Verkehrsplaner mahnt: In Rheinland-Pfalz muss noch viel passieren

Auch wenn er es nicht gern hört, Dankmar Alrutz wird in Deutschland als „Fahrrad-Papst“ bezeichnet. Der 68-Jährige ist einer der führenden deutschen Forscher und Planer im Bereich Rad- und Fußverkehr. Er hat an Regelwerken mitgearbeitet, Gutachten für die Bundesregierung erstellt, das Thema Radschnellverbindungen populär gemacht und führt aktuell das Ingenieurbüro Planungsgemeinschaft Verkehr GbR (PGV) mit Sitz in Hannover. Im Gespräch mit unserer Zeitung zeigt er sich optimistisch, dass das Pedelec weiter an Bedeutung gewinnt. Er spricht aber auch über Herausforderungen und begangene Versäumnisse.

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Herr Alrutz, wie sind Sie heute Morgen zur Arbeit gekommen?

Mit dem Fahrrad – trotz leichten Nieselregens. Das bietet sich ob des kurzen Weges von nur drei Kilometern an. Schneller als mit dem Rad geht es in der Stadt nicht.

Damit sind Sie momentan noch in der Minderheit. Glauben Sie, das ändert sich in der nahen Zukunft?

Zumindest werden die Verkaufs- und Nutzungszahlen von Pedelecs weiter steigen, das wird enorm helfen. In den Niederlanden legen die Menschen bereits 10 Prozent ihrer Fahrradwege mit Pedelecs zurück. Sie sehen: Da haben wir noch jede Menge Potenzial.

Und das kann genutzt werden?

Ja. Derzeit herrscht für das Fahrrad eine günstige Situation: Themen wie Klimaschutz und Schadstoffreduzierung stehen auch auf der politischen Agenda ganz oben. Viele Städte merken, dass sie mit ihrer bisherigen Verkehrspolitik nicht weiterkommen.

Argumente wie Klimaschutz, Gesundheit und geringe Kosten sind nicht neu. Trotzdem steigen die Nutzungszahlen kaum. Untersuchungen zeigen: 2008 legten die Deutschen 10 Prozent ihrer Wege mit dem Rad zurück, 2017 waren es mit 11 Prozent nur wenig mehr.

Das stimmt – und wir hatten uns da mehr erhofft. Andererseits ist das eine Steigerung um 10 Prozent. Und: Die absolute Zahl der mit dem Rad gefahrenen Strecke steigt stärker, weil die zurückgelegten Entfernungen weiter werden – aber die Menschen fahren halt auch mehr Auto. Dass wir den Rad-Anteil nicht weiter erhöhen konnten, liegt vor allem am Stadt-Land-Gefälle: In den Städten haben wir einen Zuwachs, auf dem Land tendenziell eher einen Rückgang.

Weil das Fahrrad – trotz der Pedelecs – fürs Land nicht geeignet ist?

Das kann man so nicht sagen. Gerade auf dem Land hilft das Pedelec enorm, weil es weite Strecken mühelos ermöglicht. Das Problem ist: Es fehlt an Infrastruktur. Das liegt vor allem daran, dass der öffentliche Nahverkehr oft schlecht ausgebaut ist. Im Zusammenspiel mit Bus und Bahn könnte die Radnutzung auch auf dem Land ein erhebliches Potenzial erhalten. Die Nutzer müssen aber ausreichend Möglichkeiten haben, Räder mitzunehmen. Und die Fahrpläne dürfen nicht so ausgedünnt sein. Wenn Sie die Menschen aufs Rad bekommen wollen, müssen Sie auch attraktive Angebote machen.

Momentan ist das Radfahren auf dem Land neben oder auf Bundes- und Landesstraßen stellenweise aber noch eine Mutprobe.

Wie gesagt, wir brauchen mehr und bessere Angebote. Zumindest auf Landes- und Bundesstraßen gehört eine geeignete Radverkehrsanlage dazu. Andere Länder sind da viel weiter als Deutschland. Wobei auf dem Land Verbindungen auch über Wirtschaftswege laufen können.

Sie kritisieren mangelnde Angebote. Unternehmen Bund, Länder und Kommunen zu wenig?

Der Nationale Radverkehrsplan 2020 enthält viele gute Ansätze. Aber es gibt ein Problem in der Umsetzung: Den Kommunen fehlt Geld, die Länder haben teilweise das Problem noch nicht erkannt, der Bund ist im Vergleich zu fahrradfreundlichen Ländern wie Dänemark und den Niederlanden ein Waisenkind. Dort werden ganz andere Summen für Projekte in die Hand genommen. Da sehe ich großen Handlungsbedarf.

Wie steht Rheinland-Pfalz da?

Es gibt Länder, die sich stärker engagieren – aber Rheinland-Pfalz ist da sicher nicht in vorderster Linie dabei. Andere Länder wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Bayern sind da deutlich weiter. Gerade im Bereich Alltagsverkehr muss in Rheinland-Pfalz viel mehr passieren.

Woran denken Sie?

Wenn Sie Menschen aufs Fahrrad bekommen wollen, brauchen Sie zwei Komponenten: Infrastruktur und Öffentlichkeitsarbeit. Sie brauchen Radwege, Ampelschaltungen und mehr, die ihnen ein frustfreies Radfahren ermöglichen. Das ist leider zu selten der Fall. Das andere ist die Öffentlichkeitsarbeit und die Information darüber, was es überhaupt für Möglichkeiten für das Radfahren gibt. München beispielsweise wirbt mit Plakaten, Festen und vielem mehr fürs Fahrrad. Das zeigt dann auch Erfolg.

Gibt es nicht gerade in Städten Konflikte zwischen Rad und Auto?

Im Prinzip gibt es genügend Maßnahmen, um den Konflikt zu lösen. Und es gibt auch ein klares Regelwerk. Aber was ich erlebe, ist, dass in manchen Kommunen einfach das Know-how fehlt. Das löst viele unnötige Konflikte aus. Oft fehlt der lokalen Politik auch der Mut. Denn nicht alle Entscheidungen, die man treffen müsste, sind populär. Aber sie werden das Rad nicht fördern können, wenn sie anderen nicht etwas wegnehmen.

Heißt konkret?

Wenn Sie einen Großteil der Parkfläche für andere Verkehrsteilnehmer freigeben, hätten sie viele Probleme gelöst. Straßen sind zum Fahren da – nicht zum Stehen. Das Auto ist ein privater Gegenstand. Ich verstehe nicht, warum es bei uns selbstverständlich ist, dass dem Parken im öffentlichen Raum selbst bei begrenztem Platzangebot so ein hoher Stellenwert gegeben wird – und Fußgängern und Radfahrern wird die Möglichkeit genommen, sich sicher und komfortabel fortzubewegen. Das gibt es so ausgeprägt wohl nur in Deutschland.

Das Gespräch führte Markus Kuhlen