Berlin/Köln

Whistleblower: Deshalb brauchen wir Schutz – Campact-Appell zu Snowden hat 100.000 Unterzeichner

Demo vor dem Bundeskanzleramt: Am Donnerstagmorgen gingen dort Menschen für besseren Whistleblowerschutz auf die Straße. Im Netz findet der Appell rasend Verbreitung.
Demo vor dem Bundeskanzleramt: Am Donnerstagmorgen gingen dort Menschen für besseren Whistleblowerschutz auf die Straße. Im Netz findet der Appell rasend Verbreitung. Foto: Campact

Zuflucht für Edward Snowden, Schutz für Whistleblower: Ein Appell an die Bundesregierung findet so rasant Unterzeichner wie keiner zuvor. 5800 neue Unterstützer sind es alleine in der Stunde, in der unsere Zeitung mit dem Vorsitzenden des Vereins Whistleblower Netzwerk darüber gesprochen hat, warum Whistleblower und ihr Schutz wichtig sind.

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Demo vor dem Bundeskanzleramt: Am Donnerstagmorgen gingen dort Menschen für besseren Whistleblowerschutz auf die Straße. Am Abend gab es eine weitere Demo am Brandenburger Tor. Im Netz fand der Appell rasend Verbreitung. Foto: Campact

Es ging nicht ums Ausspähen der Welt, es ging bei Guido Strack um möglicherweisemillionenschwere Korruption. Strack war nach zwei juristischen Prädikatsexamen frisch vom Bundeswirtschaftministerium zur EU-Kommission gewechselt – und kam nicht damit klar, wie dort nach einer Vergabe ein externer Dienstleister agieren konnte. Zwölf Jahre später ist der Fall noch nicht beendet, der Kölner frühpensioniert und Vorsitzender des von ihm mitgegründeten Whistleblower Netzwerk e.V. Der Verein war auch am Mittag bei der Demo vor dem Bundeskanzleramt und ist Partner bei dem Campact-Appell. Der hatte mit 50.000 Unterzeichnern bereits am ersten Tag zehn Mal so viel Unterstützer wie 2011 nach sechs Wochen die vom Verein geförderte Petition eines Studenten und Piraten. Sie hat auch eine weitere Petition von Piratin Anke Domscheidt-Berg zum Thema überflügelt.

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Guido Strack ist Vorsitzender des Vereins Whistleblower-Netz. Whistleblower helfen, die Welt besser zu machen, glaubt er und fordert besseren Schutz.
Foto: Campact

Ist der Fall Snowden ein Glücksfall für Ihr Anliegen?
Weshalb rufen Sie mich an? Wegen Snowden. Der Begriff Whistleblower ist jetzt ein breites Thema, viele hören ihn zum ersten Mal. Und in Europa – zumindest auf dem Kontinent – gibt es eine große Sensibilität dafür, dass das, was Snowden öffentlich gemacht hat, unanständig ist. Die Identifikation mit ihm und der Rückhalt ist hoch. Das Verhältnis zu einem Whistleblower hängt ja bei vielen vom persönlichen Blickwinkel ab, und hier ist es so, dass die Empörung und damit das Verständnis groß ist. Das verbessert sicher das Klima. Allerdings wird über Edward Snowden noch manches kommen.


Schmutzkampagnen?
Das steht zu befürchten. Wenn die eigentliche Nachricht nicht angegriffen werden kann, wird versucht, den Überbringer in schlechtes Licht zu rücken. Die Amerikaner haben sicher größere Möglichkeiten, eine Wirklichkeit zu formen als Snowden und seine Getreuen.

Der Appell und die Demonstrationen fordern nicht nur Asyl für Snowden, sondern auch ein Whistleblowergesetz. Auf wie viel Gehör sind Sie damit bislang gestoßen?
Die Bundesregierung hat sich zwei Mal im Rahmen der G20 zu Anti-Korruptionsregeln und dabei auch zu Schutz für Whistleblower verpflichtet. Aber die vier wichtigsten Konventionen, die international auch Whistleblowing aufgreifen, hat Deutschland nicht ratifiziert. Deutschland steht miserabel da. Die Bundesregierung ist allerdings der Ansicht, dass wir ausreichenden Whistleblowerschutz haben. Es gibt ja auch Whistleblower, die ihre Prozesse gewinnen – das ist aber ein langer Weg, sie werden ausgehungert. Der Rechtsstaat darf aber nicht Regeln aufsetzen und sich dann nicht dafür interessieren, wenn sie gebrochen werden. Immerhin hat sich aber die Rhetorik geändert – 2008 war aus der Union noch von „Blockwarten“ die Rede.

Und die Opposition?
Ich sage im Scherz, dass man bei einer rot-grünen Koalition ein gutes Gesetz machen könnte, wenn man von beiden jeweils die guten Ansätze nimmt. Wir wollen aber auch an die rot-grünen Länder herantreten. Es ist das eine, im Bundestag Dinge zu fordern, wenn man nicht die Handlungsmöglichkeit hat, sie umzusetzen. Auf Länderebene könnte aber auch schon einiges getan werden, die Länder sind große Arbeitgeber, könnten Vorbild im Imgang mit Whistleblowern werden, Forschung fördern und Hilfen für Betroffene anbieten.

Und was gefällt Ihnen an den Ansätzen auf Bundesebene?
Die Linke hat sich weitgehend an unseren Forderungen ausgerichtet, aber keinen ausgefeilten Gesetzentwurf vorgelegt. Bei den Grünen ist hervorzuheben, dass sie anders als die SPD neben dem privaten auch den öffentlichen Sektor berücksichtigt – über Änderungen von Beamtengesetz und BGB. Möglichst klare Regeln, die für alle gelten – das muss der Weg sein. Von der SPD kam sogar ein eigenes Whistleblowergesetz. Davon geht ein noch klareres Signal aus – aber der SPD-Entwurf sollte sich leider nur auf den privaten Sektor erstrecken und sparte den öffentlichen aus.

