Brüssel

Martin Selmayr: Der Mann im Hintergrund

Steht hinter Jean-Claude Juncker: Martin Selmayr.
Steht hinter Jean-Claude Juncker: Martin Selmayr. Foto: dpa

Es gibt nicht viele Bilder des Kommissionspräsidenten ohne den Mann im Hintergrund: Martin Selmayr (45). Jean-Claude Junckers Kabinettschef gilt nicht nur als der mächtigste Brüsseler Beamte, er ist es auch und beansprucht dieses Gewicht, was seine Kritiker gern mit dem Bonmot unterstreichen, letztlich sei Selmayr egal, wer unter ihm als Kommissionschef arbeite.

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

„Er regiert sehr autoritär“, sagen Europaabgeordnete über den gebürtigen Bonner, der in Karlsruhe aufwuchs und in Genf, Passau und London Rechtswissenschaften studierte. Die Chefs der europäischen Generaldirektionen kritisieren offen „Selmayrs gottgleiche Entscheidungen“. Und auch im Berliner Bundeskanzleramt stöhnt man schon entnervt auf, wenn der Name fällt. Die regierungsähnliche Struktur der Juncker-Kommission sei, so heißt es, ebenso sein Konzept gewesen wie die Spitzenkandidaten bei der vergangenen Europawahl 2014. Selmayr, der sich eigentlich schon zu einer Londoner Bank verabschiedet hatte, tauchte plötzlich wieder auf, managte Junckers Wahlkampf und schaffte anschließend als seine rechte Hand einen ungeahnten Karrieresprung.

Die Frage, ob Juncker oder Selmayr in der Kommission das Sagen haben, fällt selbst eingefleischten Brüsseler Kennern schwer zu beantworten. Dass es dabei nicht nur um Kleinigkeiten geht, zeigt ein Zwischenfall beim G 7-Gipfel im Mai dieses Jahres. Da twitterte Selmayr munter drauflos: „G 7-Gipfel mit Trump, Boris Johnson, Beppe Grillo? Ein Horrorszenario, das gut zeigt, warum es sich lohnt, gegen Populismus anzukämpfen.“ Eine solche Attacke gegen den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, den Brexit-Betreiber aus London und den populären Chef der italienischen Fünf-Sterne-Partei galt bisher als Tabu, zumindest aus dem inneren Führungszirkel der EU. Junckers Sprecher hatte danach alle Hände voll zu tun, zerschlagenes Porzellan wieder einzusammeln. Bis heute ist nicht klar, ob Juncker hinter den Worten seines Kabinettschefs stand. „Es ist eine einmalige Gelegenheit und macht unheimlich Spaß, mit dem großen Europäer Jean-Claude Juncker hier die Kommission schmeißen zu können“, sagt Selmayr über sich selbst, wenn er in seinem Büro im 13. Stock des Brüsseler Kommissionsgebäudes sitzt – die aktuellen Vorgänge säuberlich abgeheftet und gestapelt, dazwischen ein Glas mit Gummibärchen als Nervennahrung. Hier arbeitet er nicht selten auch am Wochenende, seine Frau komme ihn dann manchmal besuchen, heißt es, damit sie ihn überhaupt noch sieht.

Doch Selmayr ist nicht der machthungrige Eurokrat, als der er oft hingestellt wird. Ihn treibt der europäische Traum an, den er in seiner Jugend kennengelernt hat: „Wenn man 15 Jahre alt ist und von seinem Großvater dieses Meer von Kreuzen in Verdun gezeigt bekommt, hinterlässt das einen unauslöschlichen Eindruck“, erzählte er einmal. Er verschrieb sich Europa. „Wir müssen Europa ein menschliches Gesicht geben“, betonte er.