„Wir sind die Grabenkämpfe leid“: Wieso „die Bürger“ den Urhebern antworten

Berlin/München – Künstler gegen das Netz, das Netz ohne Rücksicht auf Künstler? Immer heftiger läuft eine Debatte um das Urheberrecht. Nach einem zunächst von 100 Autoren, Schauspielern und Musikern unterzeichneten Aufruf „Wir sind die Urheber“ ließ eine Antwort nicht lange auf sich warten: „Wir sind die Bürger“, hat rund 5000 Unterzeichner. Es geht um das Auskommen der Künstler, um Geschäftsmodelle – aber eben auch im die Angst vor überzogenen Eingriffen in das Netz. Ein Interview mit dem Initator von „Wir sind die Bürger“.

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Kein Tag, an dem derzeit nicht mehr oder weniger heftige Diskussionsbeiträge zum Urheberrecht aufkommen – und oft sind es die Künstler, die aus Existenzangst heraus Piraterie geiseln. Doch „alles für lau“ fordert gar kein ernstzunehmender Vertreter in der Debatte, sagt Thomas Pfeiffer, Vorstandsmitglied der Grünen in München. Der engagierte Blogger, Social-Media-Spezialist und Netzaktivist, der etwa mit einer Aktion Pro Gauck schon einmal Furore gemacht hatte, hat sich provoziert gefühlt durch den jüngsten Aufruf in der „Zeit“. 100 Autoren, Künstler und Schauspieler von Martin Walser und Frank Schätzung über Mario Adorf bis zu Charlotte Roche, Michael Mittermeier und Rammstein-Sänger Till Lindemann waren Erstunterzeichner und erklärten ihre Sorge um „historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit“ durch die Angriffe aufs Urheberrecht. Doch während Anonymous mit der Veröffentlichung von Privatadressen der Unterzeichner reagierte, will Pfeiffer die Hand reichen. „Wir sind die Grabenkämpfe leid“.

Nehmen wir mal an, Thomas Pfeiffer möchte ein Lied von Rammstein hören oder ein Buch von Frank Schätzing lesen. Wie holt er sich das?
Bei einem Buch gehe ich in den Laden und kauf mir es. Ich bin ja selber Buchautor und möchte, dass die Leute es kaufen. Musik höre ich mir entweder auf Spotify an, das ist ein kostenpflichtiger Streamingdienst oder auf YouTube – wenn sie da nicht von der GEMA gesperrt worden ist, weil sich YouTube und Google noch nicht auf einen Preis geeinigt haben. Ich hoffe, dass das bald geschieht und dass YouTube dann einen Teil seiner Werbeerlöse an die GEMA abtritt.

Wir müssen reden? Iris Berben warnte bei einer Unions-Bundestagsfraktion, in den Kinos könne bald das Licht ausgehen, Mario Adorf gehört zu den Unterzeichnern des Aufrugs
Wir müssen reden? Iris Berben warnte bei einer Unions-Bundestagsfraktion, in den Kinos könne bald das Licht ausgehen, Mario Adorf gehört zu den Unterzeichnern des Aufrugs „Wir sind Urheber“.
Foto: dpa

Dir muss man auch nicht erklären, dass Künstler Sorgen oder sogar existenzielle Ängste haben. Den Aufruf „Wir sind die Urheber“ haben sehr viele Menschen unterzeichnet, denen man scharfen Verstand unterstellen darf. Meinst Du trotzdem, dass man denen etwas erklären muss?
Das, das glaube ich nicht, das sind kluge Menschen, die den Aufruf unterzeichnet haben. Sie haben mit ihm möglichst große Aufmerksamkeit erregen wollen, das ist ihnen gelungen. Chapeau! Auch wenn ich glaube, dass die Diskussion um das Urheberrecht mittlerweile weiter ist und es besser wäre, sachlicher zu diskutieren.
Ich nehme die Sorgen der Urheber ernst. Es ist schwer geworden, heute von der eigenen Kunst leben zu können. Aber das war es ja schon immer. Was wir brauchen, sind funktionierende Geschäftsmodelle im Internet, zum Beispiel Streamingdienste für Musik wie Spotify oder iTunes. Auch Fotolia, wo man günstig Fotos z.B. für das eigene Blog kaufen kann, gehen in die richtige Richtung.

