Die mysteriöseste Seite des Internets: Was ich gefunden habe, ist heftig und macht mich wütend

Ihre Texte verbreiten sich rasend. Du wirst sie auch schon gelesen und dich gewundert, gefreut oder geärgert haben über die Seite, die in genau diesem Sprachstil ihre Texte veröffentlicht. Aber was du gleich darüber erfährst, hättest du nicht gedacht. Gut möglich, dass es dich traurig macht. Es könnte kriminell sein. In jedem Fall ist es heftig.

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Update: 27.5.: Die Macher sind jetzt bekannt. Mehr hier.

Viele Menschen sind begeistert. Endlich mal gute Nachrichten, einmal jemand, der Mut macht. heftig.co liefert Texte, die anrühren, Fotos, die das Schöne zeigen. Und damit kommt sie unglaublich gut an. Die Menschen geben die Inhalte gerne weiter. In den zurückliegenden 30 Tagen sind der Analyseseite 10000flies.de zufolge unter den 20 meistverbreiteten Artikeln in Deutschland allein elf von heftig.co.

Update, 2.5.: Heftig wird dort im Like-Medien-Ranking im April die erfolgreichste Seite überhaupt sein – vor Giganten wie Spiegel Online und Bild.de, wie Jens Schröder im 10000flies-Blog schreibt: „Über 1,8 Mio. Reaktionen in den sozialen Netzwerken hat allein Heftig im April erreicht – und das mit nur etwa 100 Artikeln.“ Ein wunderbarer Erfolg für die Macher der Seite. Und ein wundersamer.

Am Dienstag stand heftig.co mit seinem Traffic* auf Platz 133 von Millionen Seiten in Deutschland, so schätzte die Analyseseite Alexa.com. Erst kurz vor der 200 folgte etwa die Huffington Post Deutschland. Die war am 10. Oktober 2013 mit viel Medienwirbel gestartet, und der „Focus“ steht dahinter. heftig.co ging genau zwei Monate später an den Start, ohne dass irgendwer Notiz davon nahm. Und wer ist heftig.co? Antworten bekommt man von dort nicht.

Heftig.co lehrt uns, Grenzen zu überwinden. .co ist die Länderkennung von Kolumbien. Registriert wurde die Seite über einen anonymen Dienst aus Panama. Der Server steht in Kalifornien. Und die Firma Spring Surfer Ltd., die angeblich dahinter steckt, sitzt im Karibikstaat Belize unter einer Adresse, an der viele Offshore-Firmen verwaltet werden: Belize wirbt mit größter Vertraulichkeit und macht es Steuerbehörden sehr schwer. Es geht geheimnisvoll zu bei heftig.co.

Und gefühlvoll? Das wirst du vielleicht bislang gedacht haben, wenn du Überschriften ernst genommen hast mit Sätzen wie „Das bricht mir fast das Herz“, „das machte mich nachdenklich“, „ich kämpfe mit den Tränen“. Sätze von „Sven Heftig“, dem Administrator der Facebookseite? Angemeldet seit 10. Dezember, keine Freunde, als Profilbild ein Foto kopiert aus einem Modekatalog.

Jetzt könntest Du enttäuscht sein: Die Texte sind zum Großteil nicht von heftig.co. Sie sind meist 1:1-Übersetzungen von Artikeln auf viralnova.com. Die Seite ist einige Monate früher in den USA an den Start gegangen. Damit ist die Frage beantwortet, die heftig.co wie alle Fragen und Hinweise auf seiner Facebook-Pinnwand ignoriert hat: „Wo holt ihr immer diese interessanten, schönen oder auch traurigen Geschichten her, die einen immer wieder auf ein neues sehr berühren?“ Sie holen sie meist von Scott DeLong.

Der 31-Jährige DeLong ist der nach einigen Monaten enthüllte Gründer von viralnova.com. Mit zwischenzeitlich zwei Mitarbeitern erstellt er den Inhalt, der ihm auf Facebook bisher 1,4 Millionen Fans und seiner Internetseite im Januar 20,3 Millionen Besucher bescherte. Er sprach von einem „gut sechsstelligen Erlös im Monat“ – alleine durch Google-Anzeigen und die Masse an Besuchern.

Auch heftig.co dürfte schon Reibach machen – ohne nennenswerte Kosten. DeLong gehört die Seite nicht. „Nope“, antwortete er auf Twitter auf die Frage kurz und emotionslos. Er kann sich auch schlecht beklagen, dass jemand bei ihm klaut. Er bedient sich ja selbst auch freimütig, wenn auch bei weitem nicht so dreist.

Ein Beispiel der Verwertungskette: Am 6. Dezember veröffentlicht die britische Daily Mail Text und eindrucksvolle Fotos aus einem verlassenen Hotel im Erzgebirge. Am 7. Dezember erscheinen alle Bilder und ein neuer Text bei viralnova.com. Am 13. Dezember hat heftig.co dann übersetzt – „Deutschlands schaurigstes Hotel“ geht online, ist inzwischen aber verschwunden. Andere Geschichten auf heftig.co sind noch viel älter. Zuletzt wurden einige aus dem August 2013 kopiert und veröffentlicht.

Aktualität spielt kaum eine Rolle, sagt auch Scott DeLong über das Betroffenheits-Businness. Der Guardian lässt am 1. Februar 2012 eine Krankenschwester die fünf Dinge aufzählen, die Sterbende am meisten bereuen? Das war auch im Juni 2013 noch mal für viralnova.com gut. Und am 14. April 2014 für heftig.co – diesmal mit der 1:1-Übersetzung des Guardian. Gestorben wird schließlich immer. Manchmal aber auch zu schnell für die Seiten, die es mit dem Faktencheck nicht so genau nehmen.

Unter einem rührenden Text über einen traurigen Hund hat auf Facebook jemand kommentiert: Das Tier, das nach dem Tod von Frauchen täglich treu in die Kirche ging, ist schon vor einem Jahr gestorben. Heftig. Vielleicht macht es dich auch traurig, wenn man auf diese Weise Menschen begeistern kann – minimaler Aufwand, maximaler Erfolg. Wenn du magst, kann du das teilen, damit auch andere wissen, was es mit der mysteriösesten Seite im Netz auf sich hat.

Wer Inhalte bestimmter Seiten auf Facebook völlig ausblenden will, kann das mit der Browser-Erweiterung FB Purity tun. Erläuterung und Downloadmöglichkeit gibt es zum Beispiel hier.

*In einer früheren Fassung stand an dieser Setelle „mit seinen Besucherzahlen“. alexa.com misst aber den Traffic, daraus lassen sich nur bedingt Rückschlüsse auf Besucherzahlen schließen, weil etwa viele Bilder (größere Datenmenge) auf einer Seite zu mehr Traffic führen. Danke an Alexander Trust für den Hinwies. SimiliarWeb rechnet Visits hoch, da liegt heftig etwa gleichauf mit der Huffington Post.

Autor:
Lars Wienand
(Mail, Google+)