Berlin

Wulff und der Boulevard hatten sich entfremdet

Früher konnte Bundespräsident Wulff besser mit den Boulevard-Medien.
Früher konnte Bundespräsident Wulff besser mit den Boulevard-Medien. Foto: DPA

Es soll durchaus schon mal passieren, dass auf der Mobilbox die Stimme eines enttäuschten Freundes erklingt, der minutenlang mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen seinem Ärger Luft macht. Aber dass ein Politiker auf diese Weise das Handy von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann zum Kronzeugen seiner Entgleisung macht, dürfte schon seltener vorkommen.

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Berlin – Es soll durchaus schon mal passieren, dass auf der Mobilbox die Stimme eines enttäuschten Freundes erklingt, der minutenlang mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen seinem Ärger Luft macht. Aber dass ein Politiker auf diese Weise das Handy von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann zum Kronzeugen seiner Entgleisung macht, dürfte schon seltener vorkommen.

Vom Bundespräsidenten selbst hätte man es nicht erwartet.

Doch als Diekmann am 12. Dezember in der Nähe von New York seine Mobilbox abrief, hatte die Technik den Versuch des Staatsoberhauptes, eine Berichterstattung über seinen Privatkredit zu verhindern, Wort für Wort aufgezeichnet. Über Minuten. Und nicht nur das. Christian Wulff hat nach Informationen unserer Zeitung, die der Konzern bestätigte, am selben Tag auch telefonisch bei Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner mit demselben Anliegen am Rande eines Abendessens des Springer-Aufsichtsrates lautstark und heftig interveniert.

Ein Bundespräsident macht so etwas nicht. Der lässt höchstens dezent und über mehrere Ecken verschleiert vorsichtig nachfragen. Wenn er denn überhaupt damit etwas zu tun haben will. Aber ein Christian Wulff hat offenkundig andere Erfahrungen beim Umgang mit den Boulevard-Medien.

Positive Erfahrungen mit dem Boulevard

Im Falle des niedersächsischen CDU-Wahlsiegers mit Schwiegersohn-Image und Ministerpräsidenten mit dem Touch einer möglichen Kanzlerkandidatur sind es überaus positive Erlebnisse. Über Jahre hinweg. Zumindest bis 2010.

Wie eng die Beziehungen zwischen Wulff und Boulevard waren, zeigt etwa die Berichterstattung nach dem Aus seiner ersten Ehe 2006. „Bild“ konnte sogar berichten, was Wulffs Psychologin ihm geraten hatte, um mit den Gewissensbissen seiner Tochter gegenüber zurecht zu kommen. Leseprobe: „Sie sagte ihm, dass eine Trennung für Annalena besser sei, als mit dem Gefühl zu leben: Mama und Papa bleiben nur ihretwegen zusammen.“

Nach dem Verständnis für das Scheitern der Ehe begleitet „Bild“ den Ministerpräsidenten durch die neuen Glücksgefühle. „Selbst überrascht“ sei er gewesen von der „Heftigkeit der Gefühle für Bettina Körner“, weiß die Zeitung. Und dass er Bekannten verriet: „Ja, es ist Liebe.“

Die Heirat, die Schwangerschaft, die neue Patchwork-Familie. Wulff muss sehr zufrieden gewesen sein, wie Europas größte Boulevardzeitung seine Leser über die Details seines Privatlebens auf dem Laufen hielt.

Wulff-Berichterstatterin nach Berlin

Das hat sicherlich sein Bild von „Bild“ geprägt. Und bestätigt fühlen konnte er sich mit dem Eindruck, dass ihn mit „Bild“ ein besonderes Verhältnis verbindet, als nicht nur die Wulffs von Hannover nach Berlin umzogen, sondern die „Bild“-Redaktion auch die langjährige Hannoveraner Wulff-Berichterstattung in die Berliner Zentrale holte, von wo sie anfangs auch Homestories über die tolle First Lady aus dem Schloss Bellevue lieferte.

Wurde es kritisch für ihn, war Hilfe beizeiten auch über diese Flanke zu erwarten. So versuchte SPD-Gegenkandidat Wolfgang Jüttner 2008 aus der zerbrochenen ersten Ehe Wulffs Kapital zu schlagen, indem er sich selbst in der „Bunten“ mit seiner glücklichen Ehe als Gegenbild zu Wulffs Lebensstil inszenierte. Wulff war empört. „Bild“ auch.

Doch die Beziehung zwischen dem Bundespräsidenten und dem Springer-Konzern bekam Risse, und zwar schon vor der entscheidenden Abstimmung in der Bundesversammlung. Denn Döpfner begeisterte sich für den deutsch-deutschen Gegenkandidaten Joachim Gauck, der unter anderem eine geradezu enthusiastische Schlagzeile in der „Bild am Sonntag“ bekam: „Yes, we Gauck“.

Patchwork-Präsidentenfamilie

Die nachfolgende Faszination für das jüngste Präsidentenpaar in Bellevue, für die Selbstverständlichkeit, mit der Wulff neben seiner attraktiven Frau („Bild“-Jargon: „ein Hingucker“) auch seine Patchwork-Familie ins Schloss holte, für die Art, mit der er die Weihnachtsansprache bewusst familienfreundlich gestaltete, all das bescherte ihm positive Bilder und Geschichten, die ihn verleiten lassen konnten, wenn es darauf ankomme, stünden die Medien schon an seiner Seite.

Denn auch inhaltlich setzte er markante Zeichen, die Kritiker leise werden ließen. Sein Eintreten für den Islam als Teil Deutschlands und seine Mahnung in der Türkei, dass zur Türkei auch das Christentum gehöre, das ließ im gesamten politischen Spektrum aufhorchen. Und es brachte ihm sogar mehr Sympathien im rot-grünen Lager Gaucks als in der eigenen schwarz-gelben Formation der Bundesversammlung.

Doch der Sympathie-Entzug in der Medienschlacht zwischen Wulff und Gauck war nicht das einzige Zeichen einer Entfremdung. Aus Springer-Kreisen ist zu hören, dass die eine oder andere gewünschte exklusive Story nicht zustande kam, und dass Wulff auch bei den Mitreisemöglichkeiten von Springer-Journalisten zurückhaltender agierte, als es einen „Bild“-Chefredakteur erfreuen konnte.

Mehrere Medien recherchierten

Rätselhaft bleibt dennoch, wie Wulff annehmen konnte, eine Berichterstattung über sein Haus und den Kredit überhaupt verhindern zu können. Schließlich war nicht nur die „Bild“ dem Gerücht auf der Spur, bei der Finanzierung seines Hauses könnte es Interessantes zu entdecken geben. Seit fast einem Jahr recherchierte auch der „Spiegel“ an der Geschichte, klagte sich sogar in einem monatelangen Rechtsstreit durch mehrere Instanzen, um Einsicht in die Besitzverhältnisse und Abtretungserklärungen von Wulffs Grundbesitz zu bekommen. Spätestens seit der positiven Entscheidung des Bundesgerichtshofes am 17. August musste Wulff jederzeit mit der Berichterstattung rechnen.

Ob mit oder ohne präsidialem Wutausbruch auf einer Chefredakteurs-Mobilbox.

Von unserem Korrespondenten Gregor Mayntz