Burg Sooneck

Von „weißer Hexe“ bis Physik-Professor: Das sind die Burrgenblogger-Kandidaten

Sie waren in aller Welt und sind dauernd auf Achse, aber sie träumen von einem halben Jahr auf einer Burg in einem Tal mitten in Deutschland: Unter den Bewerbern um die Stelle als Burgenblogger auf der Sooneck sind Menschen, die regelmäßig von Reisen durch die Welt berichten. Andere sind Physiker, Architekt, Minnesangexperte oder weiße Hexe. Wie faszinierend die Bandbreite ist.

Lesezeit: 8 Minuten
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Von unserem Redakteur Lars Wienand

Ein Bewerber schrieb von „dem Sturm vieler vor der Ruhe eines Einzelnen”: Er war einer von den 743 im Kandidatenansturm auf die Stelle, die Rhein-Zeitung, Generaldirektion Kulturelles Erbe und Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz ausgeschrieben haben: Für 2000 Euro sechs Monate auf der Burg leben und arbeiten, um dem Mittelrhein im Blog den Spiegel vorzuhalten, um vielleicht neue Einsichten und Ansichten zu präsentieren. 50 aus den 743 sind bereits in der engeren Wahl, mit einigen, die ihre Bewerbung geheim geahlten haben, und anderen, die sehr öffentlich damit umgehen und schon Begeisterung ausgelöst haben. Was sind das für Menschen, die hier ihr Domizil finden wollen, in der Jahrhunderte alten Burg?

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Es sind Träumer und Realisten, Kreative und Analytiker, Lebenskünstler und Beamte – und meist Menschen mit spannenden Talenten, faszinierenden Ideen und großer Leidenschaft. Sie lassen sich nicht in eine Schublade stecken – und doch ist hier der Versuch.

Die schillernden Bewerber: Ein Model vom Mittelrhein, das durch alle Welt jettet und Eindrücke bloggt, will zuück zu den Wurzeln: Die Schönheit war früh dran mit ihrer Bewerbung. Unter den Bewerbern ist auch eine Angela-Merkel-Parodistin oder der Autor einer Biografie über einen der größten Stars der deutschen Musikbranche. Der frühere Unterhaltungschef eines großen Privatsenders ist darunter, der Gründer eines bekannten Verlags. “Edel und lasziv ist mein Konzept”, sagte ein anderer Bewerber mal in einem Artikel über sich, ein Modefotograf. Seine vielseitige Bewerbung schließt mit “So sieht mein Arsch aus” und einem Link zu einem Video, in dem er seinen durchtrainierten Körper aus einer Motorradkluft schält.

Die Journalisten: Ein Bewerber recherchierte monatelang undercover bei einer Sekte, einer war Ressortleiter bei einer großen österreichischen Tageszeitung, Bewerber bringen Erfahrungen aus den Redaktionen aller großen deutschen Zeitungen und Magazine mit: Journalisten stellen die größte Berufsgruppe unter den Bewerbern. Auch Fernsehleute sind darunter. Manche können auch Buchveröffentlichungen vorweisen. Ein Reisejournalist versicherte gar: “Seitdem ich bei einem Seminar in St. Goarshausen nachts den Eindruck hatte, ein Panzer fahre durch mein Zimmer, steht das Problem “Bahn am Mittelrhein” auf meiner Rechercheliste”.

Bewerber mit Verstärkung: Zwei Räume mit 35 Quadratmeter Wohnfläche stehen dem Burgenblogger zur Verfügung, die Stelle war eigentlich ausgeschrieben für eine Person. Doch das hinderte etliche Interessierte nicht, Begleitung anzukündigen. Tierische Gesellschaft bei den einen: mit Ratte, Kaninchen, Hund oder Katze. Eine junge Mutter will mit Baby einziehen, eine Frau aus der Region auch mit ihrer ins achte Schuljahr gehenden Tochter, weil die mit sozialen Netzwerken bestens vertraut ist.. Eine Familie hat sich gleich zu dritt beworben – ein Professor für Design, eine Kunstpädagogin und die Tochter, eine Diplom-Designerin Produktgestaltung als “Kollektiv, als interdisziplinäres Team”. Sie haben offen gelassen, ob sie zu dritt einziehen wollen. Zu zweit einziehen wollen viele Pärchen, und da gibt es eine eigene große Gruppe:

