RZ-Kommentar: Weniger Doktoren unter Politikern würden Deutschland nicht schaden

Seien wir für einen Moment realistisch: Die Plagiatsaffäre wird Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) politisch wohl kaum überleben. Die oberste Bildungspolitikerin im Land im juristischen Streit mit der Uni Düsseldorf – das kann und wird sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestagswahlkampf wohl nicht leisten.

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Eine in der Vergangenheit eher unscheinbare Ministerin würde zur offenen Flanke, auf die Oppositionspolitiker unentwegt feuern würden. Doch so weit wird es vermutlich gar nicht erst kommen. Dafür werden die mittlerweile kaum noch zu ertragende Plagiatsjäger im Internet und eine teilweise empörte Öffentlichkeit schon sorgen. Der öffentliche Druck wird Schavan aus dem Amt tragen.

Dabei wäre es deutlich besser, wenn Schavan dem Druck nicht weichen würde. Dann gäbe es die Gelegenheit, sich mit anderen Aspekten dieser Affäre zu beschäftigen. Zum Beispiel mit der seltsamen Vorgehensweise der Uni Düsseldorf. Da wird der Schavankritische Gutachter Stefan Rohrbacher als Vorsitzender der Promotionskommission zugleich zum Richter über die akademische Zukunft der Ministerin. Das hat mit einer objektiven wissenschaftlichen Begutachtung einer Doktorarbeit aber auch gar nichts zu tun. Und da ist das vernichtende Urteil eben dieser Kommission, die Schavan vorwirft, vorsätzlich zahlreiche Zitate nicht kenntlich gemacht und auch von ihr verwendete Bücher nicht angegeben zu haben. Wie, bitte schön, konnte das den damaligen Gutachtern nicht auffallen? Trifft nicht also auch die Uni eine große Schuld an dieser heutigen Affäre? Jeder, der einmal eine große geisteswissenschaftliche Arbeit an einer deutschen Uni geschrieben hat, der weiß, dass gerade bei einer Dissertation das Herausarbeiten eigener Erkenntnisse im Vordergrund stehen muss.

Doch zumeist baut dieser Teil auf einem bereits von anderen Autoren erarbeiteten Wissen auf. Und dies wird in der eigenen Arbeit paraphrasiert. Plump ausgedrückt schreibt man es um, erwähnt dann aber natürlich die Quelle. Das geschieht tausendfach. In Zeiten des Internets ist die Versuchung des Plagiierens natürlich groß. Doch im Jahr 1980? Das ist eine lächerliche Vorstellung in einer Zeit, als man Zitate auf kleine Karteikarten schrieb. Es ist ein großer Unterschied, ob man sich eine Doktorarbeit wie im Fall Karl-Theodor zu Guttenbergs in großen Teilen von anderen Autoren schreiben ließ oder ob man wie Annette Schavan zu nachlässig mit Zitaten und Quellen umgegangen ist.

Letzteres ist sicherlich unsauber, rechtfertigt aber nicht den Entzug des Doktortitels. Und wenn, dann hätte sie ihn nie bekommen dürfen. Überhaupt sollten die Deutschen einmal grundsätzlich über ihr Verhältnis zum Doktortitel nachdenken. Erstens gibt es im Vergleich zu Ländern wie den USA oder Großbritannien eine wahre Inflation von Doktoren. Dies hat auch damit zu tun, dass der Titel zumindest in Teilen leicht zu erwerben ist. Zweitens haben die Deutschen vor allem in der älteren Generation ein geradezu demütiges Verhältnis zu Doktoren. Auch dies ist der Grund, warum besonders konservative Politiker so erpicht auf diesen Titel sind. Dabei würde es dem Land nicht schaden, wenn es weniger Doktoren unter den Politikern gäbe.

Bezeichnend ist doch, dass jetzt viele Wissenschaftler Partei für Schavan ergreifen – weil sie gute Bildungspolitik gemacht hat.

E-Mail: christian.kunst@rhein-zeitung.net