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Im Mittelpunkt ein Menschenleben

Foto: AdobeStock

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom ist heilbar. Wie sich die Behandlung von Morbus Sudeck (CRPS) grundlegend geändert hat.

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Ohne Schmerztabletten ging gar nichts mehr. Und Heidi Schubert glaubte auch nicht mehr daran, dass sich ihr Zustand bessern würde. Vor drei Jahren zertrümmert sie sich bei einem Arbeitsunfall die Mittelhandknochen der linken Hand. Die Brüche werden operativ versorgt und anschließend lange eingegipst. Trotzdem leidet die Mitarbeiterin einer Lebensmittelkette ständig unter Schmerzen. „Ich habe nur noch Tabletten genommen. In jeder Tasche hatte ich vorsorglich welche gesteckt“, erzählt sie rückblickend.

Heidi Schuberts Hand quillt an, ist extrem empfindlich bei jeder Berührung. „Ich konnte mir keinen Pulli mehr überstreifen, selbst Wasser auf der Haut tat weh.“ Nach zwei Jahren Quälerei geht sie zum Arzt. Es wird vermutet, dass es an dem Metall liegen würde, mit dem die Knochen bei der Operation fixiert wurden. Das Metall wird entfernt, doch die Schmerzen werden nicht besser.

Heidi Schubert ist verzweifelt. Sie ist 53 Jahre alt. Sie möchte arbeiten, ein ganz normales Leben führen, mit ihrer Familie etwas unternehmen, den Haushalt führen und ihren Hobbys nachgehen. Sollte das alles nicht mehr möglich sein? Sie sucht weiter nach Behandlungsformen. Die Berufsgenossenschaft schickt sie daraufhin zu Dr. med. Bernhard Kügelgen ins Therapie-Zentrum Koblenz. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Physikalische und Rehabilitative Medizin ist spezialisiert auf chronische Schmerzsyndrome. Mit der Unfallkasse Rheinland-Pfalz wurde eine Studie über posttraumatische Chronifizierungen durchgeführt.

„Ich bin mit einem komischen Gefühl in das Therapie-Zentrum gefahren. Ich dachte, ich werde jetzt zur Simulantin abgestempelt“, erzählt sie lachend. „Aber von wegen. Hier hat man mir das erste Mal wirklich zugehört“, sagt sie begeistert. „Eine Stunde lang habe ich Dr. Kügelgen von meinen Beschwerden erzählt.“ Für den Schmerztherapeuten ist dieser intensive Erstkontakt extrem wichtig. Jedes Detail des Krankheitsverlaufes ist für die Diagnose und anschließende Behandlung bedeutend. Dr. Kügelgen stellte ein CRPS (Complex Regional Pain Syndrom) fest, früher auch als Morbus Sudeck bekannt.

Heidi Schubert während der Reha im Therapie-Zentrum Koblenz.

Therapie-Zentrum Koblenz

Heidi Schubert – Das Ziel ist, wieder arbeiten zu können.

Therapie-Zentrum Koblenz

CRPS (Morbus Sudeck) ist eine Erkrankung der Extremitäten. Sie tritt vor allem dann auf, wenn die Körperteile, aus welchen Gründen auch immer, längere Zeit ruhiggestellt sind. Der Schweregrad der Verletzung ist dabei unerheblich. Die Ursache kann sowohl ein Insektenstich sein als auch ein Knochenbruch. Tatsache ist, dass man bei 60 % der Patienten nicht weiß, weshalb sich das CRPS entwickelt hat. Bei 40 % der Patienten tritt es als Folge eines Unfalls oder einer Operation auf.

„Durch Ruhigstellung kann es zu dieser Erkrankung kommen mit äußerst unangenehmen Schmerzen und Schwellungen und anderen Symptomen“, erklärt Dr. Kügelgen. „Man spricht von neuropathischen Schmerzen.“ Diese Schmerzen treten zunächst bei Belastung auf. Dann bereits bei bloßer Bewegung. Hier ist die Gefahr groß, dass die Gelenke einsteifen können, weil der Patient Schmerzen vermeiden will und die betroffene Extremität möglichst wenig bewegt. Und letztendlich tritt der Schmerz selbst in Ruhephasen auf. Eine ungestörte Nachtruhe ist zum Beispiel nicht mehr gegeben.

Die Diagnose eines CRPS (Morbus Sudeck) ist nicht einfach. Hierfür gelten bestimmte Kriterien, die erfüllt sein müssen. Häufig werden Schmerzmittel gegen die Schmerzen verschrieben. Aber: So wirksam die Schmerzmittel bei akuten Schmerzen sind, so wenig sind sie bei chronischen Schmerzen zielführend. Auch stärkste Schmerzmittel büßen nach wenigen Monaten ihre Wirkung ein; die Nebenwirkungen bleiben jedoch. Dr. Kügelgen verweist auf eine hochkarätige Leitlinie aus dem Jahr 2009, die genau das wissenschaftlich belegt.

