Boden, der unter ihrer Anleitung die kleine Tür in der Wandvertäfelung öffnet. Die rechte der beiden Geheimtüren in der Wand ist das heutige Adventstürchen und führt eine enge Steintreppe hinunter in die Privatbibliothek des letzten Besitzers der Burg, Louis Ravené.

„Die mittelalterliche Burg wurde 1698 von den Franzosen völlig zerstört und in Brand gesetzt. Danach stand nur noch eine Ruine. 1868 wurde sie erst von dem Berliner Kaufmann und Eisenhändler Louis Ravené für 300 Goldmark gekauft. Das muss man für eine Burg als einen eher symbolischen Wert ansehen“, erzählt Sabrina Rataj. Die aus Metz stammende hugenottische Familie Ravené kam als Glaubensflüchtling nach Berlin. Dort baute die Familie sich schnell eine Existenz als Gelb- und Glockengießer auf. Durch Heirat stieg man dann auch in den Eisenhandel ein. Man vermutet, dass Ravené auf die Ruine in Cochem aufmerksam wurde, als es Pläne für eine Eisenbahnlinie zwischen Koblenz und Metz gab – für ihn als Eisenhändler ein interessantes und rentables Unterfangen. „Zu der damaligen Zeit, also im 19. Jahrhundert, das auch stark von der Rheinromantik geprägt war, war es schlicht chic bei den reicheren Leuten, eine Burg zu besitzen.“

Der Kauf der Burg war damals mit gewissen Auflagen verbunden, so sollten beispielsweise die vorhandenen Teile der Ruine beibehalten werden, und die Burg sollte in Teilen auch für die Öffentlichkeit offenstehen – zumindest, wenn die Familie gerade nicht vor Ort war. Der Wiederaufbau ging – für heutige Verhältnisse beneidenswert – schnell über die Bühne: 1874 wurde dieser begonnen und nur drei Jahre später fertiggestellt. Die Planungen für die Außengestaltung der Burg orientierten sich an den Auflagen beim Kauf, sodass man von außen betrachtet eine neugotische Burg sieht. In der Innengestaltung war Ravené freier: Diese legte er in die Hände von Prof. Ernst Ewald aus Berlin, der die heute noch vorhandenen Malereien zu verantworten hat und verschiedene Baustile einfließen ließ – 1000 Jahre Baugeschichte sind hier zu entdecken.

Ewald war es auch, der die kleine Bibliothek entworfen hat, die oberhalb des Haupttores liegt – von einem Fenster mit Blick zum Hof, vom anderen mit Blick zur Stadt. Passgenau wurden hier schöne Bücherregale eingefügt sowie weitere Möbel. Eine kleine Leseoase versteckt vor allen anderen. „Leider gibt es keine Bestandslisten von Ravenés Bibliothek, und die Familie hat beim Verkauf 1942 natürlich alles mitgenommen“, erzählt die Burgführerin. Aber man darf vermuten, dass der Kunstliebhaber und -sammler Ravené auch literarisch auf Qualität setzte. Und obschon dieser Raum wirklich privat war, ist auch dessen Decke wunderschön gestaltet:

Wie in der ganzen Burg findet sich auch hier Brandmalerei. Ravené hat hier die Konterfeis berühmter Geistesgrößen an die Decke malen lassen, unter ihnen Dante, Goethe, Luther oder auch Johannes Gutenberg. In einer kleinen Ecke birgt diese Privatbibliothek eine weitere, geheime Tür, die bis heute kaum erforscht ist. Sie führt zu einem Gang, der in die Burgmauer hineingeht, aber bald zugemauert ist. „Wir wissen bis heute nichts Genaues über diesen Gang, aber vermuten, dass er ein Geheimgang zur Stadt hin war“, so Rataj. Es gibt also noch einige Türchen, hinter die man auf Burg Cochem schauen kann.

Von unserer Mitarbeiterin Verena Düren