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Ausweiler/Rüdesheim

Vom Versteckspiel in verwaisten Gebäuden – Ausweiler

Von Peter Bleyer
Herta Daubenfeld mit ihren beiden Brüdern in Ausweiler Foto: privat
Herta Daubenfeld mit ihren beiden Brüdern in Ausweiler Foto: privat

An die leer stehenden Häuser könne sie sich noch gut erinnern, erzählt Herta Daubenfeld. Damals, als die ersten Familien schon weggezogen waren. Wie die Kinder in den verwaisten Gebäuden Verstecken spielten, das sei eine bizarre Situation gewesen und trotzdem etwas Besonderes. Kurze Zeit später war das Leben im Dorf dann auch für die heute 92-Jährige und ihre Familie zu Ende. Sie mussten die Heimat verlassen. Ausweiler war einmal.

Lesezeit: 3 Minuten
Herta Daubenfeld, die mittlerweile in Rüdesheim bei Bad Kreuznach wohnt, zeichnet aus ihrem Gedächtnis heraus ein eindrucksvolles Bild dieser letzten Tage einer Gemeinde, die zusammen mit zwölf anderen dem Truppenübungsplatz weichen musste. Dabei erzählt sie auch von einer Versammlung, bei der sich die Ausweilerer noch einmal trafen – kurz, bevor ...
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Der zweifache Verlust der Heimat – Schicksal der Familie Hamm

Ausweiler/Reichenbach. Die heutige Reichenbacherin Lilli Müller, Enkelin von Jakob und Karoline Hamm, kann sich noch sehr genau an den Moment erinnern, als der Möbelwagen vor ihrer Haustür in Reichenbach vorfuhr. Sie lief auf ihren Opa zu, der ganz laut geweint hat und nicht mehr aufhören wollte.

Auch die Oma brach in Tränen aus. Schließlich setzte sich der Möbelwagen in Bewegung und brachte die Familien Kielburger und Hamm in ihr neues Domizil nach Güdingen. Es war bereits das zweite Mal, dass sie ihre Heimat verloren. Denn Jakob und Karoline Hamm stammten aus Ausweiler – einem der 13 Dörfer, die Ende der 30er-Jahre von den Nazis aufgelöst wurden.

Rückblick: Jakob und seine Ehefrau Karoline hatten sechs Kinder, fünf von ihnen waren in den frühen 30er-Jahren ausgezogen und hatten Ausweiler den Rücken gekehrt. Nur Martha wollte bei ihren Eltern bleiben. Erst wenige Jahre zuvor hatte sie ihren Ehemann Adolf Kielburger geheiratet. Beide entschieden sich, ihr weiteres Leben gemeinsam mit Marthas Eltern in Ausweiler zu verbringen. Sie hatten vor, Haus und Hof zu übernehmen. Als 1937 über die Anlegung des Truppenübungsplatzes und somit die Auflösung der betroffenen Dörfer verfügt wurde, waren die jungen Kielburgers mit 33 beziehungsweise 34 Jahren mitten in dem Vorhaben, sich ein neues Leben in Ausweiler aufzubauen.

Wie vom Blitz getroffen nahmen sie diese unfassbare Nachricht auf, wie sie später immer wieder im Familienkreis erzählten. Aber noch viel schlimmer war diese Hiobsbotschaft für die alten Herrschaften. Jakob Hamm hatte sein ganzes Leben in Ausweiler verbracht und musste nun mit fast 70 Jahren seine lieb gewonnene Heimat verlassen. Auch der zwei Jahre jüngeren Karoline fiel diese Entscheidung wahnsinnig schwer. Trotz des kargen Bodens, der harten Arbeit als Bauer und der sehr dürftigen Einkünfte war Ausweiler die geliebte Heimat. Wie sie später immer wieder auf den damaligen Ausweilerer Treffen berichteten, empfanden die beiden jeden Tag als unerträglicher. Mit jeder Stunde, die verging, blieb weniger Zeit in der gewohnten Umgebung.