Die Blogger-Pärchen: Halb Deutschland scheint paarweise irgendwo an einem spannenden Fleck der Welt zu sein – und scheint dabei doch Sehnsucht zu haben nach einem beengten Platz in Deutschland: “Wir sind Minimalisten und leben gern mit wenig Gepäck auf kleinem Raum”, schrieb ein Pärchen aus Ecuador, beide Partner haben ihr Studium mit 1,x abgeschlossen. Oft bringen die Partner ganz unterschiedliche Talente mit – wie das Paar, bei dem sie Journalistin ist und er Werkzeugmacher aus Neuseeland – und auf der Burg soll dann auch geheiratet werden. Bei einem anderen Paar, sie Journalistin und studierte Kriminologin, er Kulturwissenschaftler, soll sich im März Nachwuchs einstellen – “zweieinhalb Burgenblogger”, scherzen sie.

Die Künstler: Es würde ausgefallene Wege geben, den Mittelrhein zu präsentieren. Da ist der Poetry-Slammer mit 100 Siegen, der als Blogger und Slam-Poet berichten will. Da ist ein Urban Sketcher, also jemand, der per Zeichnungen Tagebuch führt, “eine Art visueller Journalismus”, wie die Wikipedia erklärt. Ein Comic-Künstler will seine Eindrücke über die Erlebnisse seiner gezeichneten Möwe vermitteln. Ein Aktionskünstler würde als Burgenblogger das Rheintal im wahren Wortsinn „auf-lesen“. Er will nicht nur skurrile Fotos schießen und Texte posten, sondern “insbesondere auch nach Fundstücken wie Einkaufszetteln, Suchanzeigen oder weggeworfenen Notizen von der Straße” schürften, sie archivieren, aufbereiten und ins Netz stellen. Immerhin bekam er schon ein Stipendium, um das in New York zu tun – und die öffentliche Hand kaufte seine Sammlung von dort. Er wäre ein gutes Gespann mit dem Künstler und Designer, der auch überzeugt für ein sauberes Köln bloggt. Die ungewöhnlichste Bewerbung kam per Post: eine Skulptur, die aus einem Paket lugt:

Die Autoren: Von wissenschaftlichen Werken über Reiseführer und Kochbücher bis zu Mittelrhein-Krimis: Viele der Bewerber haben auch schon Bücher geschrieben. Ein 22-Jähriger hat es bereits auf drei veröffentlichte Romane gebracht. Ein Bewerber sagt von sich, er sei Autor des “wohl ersten deutschsprachigen Buchs, das auf einem Smartphone geschrieben wurde” .

Die Stadtschreiber: Einige Bewerber bringen einschlägige Erfahrungen mit. Ein Kandidat grüßte von seinem einmonatigen Schreib-Stipendium als frisch gekürter Schlosschreiber im Stadtteil einer Millionenstadt, eine Berlinerin war bereits für einen Tourismusverband als Dorfbloggerin in einer ländlichen Region tätig und erlebte “als Türöffner meinen rechten Arm, den ich in den Bauch einer hochträchtigen Kuh steckte und damit den Bauern mehr beeindruckte als mit publizierten Büchern oder Journalistenpreisen”, eine bildende Künstlerin schuf bei einem Stipendium ein Bild-Text-Tagebuch einer Region, das auch in einer überregionalen Zeitung in Serienform erschien.

Die Mittelalter-Fans: Die Aussicht auf die Burg fasziniert reihenweise Menschen. Darunter sind solche, die in ihrer Freizeit als Reenactor historische Szenen nachstellen, Live-Rollenspieler haben sich beworben. Da ist der Physiker, der historisch gerüsteten Vollkontaktkampf betreibt, das ist die Religionswissenschaftlerin, die sich in Mittelaltertracht im Video in einer Ruine als Burgfräulein bewirbt. Nicht das einzige derartige Video.

