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Wenn der Mechaniker klingelt – Innovative Service-Ansätze neuer Automarken

Newcomer im nationalen Autogeschäft müssen sich einiges einfallen lassen, um ihre wachsende Kundschaft auch nach dem Kauf zufrieden zu stellen. Denn eine breite Händlerbasis haben die meisten nicht. Dafür aber manch neue Service-Ansätze – und den Vorteil eines eigenen vollvernetzten Betriebssystems.

SP-X/München. Rußwolken, Ölgeruch und aufjaulende Motoren, die waren eigentlich noch nie premium. „Gott sei Dank müssen wir uns mit solchen Hinterlassenschaften von Verbrennern nicht mehr abmühen“, sagt Timm Grimmer und lacht. Der Service-Chef für Deutschland, Österreich und die Schweiz des US-Autobauers Lucid hat von früheren Arbeitgebern die alte Werkstatt-Welt in lebhafter Erinnerung. „Wenn da die Motoren warmlaufen mussten, Öl gewechselt wurde oder am Zylinderkopf geschraubt, da haben sie die Hände am Abend kaum sauber bekommen“, erinnert sich der Werkstattmeister.

Und die Hallen sahen auch nach den halbjährlichen Grundreinigungen schnell wieder unvermeidlich grau und unansehnlich aus. Nicht unbedingt das, was ein Kunde zu sehen bekommen muss. Erst recht nicht, wenn er eine sechsstellige Summe für glitzernden Metallic-Lack, hellbeiges Leder, schimmerndes Aluminium und kuschelige Teppiche ausgegeben hat.

In seinem Service-Center im Münchner Osten lässt Lucid die Käufer dagegen gern einmal in die Werkstatthallen. Einen Ölwechsel oder Auspuff gibt es ja in keiner der dort stehenden drei Dutzend vollelektrischen Limousinen. Es riecht nach Spätsommerluft, die lichtgrauen Wände reflektieren das Sonnenlicht, das durch die blitzsauberen Fenster scheint und das Geräuschniveau erinnert eher an eine Kathedrale ein paar Stunden vor der Messe. Es sei denn, ein Mechaniker muss einmal Reifen wechseln oder einen eingebeulten Stoßfänger abschrauben.

Lucid hat mehrere Studios und Servicezentren in Europa eröffnet, darunter in Städten wie München, Düsseldorf, Zürich, Genf, Hilversum oder Oslo. Weitere Standorte wie Hamburg, Stuttgart und Frankfurt sollen folgen. Der Hersteller plant, das Service-Netzwerk in Deutschland bis Ende 2024 auf über 50 Standorte auszubauen. Die klinisch reine Umgebung seiner Service-Center ist aber nicht das einzige Argument, mit dem auch Lucids Service-Chef für Europa, Frederic Notte, die ersten Käufer des noch recht exotischen Elektroautos aus den USA begeistern will. „Wir haben in den Centern auch Aufenthaltsbereiche für die Kunden geschaffen und zeigen damit Transparenz.“ Mancher Konkurrent deckt diese weniger schillernde Seite des Hochglanzgeschäfts mit seinen Autos tunlichst ab. Lucid gibt den technophilen Kunden dagegen gleich neben den Werkstattplätzen mit ihren Hebebühnen gern auch Einblicke in die besondere Batteriearchitektur, die Motoren oder die Zentralrechner der Luxuswagen aus Kalifornien.

Gerade die letztgenannten Elemente sind schließlich Kern eines weiteren Ansatzes, um im Service den etablierten Autobauern etwas vorzumachen. Die haben nämlich in der Regel noch kein selbstentwickeltes Software-Rückgrat und können daher nicht so tief in die Funktionen der Rechner auf Rädern schauen – und sie dabei optimieren. „Unser selbst programmiertes Betriebssystem gibt uns die Möglichkeit, rund 5.000 unterschiedliche Signale aus dem Auto im Betrieb auszulesen“, erklärt Notte. Dadurch sind viele Service-Besuche, die Kunden anderer Marken notgedrungen machen müssen, bei Lucid längst überflüssig. Die Amerikaner verbessern, wie andere Wettbewerber mit eigenem Betriebssystem wie Nio oder Tesla, kontinuierlich ihre Fahrzeuge over-the-air. Per Updates hat Lucid so etwa Funktionen wie Apple CarPlay oder den Highway Assist fürs hochautomatisierte Fahren nachträglich integriert, Android Auto soll auch bald folgen. Seit der Markteinführung in Europa vor zwei Jahren gab es bereits 23 Updates.

Der Röntgenblick in die elektronische Architektur eröffnet aber noch andere Möglichkeiten als nur regelmäßige Updates. Alle Lucid-Fahrzeuge sind mit einem Ferndiagnose-System ausgestattet, das eine ständige Überwachung der Fahrzeugdaten ermöglicht. Wer also im tiefsten Allgäu links im Display eine Warnmeldung bekommt, der kann per Touchscreen mit dem Service-Team Kontakt aufnehmen – und die sehen mal eben virtuell im Zentralrechner unter der Motorhaube nach. „Viele Fehler lassen sich dann gleich digital vernetzt beheben“, so Notte.

Und sollte das Problem doch prekärer sein – oder ein Lkw auf der Gegenseite den Außenspiegel abgefahren haben? Muss der Lucid-Fahrer sein Gefährt dann ins mehr als 100 Kilometer entfernte München abschleppen lassen? Dieses Service-Problem, das viele Newcomer im nationalen Automarkt angesichts dünner Werkstatt-Landschaft haben, gehen die Amerikaner auf eine andere Weise an: Zum einen hat Lucid den repräsentativen Service-Centern mehrere eigene reine Werkstätten in der Fläche zur Seite gestellt. Vor allem aber sind die Kalifornier als Untermieter in 50 Werkstätten des Reifenherstellers Pirelli eingezogen. Dort können die eigenen Mechaniker bei Bedarf mit den Kundenfahrzeugen anfahren und die meisten Schäden reparieren. Auch normale Wartungen können so vorgenommen werden. Der Kunde bekommt derweil einen Ersatz-Lucid.

Diese sogenannten Mobile Service Hubs können zudem – etwa im Fall des abgefahrenen Außenspiegels – auch gleich zum Kunden nach Hause oder ins Büro kommen. Wenn der Mechaniker klingelt, öffnet sich das Garagentor und der Schaden wird vor Ort behoben. Dem Münchner Service-Center steht dazu ein Lucid Air, vollgepackt mit Werkzeug, zur Verfügung. Bei umfangreicheren Einsätzen rückt einer von zwei Mercedes-Transportern aus. An diesem Tag ist der Vito gerade in der Werkstatt-Halle mit einem Ersatzteil für den Kunden vollgeladen worden; nun fährt er langsam rückwärts aus der Halle. Da riecht es dann plötzlich doch mal nach Ruß und Öl, als der Motor anspringt und losrattert. Ein Mechaniker an der Hebebühne gleich daneben zuckt kurz zusammen. Die alte Premium-Welt der Verbrenner, sie ist offenbar schon fast vergessen.

Peter Weißenberg/SP-X