RZ-KOMMENTAR: Kurzer Weg von der Gier zum Betrug

Nein, der nächste Skandal hat nicht den Ziegenkäse getroffen, wie Martin Müller, der Bundesvorsitzende der Lebensmittelkontrolleure, noch am Tag zuvor bei einem Vortrag an der Universität Koblenz ins Blaue fantasierte. Dennoch lag der oberste Lebensmittelüberwacher mit seiner Prophezeiung gar nicht schlecht.

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Den aufgebrachten Verbrauchern riet er, skeptisch auf jene Bereiche im Lebensmittelmarkt zu blicken, in denen sich das meiste Geld verdienen lässt. So gesehen müssten Futtermittelproduzenten quasi unter Generalverdacht stehen. Nach Angaben des WWF verfüttern landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland 70 Millionen Tonnen Getreideeinheiten – eine Getreideeinheit entspricht dem Energiegehalt von 100 Kilo Getreide. Auch wenn bereits 60 Prozent der deutschen Getreideproduktion und 70 Prozent der deutschen Ölsaatenproduktion hierzulande in Tiermägen landen, wie gerade erst im „Fleischatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung zu lesen war, reicht das nicht aus, um den Hunger der industriellen Tierproduktion zu stillen.

Fast ein Drittel des Futters muss importiert werden. Das heißt: Der Handel mit Futtermittel ist ein gigantischer Markt. Die Folge: Getreide und Soja sind längst zum Spekulationsobjekt geworden, mit dem sich viel Geld verdienen lässt. Das schürt die Gier und reizt zum Betrug. Denn die globalen Warenströme lassen sich immer schwieriger kontrollieren. Händler haben mit den Herstellern kaum noch etwas zu tun. Im Regelfall bekommen sie die Ware, mit der sie im großen Stil handeln, noch nicht einmal zu sehen.

Bei der Einfuhr bleibt daher nur, Papiere und Prüfsiegel zu kontrollieren – und auch das kann, wie wir inzwischen wissen, allenfalls stichprobenartig gelingen. Die Lücke im Sicherheitsnetz ist kalkuliert. Wir müssen uns wohl oder übel an die Regelmäßigkeit solcher Skandale gewöhnen. Weil sie zum System eines globalisierten Lebensmittelmarktes gehören. Verschlungene Handelswege und zergliederte, anonymisierte Herstellungsprozesse haben dazu geführt, dass die Kontrolle über unsere Lebensmittel längst in fremden Händen liegt.

Die wirken oft weit außerhalb Europas. Und selbst innerhalb besteht ein enormes Gefälle von Produktionsstandards und -preisen. Von gleichwertigen Produkten kann man da nur träumen.

E-Mail: nicole.mieding@rhein-zeitung.net