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Aus Übersee bewarb sich eine Autorin und große Verehrerin Hildegards von Bingen. Eine Autorin und Sterbebegleiterin mit im Personalausweis eingetragenen adeligen Künstlerzusatznamen offenbart, dass sie den historischen Adel verehrt. Ein Journalist hat auch Auftritte als Messerwerfer, Märchenerzähler und Mäusedompteur auf Mittelaltermärkten vorzuweisen. Ein Kulturveranstalter und Journalist mit Leidenschaft für Minnesang würde seinem Blog ein minniglich-mittelalterliches Profil geben. Meist zeigen auch diese Bewerber, dass sie die Aufgabe verstanden haben.

Die Experten: Nicht nur, aber auch für das Mittelalter finden sich Experten unter den Bewerbern. Etliche Geschichtswissenschaftler, darunter eine Historikerin mit Schwerpunkt Hexenverfolgung und Sexualitätsgeschichte, die “Antworten auf fast alle Fragen des Mittelalters” verspricht. Über das Drachentöten hat eine Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin promoviert. Eine Kunsthistorikerin mit Schwerpunkt und Blog zum Thema Kulturerbe möchte ebenso auf die Burg wie ein Raumplaner, der für einen entsprechenden Verband gearbeitet hat. ein Bio- und Geowissenschaftler hat schon mit seiner Bewerbung selbst erstellte Karten vom Bahnlärm mitgeschickt: Ein Sprachwissenschaftler und Historiker, der Flurnamen-Experte ist, versichert zugleich, dass er sich aber “vor allem mit Menschen” beschäftigt.

Die Regionalen: Etwa ein Viertel der Bewerber kommt aus der Region, Wissenschaftler ebenso wie Journalisten. Ein Polizist kurz vor dem Ruhestand findet sich genau wie zwei Koblenzer, die schon von mehrmonatigen Weltreisen berichtet haben. Einige Bewerber kommen direkt von den Orten zu Füßen der Burg, es sind Menschen darunter, die regelmäßig Führungen durch Burgen und Innenstädte der Region leiten oder für Tourismusverbände gearbeitet haben. Aus dem Hunsrück vermittelt ein Regisseur ähnlich viel Lust wie ein malender Förster. Ein engagiertes Mitglied der Fluglärmgegner will den Bahnlärm kennenlernen. Ein wenig nach Süden will auch ein langjähriger Vorsitzender eines örtlichen Eifelvereins.

Die Netzbewohner: Die Ausschreibung war noch nicht richtig draußen, da hatte ein Blogger schon die Seite burgenblogger.de auf sich angemeldet und mit einer Bewerbung gefüllt. Er ist einer von denen, die in allen Netzwerken zu Hause und ständig dort unterwegs sind – und sei es mit Eindrücken von Reisen. Ein Bewerber beeindruckt damit, dass er im Netz auf einem Burgenblogger-Planeten burgenblogger.org alles zusammentrug, was sich rund um den Burgenblogger tat – eine eindrucksvolle Dokumentation mit Zwischenmeldungen wie dieser:

Und die Bewerber vernetzen sich auch: Einer hat zur Blogparade geladen, ein weiterer eine Facebook-Gruppe gegründet und zum Treffen der Burgenblogger-Bewerber in Boppard geladen. Da tauchen dann vielleicht auch Bewerber auf, die sehenswerte Bewerbungen nicht öffentlich gemacht haben.

Die Internationalen: Rund zwei Dutzend Bewerbungen kamen aus Österreich, zwei aus der Schweiz und damit weniger als aus England, Russland oder den USA. Aus Los Angeles und New York wollen ausgewanderte Deutsche nach vielen Jahren wieder nach Deitschland, versprechen den völligen Blick von außen. Aus Brasilien bewarben sich eine Theaterstudentin und ein Förster, der allerdings von sich sagte, er “habe nichts Besonderes und kann nichts Besonderes. Aber ich finde den Mittelrhein so schön und das wäre eine schöne Abwechslung.„ Auch aus Neuseeland und Taiwan kamen Bewerbungen, aus dem Kosovo meldete sich eine Rheinland-Pfälzerin, die dort wie vorher in vielen anderen Ländern für eine Nichtregierungs-Organisation arbeitet.