Nach dem Absetzen von Schmerzmitteln kann es zu Entzugserscheinungen kommen, die aber in den Griff zu kriegen sind. Das CRPS entsteht durch eine längere Ruhigstellung der Extremität. Das Gehirn passt sich darauf an. Diese Entwicklung kann durch eine geeignete Therapie zurückgebildet werden. Das gelingt nicht, wenn das Gehirn gleichzeitig durch Schmerzmittel betäubt wird.

Beim CRPS handelt es sich nicht um eine psychische Erkrankung. Einfach ausgedrückt: Die Gehirnfunktion verändert sich infolge der Minderbewegung einer Extremität. Die extremen Schmerzen beeinträchtigen jede Bewegung, so dass es auch zu Bewegungseinschränkungen durch Veränderungen der Gelenke, der Muskeln und Sehnen kommt. Das Gehirn passt sich den Gegebenheiten an. Wird eine Extremität nicht mehr bewegt, schaltet das Gehirn auf Ruhe um und bleibt in diesem Modus. Wird, wie bei Heidi Schubert die Hand nun aber doch bewegt, empfindet sie starke Schmerzen, weil das Gehirn diese Bewegung so nicht mehr vorsieht. Ein Kreislauf beginnt: Weil die Hand schmerzt, wird jede Bewegung vermieden und die Veränderungen des Gehirns nehmen weiter zu.

„Dieser Lernprozess des Gehirns muss in kleinen Schritten zurückgebildet werden“, so Dr. Kügelgen. „Ersten kleinen Bewegungen der erkrankten Extremität folgen erste Veränderungen des Gehirns, so dass wieder etwas mehr Bewegung möglich wird.

Schmerzmittel lassen wir deshalb weg, weil die Erfahrung zeigt, dass sie die Lernfähigkeit des Gehirns stark behindern bzw. komplett aufheben.“

Zehn Wochen dauert Heidi Schuberts leistungsorientierte Reha mit alltagsorientierten Tätigkeiten. „Ziel unserer Reha ist es“, so der Ärztliche Leiter des Therapie-Zentrums, „den Patienten wieder am Leben teilhaben lassen zu können. Deshalb schauen wir uns genau seinen Arbeitsplatz an, seine Tätigkeiten und stimmen die Übungen ganz individuell auf sein persönliches Defizit ab. Unsere Wiedereingliederungsquote bei dieser Erkrankung liegt bei 85 %.“

Heidi Schubert beginnt ihre Reha mit Wechselbädern. Dadurch wird ihre Hand schonend desensibilisiert. Sie greift in Kistchen mit Raps, bewegt die Finger. Die Übungen dauern nie sehr lange, aber Heidi merkt spürbar, dass etwas Positives passiert. Nach bereits vier Wochen ist sie hellauf begeistert. „Ich hatte einen Knubbel auf der Hand. Der war weg! Ich habe meine Hand wieder als einen Teil von mir wahrgenommen und konnte sie auch spontan einsetzen. Ich habe einen Ball gefangen, der mir zugeworfen wurde. Das war früher nicht mehr möglich“, erzählt sie ganz begeistert.

In der zweiten Phase beginnt das arbeitsplatzspezifische Training. Hier werden Arbeitsplätze und Tätigkeiten simuliert. Für Maurer stehen Backsteine parat, es gibt Mülltonnen, Fliesen, Kisten oder auch Krankenbetten für Pflegepersonal. Heidi Schubert arbeitet im Lebensmitteleinzelhandel. Regale einräumen, kassieren – alles Tätigkeiten, die sie ausführen muss. Für Heidi werden 25-kg-schwere „Bananenkisten“ gepackt, die sie, wie im Berufsalltag auch, anpacken, heben und dann ins Regal stellen muss. Die Arbeitstherapeutin überprüft das Training genau und entscheidet, wann die nächste Schwierigkeitsstufe, das nächste Zwischenziel avisiert werden kann. Acht bis zehn Minuten dauert eine Einheit. „Das ist ganz schön anstrengend“, beschreibt Heide das Training. „Aber die Motivation ist hoch, weil ich mein Ziel, wieder arbeiten zu können, vor Augen sehe.“ Und so geht sie gleich weiter zur „Kasse“. Hier wird der Bewegungsablauf des Herüberziehens der Ware vom Laufband über den Scanner zum Kunden trainiert. Fast schmerzfrei! Heidi strahlt und ist glücklich.

„Eine Reha muss zum Ziel einen Rückgewinn an Teilhabe haben, nicht nur die Verbesserung der Befindlichkeit. Erfolg heißt daher: gelungene Wiedereingliederung“, sagt Schmerztherapeut Dr. Kügelgen.

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