RZ-Kommentar: Die falschen Worte für eine richtige Erkenntnis

Da hat die mediale Meute endlich wieder ein gefundenes Fressen. Heiner Geißler hat einen bösen Satz gesagt – und der altbekannte Querkopf gibt sich auch noch stur und sieht seinen schlimmen Fehler nicht mal ein.

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Da hat die mediale Meute endlich wieder ein gefundenes Fressen. Heiner Geißler hat einen bösen Satz gesagt – und der altbekannte Querkopf gibt sich auch noch stur und sieht seinen schlimmen Fehler nicht mal ein.

Also: immer feste drauf! Jetzt kann man den umstrittenen Christdemokraten endlich nach Herzenslust beschimpfen und zum Abschuss freigeben, denn der 81-jährige Stuttgart-21-Mediator hat sich mit seinem Zitat „Wollt ihr den totalen Krieg?“ in den Schlichtungsgesprächen endgültig als seniler Politiker von gestern offenbart ...

Stopp! Leider kann ich mit dieser einfachen Sicht der Dinge nicht dienen. Auch wenn ich damit die Meinung vieler Gutmenschen auf den Punkt bringen würde, die Geißler dieses hässliche Zitat aus der Nazi-Propaganda niemals verzeihen dürften, werde ich nicht einstimmen in diesen Anti-Geißler-Chor. Gewiss hat der Christdemokrat ein unsägliches Goebbels-Wort gewählt. Doch er hat als intensiver Begleiter dieses erbitterten Kampfs um den Bau eines neuen Bahnhofs – ich wiederhole: Bahnhofs – deutliche Worte gesucht, um die Gegner endlich zur Mäßigung und zum Kompromiss aufzurufen. Den erfahrenen Vermittler treibt nämlich die begründete Angst um, dass in Stuttgart mit Blick auf den kommenden Volksentscheid noch einmal hässliche Verbalschlachten drohen – und mit etwas Pech auch neue bürgerkriegsähnliche Zustände rund um die Baustelle, die die Bahn nicht länger ruhen lassen will.

Ganz ehrlich: Ist es verwunderlich, dass Geißler sprachlich einfach mal die Gäule durchgehen? Was ergeben denn Mediation und Schlichtungsgespräche überhaupt für einen Sinn, wenn man vor allem aufseiten der Stuttgart-21-Gegner nur ein erklärtes Ziel verfolgt: die komplette Verhinderung des Projekts. Wenn es sein muss auch gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Nur wer gegen Stuttgart 21 ist, der ist einer von den Guten – so simpel scheint die Argumentation der Gegner. Und es bleibt die berechtigte Furcht, dass an diesem Widerstand auch ein verlorener Volksentscheid nichts ändern wird. Also: Bevor man über Heiner Geißler herfällt, wäre vielleicht ein Test der eigenen Demokratiefähigkeit vonnöten.

Geißler hat angesichts dieser aggressiven Stimmung die Nerven verloren und die absolut falschen Worte für eine richtige Erkenntnis gewählt: Stuttgart wird mit schlimmen Wunden aus diesem Konflikt um den Tiefbahnhof hervorgehen, wenn bei den Kontrahenten nicht endlich der Wille zur Lösung wächst. Und zwar auch aufseiten der Gegner.

E-Mail: manfred.ruch@rhein-zeitung.net