Die Sorgen nehmen aber offenbar nicht alle ernst. Anonymous bereitet manchen Unterzeichnern sicher eher zusätzliche Sorgen, nachdem sie zahlreiche Privatadressen veröffentlicht haben...?
Man kann hart in der Sache diskutieren, aber das geht zu weit und ist eine große Sauerei. Es bringt eine Schärfe in das Thema, die völlig überflüssig ist und es diskreditiert die sogenannte Netzgemeinde. Ich wehre mich mit Händen und Füßen gegen solche Aktionen.

Es gibt ja auch mildere Formen, es gibt Boykottaufrufe gegen Urheber auf der Liste. Schmerzt es Dich, die Namen mancher liebgewonnnener Autoren und Künstler auf der Liste zu sehen?
Nein, die Unterschrift von einzelnen tut mir nicht weh. Was mir weh tut, sind die Unwahrheiten, mit denen argumentiert wird: Niemand, der ernst zu nehmen ist, möchte das Urheberrecht abschaffen. Im Gegenteil: Wir wollen, dass Menschen, von ihrer Kunst leben können sollen, wenn sie das wollen. Was wir aber nicht wollen, sind unverhältnismäßige Eingriffe in die persönliche Freiheit der Netzbürger – und diese Netzbürger sind wir alle.
Provider dürfen nicht zu Hilfssheriffs der Polizei werden. Wer das Urheberrecht verletzt, darf dennoch nicht komplett vom Internet abgekoppelt werden, wie das in Frankreich bereits der Fall ist (sog. Three-Strikes-Modell). Der Ausschluss vom Internet wäre eine soziale Todesstrafe und wäre unverhältnismäßig hart.

Der Name „Wir sind die Bürger“ sieht aus wie die trotzige Antwort und wie eine Einladung, es den Urhebern zu geben. Ist es aus dem Impuls heraus entstanden? Weil es im Netz schon die Forderung nach einer plakativen Antwort gab?
Ja, das ist schon eine Reaktion auf „Wir sind die Urheber“. Ich kam spät nach Hause und habe in meinen Mails von dieser Aktion erfahren. Als ich den angesprochenen Beitrag von Thomas Stadler gelesen hatte, war mir klar: Ich möchte dem etwas entgegen setzen. Ich möchte klar machen: Wir, die sog. Netzgemeinde, lieben das Urheberrecht. Noch in der Nacht habe ich mich an den Rechner gesetzt und die Plattform programmiert. Gegen zwei Uhr morgens war die Programmierung fertig. Weitere drei Stunden habe ich mit der Formulierung des Aufruftextes verbracht. Ich wollte einen versöhnlichen Text, ohne Maximal-Forderungen, der von vielen Menschen mitgetragen werden kann.

Denkst Du denn jetzt, dass nach dem „versöhnlichen Text“ Menschen vom „Urheber“-Aufruf die Hand ergreifen und auch Deinen Aufruf unterzeichnen können?
Ich warte nicht darauf, dass jemand beide Aufrufe unterschreibt. Das wäre schon komisch. Aber ich versuche, z.B. mit einer Twittwoch-Veranstaltung, beide Seiten an einen Tisch zu bringen: Die Urheber und die Verwerter mit Grünen und Netzgemeinde. Ich finde, es ist an der Zeit, dass man miteinander, statt übereinander spricht. Die Veranstaltung heißt „Tatort Urheberrecht“. Auf dem Podium sitzen ein Tatort-Autor, ein Vertreter der Verwerter, Konstantin von Notz von den Grünen und Bruno Kramm. Die Diskussion am 4. Juni findet zwar in München statt, wird aber auch live ins Internet übertragen.

Hast Du bei Deiner Unterzeichnerin Charlotte Roche gehofft, dass sie echt ist?
Als jemand mit diesem Namen den Aufruf unterstützt hat, kam mir das komisch vor und ich habe die E-Mail-Adresse überprüft. Weil das eine Wegwerf-E-Mail-Adresse war, habe ich den Eintrag wieder gelöscht. Es gab am ersten Tag vier bis fünf Angriffe auf die Webseite, vermutlich von sog. Script-Kiddies, die sich einen Spaß daraus machen, fremde Webseiten zu attackieren. Aber das war keine ernsthafte Gefahr.

