Neuwied/Koblenz

Viereinhalb Jahre für Baby-Kidnapper: Paar muss büßen

Sie haben in Tschechien ein 19 Tage altes Mädchen vor den Augen seiner Mutter aus dem Kinderwagen gerissen und nach Deutschland verschleppt. Jetzt hat das Koblenzer Landgericht das Pärchen aus Neuwied zu einer Haftstrafe von jeweils vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

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Bei der Strafe wurden auch zwei Pkw-Diebstähle sowie gewerbsmäßiger Betrug und Urkundenfälschung berücksichtigt. Zudem müssen die beiden Angeklagten der Mutter der kleinen Michala – die junge Frau leidet noch heute unter dem traumatischen Erlebnis – 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Die Angeklagte betritt beim Prozessauftakt den Gerichtssaal des Landgerichts in Koblenz.

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Neben ihr ist auch Uwe R. (links) angeklagt. Dem 51-Jährigen und seiner 47-jährigen Lebensgefährtin wird vorgeworfen, die damals wenige Wochen alte Michala am 4. Juli 2012 im tschechischen Ústí nad Labem vor den Augen der Mutter aus dem Kinderwagen gerissen zu haben. Tagelang fehlte von dem Säugling jede Spur, dann wurde er wohlbehalten in einer Wohnung in Neuwied bei Koblenz gefunden.

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Der Angeklagte Uwe R. (rechts) unterhält sich im Gerichtssaal des Landgerichts imit seinem Anwalt Ingmar Rosentreter.

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Die Angeklagten Uwe R. (2.v.l.) und Melanie-Christin M. B. sitzen mit ihren Anwälten Ingmar Rosentreter (l) und Johannes Daners (2.v.r) auf der Anklagebank des Landgerichts.

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Prozessakten liegen auf dem Richtertisch des Landgerichts.

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Mit Spannung war das Urteil erwartet worden, denn Rechtsanwalt Ingmar Rosentreter hatte für seinen 51-jährigen Mandanten einen Freispruch beantragt. Als Begründung berief er sich auf die skurrile Geschichte, die die 48-jährige Mitangeklagte dem Gericht aufgetischt hatte: Demnach hat sie eine Drillingsschwangerschaft vorgetäuscht. Zur Geburt der angeblichen Kinder fuhren sie aus finanziellen Gründen nach Tschechien. Die Frau behauptete, nach der Geburt seien zunächst zwei Babys entführt worden und kurze Zeit später verstorben. Dann sei auch das dritte Kind entführt worden.

Paar machte gemeinsame Sache

Ab diesem Zeitpunkt kam der Angeklagte offiziell ins Spiel. Er hatte vor Gericht eingeräumt, dass man die „Entführerin“ in einem Supermarkt entdeckt habe, ihr in einen Park gefolgt sei und er dort „sein“ Kind aus dem Kinderwagen gerissen habe. Gemeinsam mit dem Baby raste das Entführerpärchen dann zurück nach Neuwied. In einem Leihwagen mit gefälschten Kennzeichen.

Diesen Umstand wertete der Vorsitzende Richter Thomas Metzger als einen Beleg dafür, dass die Kindesentführung in Tschechien von beiden Angeklagten geplant war. Metzger betonte, dass der schnelle Fahndungserfolg nur durch die Video-Überwachung auf den Autobahnen möglich wurde. Warum und wie es zu der spektakulären Kindesentführung gekommen war, darüber konnten die Prozessbeteiligten nur spekulieren.

Psychiater sieht Angeklagte als voll schuldfähig

Aufgrund der Aktenlage hatte der Psychiater die Angeklagte als „grob manipulativ“ und bei allen Straftaten als voll schuldfähig eingestuft. Ihre Verteidigerin Julia von Dreden zeichnete das Bild einer Frau, deren Situation vor dem Kennenlernen des Mitangeklagten ohne Perspektive gewesen sei. Der 48-Jährigen sei bewusst, welches Leid sie angerichtet habe, aber sie wolle auch verstanden werden. Sie sei schwanger gewesen, habe eine Fehlgeburt erlitten, und erst dann habe sie das Lügenlabyrinth aufgebaut. Von Dreden beantragte eine Freiheitsstrafe im offenen Vollzug, damit ihre Mandantin eine Therapie machen kann.

Richter Metzger machte bei der Urteilsbegründung keinen Hehl daraus, was er von den bizarren Erklärungsversuchen der beiden Angeklagten hält. Er nannte sie ein „reisendes Betrüger-Pärchen“.

Von Ricarda Helm