Bad Frankenhausen

Deutschlands schiefster Turm steht vor dem Abriss

Er neigt sich stärker als der weltberühmte Turm von Pisa – und neigt sich nun seinem Aus entgegen: Der Kirchturm in Bad Frankenhausen steht vor dem Abriss.

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Bad Frankenhausen – Er neigt sich stärker als der weltberühmte Turm von Pisa – und neigt sich nun seinem Aus entgegen: Der Kirchturm in Bad Frankenhausen steht vor dem Abriss.

Auf löchrigem Grund: Der Oberkirchturm in Bad Frankenhausen verdankt seine Schieflage der besonderen Bodenbeschaffenheit.

4,45 Meter neigt sich der Turm vom Lot – und ist damit schiefer als der Turm von Pisa.

Die nun angelaufene Rettungsaktion ist nicht die erste: Bereits 1924 wurden als Notgeld „Eiserne Fuffziger“ mit dem Text „Hilfe, ich stürze!“ geprägt.

Förderverein

Das mehr als 625 Jahre Gebäude prägt das Stadtbild des thüringischen Kurortes.

Die Zeit für die Retter drängt: Die baupolizeiliche Verfügung für den Abriss liege bereits in einer Schublade, so der Förderverein. Bis Mai ist Aufschub gewährt. Archiv

dpa

Auch Suurhusen in Ostfriesland reklamiert den schiefsten Turm für sich. An der dortigen Kirche neigt sich der Turm um 5,07 Grad, der gesamte Turm in Bad Frankenhausen „nur“ um 4,79 Grad – immer noch deutlich mehr als Pisa mit 3,97 Grad. Bad Frankenhausen rechnet den Holzaufbau nicht mit, der sich beim Bau 1761 entgegengesetzt neigte: Mit einem Winkel von 5,45 Grad ist der steinerne Turmkörper am schrägsten...

Das Kirchenamt bereite sich auf den Abriss vor, meldete die Nachrichtenagentur epd unter Berufung auf Kirchenoberbaurat Bernd Rüttinger. Zwar läuft dort seit vier Jahren eine Stabilisierung des 56 Meter hohen Turms, der auf sehr löchrigem Baugrund steht. Doch weil ein Ende nicht absehbar ist, soll nun aufgegeben werden.

Ein „Förderverein Oberkirche“ will sich damit jedoch noch nicht abfinden und setzt auf eine bundesweite Spendenaktion: Bis Mai soll dabei nach Angaben der Initiatoren die Summe von einer Million Euro zusammenkommen. Wenn die Vereinsvorsitzende Bärbel Köllen mal wieder als Gästeführerin unterwegs ist, bekommt sie von erstaunten Kurgästen des Heilbades meist zwei Reaktionen: „Schiefer als Pisa?!“ und „Warum passiert denn dann hier nicht mehr.“ Die Frage stellt sie sich auch: „Der Turm muss doch gerettet werden.“ Am Dienstag wollte der Förderverein zusammenkommen, um seiner Internetpräsenz einen zeitgemäßeren Auftritt zu verpassen. Der Förderverein hatte sich 1990 kurz nach Ende der DDR als Bürgerinitiative gegründet und zunächst erreicht, dass eine zu Zeiten des real existierenden Sozialismus erlassene Totalsperrung des Turms nach ersten Arbeiten 2003 wieder aufgehoben werden konnte.

Die Stadt Bad Frankenhausen, die um ihr Wahrzeichen fürchtet, ist zwar bereit, die Kirche zu übernehmen – allerdings erst, wenn die Sanierung des Untergrunds gesichert ist. In einer Stellungnahme hat sie sich gerade erst über die evangelische Kirchengemeinde und die Landeskirche beklagt: „Seit Monaten fehlt der ernsthafte Willen zur Rettung des Oberkirchturmes.“ Lange Zeit habe die Kirche gar keine Zahlen vorlegen können, dann innerhalb kürzester Zeit astronomische Beträge vorlegt. „Die Strategie der Kirche ist doch klar: Eine Unsumme nennen, um deutlich zu machen, dass das viel zu viel Geld ist um so den Turm abzureißen“, so der Bürgermeister Matthias Strejc (SPD). Im Dezember bereits hatte die Landeskirche den Segen der Gemeinde erreichen wollen, den Abriss beim Land Thüringen zu beantragen. „Die Verfügung der staatlichen Bauaufsicht liegt bereits in der Schublade“, bangt Fördervereinvereinsvorsitzende Bärbel Köllen. „Bis zum Mai haben wir Zeit.“

Der Mehrbedarf für eine Fortführung der Arbeiten schätzt die Kirche nach epd-Angaben auf weitere zwei Millionen Euro. Der Vertrag mit einer Firma ist gekündigt, die seit 2007 im Einsatz war, um den Untergrund zu stabilisieren. Nach Einschätzung der Landeskirche hat das Unternehmen den Auftrag zur Vergütung des Untergrunds nicht erfüllt.

Die Ursache für die außergewöhnliche Neigung des Kirchturms sind Hohlräume im Baugrund, die durch das Ausspülen von Gips und Salz entstanden sind. Erste Schrägstellungen am Turm der über 600 Jahre alten „Kirche Unserer Lieben Frauen am Berge“ wurden bereits um 1640 registriert. Noch im Jahr 1920 war die Abweichung aber noch bei nur rund 2,20 Meter, 1960 bei 3,60 Meter und 2001 bei 3,89 Meter.

Mit den Arbeiten zur Stabilisierung des 56 Meter hohen Kirchturms hatte eine Spezialfirma im Juli 2007 begonnen. Für das Projekt stand eine Million Euro zur Verfügung, die zu 90 Prozent von der Thüringer Städtebauförderung aufgebracht wurde. Seither hat sich der Turm jedoch weiter geneigt. Mittlerweile beträgt die Abweichung der Turmspitze vom Lot 4,45 Meter.

Bereits 1925 wurde nach Angaben des Fördervereins schon einmal über einen Abriss nachgedacht – doch die Ausschreibung ergab damals, dass ein Abbruch so teuer würde wie Erhaltungsmaßnahmen. Die Idee wurde gekippt. Jetzt droht das dem Turm – oder die Abrissbirne.