Sind Whistleblower im öffentlichen Bereich nicht vielleicht sogar noch wichtiger als in der Privatwirtschaft?
In welchen Bereich fällt Snowden?

Den würde ich in den öffentlichen einordnen.
Aber er war bei einem Unternehmen beschäftigt. In Zeiten von Public Private Partnership ist es dann Zufall, ob ein Whistleblower im öffentlichen Dienst oder in der Wirtschaft ist. Und wenn wir einen kulturellen Wandel wollen, dann darf es keinen Unterschied geben, dann brauchen wir klare Kante.

Auch vor Brandenburger Tor und US-Botschaft demonstrierten am Abend rund 200 Menschen.

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Bradley Manning-Unterstützer hatten mit Chaos Computer Club und Piratenpartei aufgerufen.

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Klares Signal.

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Der Wikileaks-Unterstützer Jakob Appelbaum, der maßgeblich Anonymisierungsnetzwerk Tor mitarbeitet, mahnte dort: „Lasst meine Regierung nicht damit davon kommen, lasst Eure Regierung nicht damit durchkommen, dass sie mitmacht.“

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Neben den obligatorischen Guy Fawkes-Masken...

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... trugen viele Demonstranten die Züge von Snowden vor dem Gesicht.

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Der heimlich alles sehende Obama – Google wird über den Demonstranten mit einer Google Glass-Imitation nicht so erfreut sein.

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Auch am Bundestag zogen die DEmonstranten vorbei.

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Freiheit statt Überwachung.

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Stehen die vermeintlich brav-angepassten Deutschen Whistleblowing skeptischer gegenüber?

Ich denke nicht. Daniel Ellsberg, der mit den Pentagon-Papieren das Desaster des Vietnam-Kriegs deutlich gemacht hatte, hat mal gesagt, dass Whistleblower in Deutschland genau wie in den USA als Nestbeschmutzer beschimpft werden. In Ländern, in denen es totalitäre Regime mit Denunzianten gab, gibt es große Vorbehalte, in asiatischen Staaten wird gesellschaftlich die Gemeinschaft groß geschrieben. Es ist ganz tief im Menschen verwurzelt, zu einer Gruppe zu gehören und nicht aus der Reihe tanzen zu wollen.

Da etwas zu ändern ist nicht nur eine Frage gesetzlicher Bestimmungen.
Es geht um die Frage, wie mit Kritik umgegangen wird. Wenn einer den Kopf rausstreckt, bekommt er ihn eher abgeschlagen, als dass andere ihn auch heraushalten. Es schauen viele zu und sehen, dass die anderen ja auch nichts machen, es will keiner den Anfang machen. Und auf kritische Geister wird zu wenig gehört. Wir wollen, dass Unternehmen sich anstrengen müssen, Kritiker ernst zu nehmen, damit die nicht andere Schritte gehen. Ein Whistleblower sollte bei Rechtsverstößen auch immer die Wahl haben – was nach deutschem Recht derzeit nicht der Fall ist – sich jederzeit an eine wirklich unabhängige Behörde wenden zu können. Das würde einen großen Anreiz für Unternehmen bieten, intern glaubwürdige Anlaufstellen anzubieten. Nach Studien zu Whistleblowing-Fällen wollen 90 Prozent intern vorgehen.

Snowden wirft man vor, dass er das nicht getan hat...
Der Vorwurf an Snowden ist haltlos. Es gibt eine lange Liste von US-Geheimdienstmitarbeitern, die Whistleblowing auf dem Dienstweg versucht haben und gescheitert sind. Einige wie Tom Drake, William Binney und J. Kirk Wiebe, wurden trotzdem strafrechtlich verfolgt. Da der US-Geheimdienst-Chef vor dem Kongress erst im März vieles von dem was Snowden nun aufdeckte rundweg geleugnet hatte war internes Vorgehen hier von vornherein aussichtslos und unzumutbar.

Man muss sich aber nicht mit dem US-Geheimdienst anlegen, um als Whistleblower seine Existenz zu verlieren.
In vielen Fällen drohen ihm Mobbing und arbeitsrechtliche Sanktionen wie Abmahnungen und Kündigungen. Aber mit arbeitsrechtlichen Regelungen alleine kommt man dem nicht bei. Wenn jemand Ekelfleisch bei einer kleinen Metzgereikette öffentlich macht, macht die vielleicht dicht und er steht auf der Straße. Wir bräuchten etwas vergleichbares wie die Entschädigung für Nothelfer, eine öffentlich-rechtliche Erstattung für Folgen, die entstehen. Und wie ist das mit jemandem, der im guten Glauben zum Whistleblower geworden ist, weil er mit seinem Wissen annehmen konnte, dass etwas faul ist. Der darf nicht in Haftung geraten.

Was treibt einen Whistleblower an?
Der Whistleblower hat in der Regel nichts zu gewinnen und zieht keinen materiellen Vorteil. Ein schwerer Misstand lässt ihn einfach nicht ruhen – er will nicht mit Dreck werfen. Wir sollten ihm dankbar sein.

Und Ihr Verein gibt die Anleitung?
Es wenden sich wirklich häufig verzweifelte Menschen an uns, die den Ritter auf dem weißen Pferd suchen, der den gordischen Knoten zerschlägt. Aber wir sind ein kleiner Verein – etwa 75 Mitglieder. Etwa die Hälfte sind Betroffene, aber auch Juristen und Journalisten sind dabei.

Autor:
Lars Wienand
(Mail, Google+)