Die Übersinnlichen: Wie ein Juwel heißt eine Bewerberin, sie ist Bioenergetikerin, Fotomodel und Künstlerin, “die Burgen und deren Magie total liebt, da ich selbst eine sehr magische und mystische Frau bin”. Damit könnte sie in Konkurrenz treten zu der Lebensberaterin, die auch “weiße Hexe„ und Medium ist. Vielleicht ein Fall für den Ghosthunter unter den Bewerbern, der ernsthaft über die Aufklärung seltsamer Phänomene bloggt. Und dann war da ja noch die Psychologische Beraterin, die einem möglichen Burggeist mit ihren Erkenntnissen begegnen will, “bis er seine Koffer packt und freiwillig in eine benachbarte Burg zieht”.

Die Aussteiger: Vom Großstadtleben gelangweilt und genervt: Da will eine Mode-Designerin und freie Journalistin mit dem Motto “Großstadtpflanze und Berliner Fashion Girl zieht auf die Burg und erlebt …” an den Mittelrhein. Eine Auszeit vom hektischen Großstadtleben erhofft sich auch ein Werbetexter, Geograph, Rock-DJ und Besucherbetreuer im Tagebau. Da ist aber auch das Pärchen aus der Agentur-Branche, das generalstabsmäßig für seine Work-Life-Balance einen mehrmonatigen Ausstieg durchgezogen und im Netz professionell begleitet hat – inklusive Angebote an Unternehmen, bezahlte Beiträge unterzubringen. Ein Winzer von der Mosel erklärt, dass er nicht enden will wie gleichaltrige Kollegen: “Die kennen nur noch den Jahreszyklus: Scheiden, binden, heften, ernten und zusehen, damit etwas für einen bescheidenen Urlaub übrig bleibt.” Unter den Kandidaten ist aber auch etwa eine Frau, die für Top-Unternehmen Führungskräfte sucht. Sie möchte den Job sausen lassen und “die Bürger aus einer Handlungslethargie herausführen, die sich wieder gerne als Teil einer Gemeinschaft sehen möchten und ihre Region auch nach der Burgenbloggerzeit nach vorne bringen wollen”.

Die (vermeintlich) Chancenlosen: Ein Chef einer Agentur, der “die Golfplätze der Region und die maßgeblichen Gestalter aus der Business Region kennenlernen möchte„? Seine Bewerbung war ebenso schnell aussortiert wie die folgende (Schreibweise unverändert): “Als gebürtiger Bielefelder bin ich Bodenständig, trinkfest und interssiert an der Landschaft und ihren Menschen. Hiermit bewerbe ich mich.” Schnell raus war auch der Schauspieler, der die Ausschreibung so zusammenfasste: “Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es im Endeffekt um Werbung für die Burg und die Ortschaft.” Ein Missverständnis wie die Bewerbung des Print-Journalisten, der Blogs für Geschwafel hält und über die 2000 Euro für den Burgenblogger noch mal verhandeln will, weil vor 20 Jahren bereits 8000 Mark verdient hat.

Unter den letzten 50 ist dagegen ein Musiker ohne Schulabschluss und mit abgebrochener Maurerlehre, der offensiv einräumt, dass der Großteil der Bewerber “aus dem klassischen Blickwinkel eines Arbeitgebers heraus besser qualifiziert ist als ich". Um den Blickwinkel geht es aber nicht, und er hat in einem durchdachten Blog gezeigt, dass er fein beobachtet, klug notiert – und brennt für die Aufgabe, Und in der Endauswahl sind ja sogar Bewerber gelandet, die ständig von der Burg in der “Pfalz” schrieben...