Ein halbes Jahr hatten sie nur Zeit, um ihre Kühe an den Mann zu bringen. Futter, Leiterwagen und alles, was sie nicht mitnehmen konnten, musste verkauft werden. Meist musste es verschenkt werden, da sich auf die Schnelle kein geeigneter Käufer fand. In dem halben Jahr mussten sie ganz nebenbei noch eine neue Heimat suchen.

Zunächst schauten sich die vier im nahe gelegenen Reichenbach um. Leider stand nur ein einziges Haus zum Verkauf. Dieses hatte bereits die Familie Schüßler gekauft. Die zweite Alternative war Mecklenburg, wo viele Auswanderer eine neue Heimat fanden. Letztendlich fand Adolf Kielburger im saarländischen Brebach Arbeit und in Güdingen ein für zwei Familien geeignetes Haus. Die Tage, bevor der Möbelwagen bestellt war, waren für die beiden Familien schier unerträglich.

Auch die Kinder, die in Reichenbach, Aulenbach, Baumholder und Völklingen verheiratet waren, halfen ihren Eltern und ihrer Schwester beim Packen. Den gesamten Tag über musste das Haus nebst Stall und Scheune leer geräumt werden. Alles wurde verpackt und auf den bereitstehenden Möbelwagen geladen. Die noch einzige verbliebene Kuh im Stall band Jakob Hamm an den Möbelwagen. Sie musste die kurze Strecke von Ausweiler nach Reichenbach hinterherlaufen. In Reichenbach wurde die Kuh losgebunden und fand Platz im Stall seines Sohnes Adolf Hamm, der bereits 1932 nach seiner Heirat nach Reichenbach in das Haus seiner Ehefrau Karolina gezogen war.

Jakob Hamm starb 1951 in Güdingen und wurde auch dort beerdigt. Er bekam die zweite Zwangsräumung seiner Familie nicht mehr mit. Denn in Güdingen war eine neue Straße geplant worden, die genau durch das Haus der beiden Familien führen sollte. Nun mussten Adolf und Martha Kielburger ein zweites Mal ihr Zuhause aufgeben. Fündig wurde die Familie Kielburger in Baumholder. Oma Karoline zog nach der Räumung zu ihrer jüngsten Tochter Meta, wo sie auch nach wenigen Jahren starb. Martha und Adolf Kielburger zogen zunächst in eine Mietwohnung, um dann Mitte der 60er-Jahre ihr neues Haus in Baumholder zu beziehen.

Von unserem Mitarbeiter Gerhard Müller

Fakten zu Ausweiler

Zum ersten Mal erwähnt wird das Dorf im Jahr 825, als der fränkische Edeling Herefried Wald und Wiesen zu Ausweiler dem Kloster Tholey schenkte. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts war Ausweiler im Besitz der Erzbischöfe von Trier.

Später, im 14. Jahrhundert, wurde Loretta von Sponheim zur Besitzerin des Gebietes zwischen Idarwald und Winterhauch – in dieser Zeit entstand auch die Frauenburg als militärischer Stützpunkt. Die Zugehörigkeit Ausweilers durchlief einige Stationen, unter anderem Pfalz-Simmern, Pfalz-Zweibrücken, Amt Birkenfeld und Kreis St. Wendel, zu dem es bis 1834 gehörte. Obwohl die Lothringer im 17. Jahrhundert in Ausweiler einfielen und die Bewohner sich auch auf der Frauenburg nicht vor ihnen retten konnten, wuchs das Dorf danach immer weiter. 1906 zählte die Gemeinde schon 56 Häuser und 306 Einwohner. Einen besonderen Bekanntheitsgrad erlangte der Männergesangverein des Ortes, der bei einem Wettbewerb in Ottweiler 1913 sogar den ersten Preis und einen Ehrenpreis gewann. Auch über die Schule der Gemeinde gibt es einige Anekdoten: Über mehrere Jahre war sie zum Beispiel verwaist, weil das Dorf sich weigerte, einen Lehrer auf eigene Kosten zu bestellen. Die Gemarkung Ausweiler fiel schließlich mit einer Größe von rund 428 Hektar in den Truppenübungsplatz.

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