Du wirst ja die wenigsten der Unterzeichner kennen. Aber was glaubst Du, was das für Menschen sind? Mach doch mal den schwierigen Versuch einer Charakterisierung.
Die ersten 1000 Unterschriften kamen innerhalb von drei Stunden zusammen, die nächsten 1000 innerhalb von nur noch anderthalb Stunden. Unter den Unterzeichner sind einige Bundestags- und Europa-Abgeordnete: Konstantin von Notz von den Grünen, Jimmy Schulz von der FDP und der grüne Europa-Abgeordnete Jan-Philpp Albrecht zum Beispiel. Die meisten Zugriffe kamen anfangs von Twitter, jetzt stammen die meisten Besucher von Facebook und von Heise Online, einem Online-Branchendienst. Die Hälfte der jetzt über 4500 Unterzeichner hat einen männlichen Vornamen, jeder zehnte Vorname ist weiblich, bei den übrigen kann man es nicht sicher sagen. Mich haben Menschen angeschrieben, die Mitglied der GEMA sind und sich für den Aufruf bedankt. Das hat mich besonders gefreut.

Und was unterscheidet die Unterzeichner vor allem von den Unterzeichnern des Urheber-Aufrufs?
Wir sind die Grabenkämpfe um das Urheberrecht langsam leid. Zuerst kam der offene Brief der 51 Tatort-Autoren, dann die Aktion des Handelsblattes und jetzt die der Zeit. Zum einen glaube ich, dass unabhängiger Journalismus anders aussieht: Er macht sich nie gemein mit einer Sache, auch nicht mit einer guten. Aber das nur am Rande. Wir sind es auch leid, dass mit Unwahrheiten gegen eine sogenannte Netzgemeinde Stimmung gemacht wird. Das Urheberrecht ist nicht in Gefahr, weil es das Internet gibt. Die Geschäftsmodelle sind es. Da müssen Lösungen gefunden werden und Angebote von der Wirtschaft gemacht werden. Insofern wundert es mich vor allem, warum immer die Künstlerinnen und Künstler vorgeschickt werden. Die GEMA und YouTube müssen sich zusammenraufen und einigen, wieviel YouTube an die GEMA von ihren Werbeerlösen abgibt. Aber das ist die Sache der Wirtschaft, nicht die der Nutzer.

Die Piraten bringen sich bei der Verbreitung des Aufrufs auch kräftig ein. Wie hältst Du es als Grüner, wenn Piraten in der Öffentlichkeit als „kulturlose Gesellen“ dastehen? Siehst Du dann Anlass, sie zu verteidigen?
Jeder muss selber wissen, was er oder sie von den Piraten zu halten hat. Ich halte sie für nicht wählbar und glaube, dass grüne Politik zukunftweisender ist, in allen Bereichen. Wenn allerdings die Unwahrheit verbreitet wird, die Piratenpartei – oder die Grünen – wollten das Urheberrecht abschaffen, schwillt mir der Kamm. So dürfen wir nicht miteinander umgehen. Hart in der Sache, aber verbindlich im Ton und vor allem fair in der Auseinandersetzung. Ich wehre mich also dagegen, dass wir die Debatte polemisch und unsachlich führen.

Es gab ja auch umgehend einen kompromisslosen Beitrag „Wir sind Filesharer“. Wie erreicht die Debatte denn die, von denen Element of Crime-Sänger Sven Regener sagte, dass sie den Künstlern ins Gesicht pinkeln und nur Saugen kennen?
Diese Menschen handeln in meinen Augen und in den Augen meiner Partei falsch. Filesharing darf nicht erlaubt werden. Gleichzeitig dürfen wir diese Rechtsposition aber auch nicht mit der Brechstange durchsetzen, indem wir etwa das Internet flächendeckend und anlasslos Überwachen. Abhilfe könnte eine Pauschalabgabe auf Internet-Anschlüsse schaffen. Wenn man pro Internet-Anschluss nur einen Euro im Monat einsammelt, hätten die Künstlerinnen und Künstler in Deutschland über 500 Millionen Euro pro Jahr mehr zur Verfügung. Das verstehen wir unter einem fairen Interessensausgleich.

Der Ist-Zustand beim Urheberrecht (und die Praxis im Netz) machen offenbar keinen glücklich. Was müsste denn dann passieren, damit nicht nur geredet und aufgerufen wird, sondern auch tatsächlich Lösungen gefunden werden?
Alles Seiten müssen verbal abrüsten und sich endlich an einen gemeinsamen Tisch setzen. So zum Beispiel am 4. Juni in München bei unserem Twittwoch Spezial: Tatort Urheberrecht.

Die Fragen stellte Lars Wienand