RZ-KOMMENTAR zu NSU-Prozess: Türkische Reporter müssen aus erster Hand berichten

Dietmar Brück kommentiert.
Dietmar Brück kommentiert. Foto: Jens Weber

Dietmar Brück zum Streit um den NSU-Prozess in München

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Wenn das deutsch-türkische Verhältnis nicht einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt werden soll, gibt es nur eine Möglichkeit: Die türkischen Reporter müssen beim NSU-Prozess im Gerichtssaal einen festen Platz garantiert bekommen. Alles andere provoziert einen Sturm der Entrüstung am Bosporus. Dort wird niemand verstehen, warum bei der gerichtlichen Aufarbeitung der größten rechtsextremistischen Mordserie nach dem Zweiten Weltkrieg keine türkischen Beobachter zugelassen sind.

Dieser Umstand ist auch deswegen unerträglich, weil die Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte, lange als „Döner-Morde“ oder als „Mordserie Bosporus“ verharmlost wurden. Polizei und Ermittler liefen in die falsche Richtung, vermuteten, dass die Opfer selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt waren. Von der „Türkenmafia“ war die Rede. Die Angehörigen der Opfer mussten üble Diffamierungen aushalten. Dabei wurden allein acht türkischstämmige Migranten eiskalt von einer rechtsextremen Terrorbande erschossen. Als die Wahrheit ans Licht kam, löste sie ein Beben aus – vor allem in Deutschland und in der Türkei. Die Sicherheitsbehörden mussten sich nicht nur wegen gravierender Ermittlungsmängel verantworten, sie standen auch am Rassismus-Pranger.

Der Prozess bietet die Chance, die Wunden heilen zu lassen. Von daher müsste es selbstredend sein, dass türkische Medien unmittelbar miterleben können, wie die deutsche Justiz die NSU-Verbrechen aburteilt. Ein solches Vorgehen liegt im nationalen Interesse Deutschlands. Das Ansehen dieses Landes kann nicht davon abhängen, welcher Journalist sich beim Oberlandesgericht München wann zur Berichterstattung angemeldet hat. Die Fristen für eine simple Akkreditierungsliste werden zum politischen Sprengstoff.

Die Verantwortlichen in der Münchener Justiz müssen sich vorwerfen lassen, dass sie diese Falle früher hätten wittern können. Mit Kreativität und gutem Willen hätte man das Zulassungsverfahren vermutlich dem besonderen Charakter dieses Prozesses anpassen können, ohne Revisionsgründe zu provozieren. Darauf haben genug namhafte Juristen hingewiesen – bis hin zur EU-Justizkommissarin Viviane Reding. Eine rein formaljuristische Vorgehensweise führt in die Irre. Zumal das OLG München noch nicht einmal eine Videoübertragung zulassen will.

Nun bleibt den türkischen Journalisten nur noch die Hoffnung, dass deutsche Kollegen ihnen ihren Platz überlassen. Einzelne Medienvertreter und Verlagshäuser sollen einen zwischenstaatlichen Konflikt verhindern oder zumindest entschärfen. Dieses Faktum entbehrt nicht eines gewissen Aberwitzes.

Findet sich keine überzeugendere Lösung, ist der NSU-Prozess bereits in seiner Glaubwürdigkeit beschädigt, bevor er begonnen hat. Das weltweite Echo wird vor allem vom Ausschluss der Auslandspresse erzeugt. Die eigentliche Aufarbeitung der rechtsextremen Verbrechen gerät in den Hintergrund. Und in der Türkei werden nicht wenige Menschen glauben, dass die Journalisten ihres Landes bewusst ausgesperrt bleiben, weil etwas unter den Teppich gekehrt werden soll. Um diesem Verdacht den Boden zu entziehen, hat die Münchener Justiz nicht mehr viel Zeit. Auch bei ihr laufen die Fristen langsam ab.

E-Mail: dietmar.brueck@rhein-zeitung.net