Amman

RZ-INTERVIEW Care Sprecher Schwarz fordert: „Regierungen müssen nachlegen“

Thomas Schwarz ist Leiter der Internationalen Kommunikation von "Care"
Thomas Schwarz ist Leiter der Internationalen Kommunikation von "Care" Foto: Care

Jede Nacht flüchten Hunderte Menschen von Syrien ins Nachbarland Jordanien. Care-Sprecher Thomas Schwarz führt derzeit in dem Land viele Gespräche mit den Flüchtlingen. Seine Organisation Care wurde 1945 in den USA gegründet, um Hunger und Verzweiflung in Europa mit mehr als 100 Millionen CARE-Paketen zu lindern und ist heute eine moderne, internationale Hilfsorganisation.

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Amman – Jede Nacht flüchten Hunderte Menschen von Syrien ins Nachbarland Jordanien. Care-Sprecher Thomas Schwarz führt derzeit in dem Land viele Gespräche mit den Flüchtlingen.

Seine Organisation Care wurde 1945 in den USA gegründet, um Hunger und Verzweiflung in Europa mit mehr als 100 Millionen CARE-Paketen zu lindern und ist heute eine moderne, internationale Hilfsorganisation.

Mit über 100 Millionen dieser CARE-Pakete begann 1945 der Einsatz der US-Hilfsorganisation.
Mit über 100 Millionen dieser CARE-Pakete begann 1945 der Einsatz der US-Hilfsorganisation.
Foto: Care

Herr Schwarz, Sie besuchen derzeit für Care in Jordanien Flüchtlingsfamilien. Welche Situation haben Sie vorgefunden?

Ich habe mit syrischen Flüchtlingen gesprochen, die erschütternde Erfahrungen gemacht haben. Eine Frau, die mit ihren Kindern über die Grenze geflohen ist, hat erlebt, wie vor den Augen von Kindern Menschen erschossen wurden, und sie hat berichtet, wie Frauen vergewaltigt wurden. Das sind schreckliche Erfahrungen, die die Leute mitbringen. Die Angst begleitet die Menschen auf der Flucht und lässt sie auch in Jordanien nicht mehr los.

Wie helfen Sie?

Neben der finanziellen Hilfe müssen wir uns hier mit unseren Partnern um eine intensive Trauma-Arbeit kümmern. Wir versuchen, den Kindern durch Gesprächstherapien zu helfen. Manchmal sind es einfache Dinge, die wichtig sind. Bleistifte, Wasserfarben, Papier – Kinder können durch das Malen und Sprechen so ihre Ängste besser verarbeiten.

Wurde dem Flüchtlingsproblem bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?

Wir haben über Monate erlebt, dass fast ausschließlich über die Kämpfe in Libyen, die politischen Verstrickungen und Auseinandersetzungen im Sicherheitsrat gesprochen wurde, und dass von den Flüchtlingen bisher kaum Notiz genommen wurde. Selbstverständlich sind wir jetzt froh, dass die Situation der Flüchtlinge stärker beachtet wird. Allerdings können wir noch nicht von einer zufriedenstellenden humanitären Betreuung der Flüchtlinge reden. Das Flüchtlingshilfswerk hat in kurzer Zeit sehr gut gearbeitet, aber wir haben einfach immer noch zu wenig Geld, um den Menschen helfen zu können. Das Geld, das die reichen Länder zur Verfügung stellen, reicht hinten und vorn nicht.

Ist eineinhalb Jahre nach Beginn der Revolten in den arabischen Ländern die Aufmerksamkeit der Menschen erschöpft?

Jeder kennt das selbst. Wir hören bei bestimmten Themen irgendwann nicht mehr hin: weil wir die Unterschiede in der Berichterstattung nicht mehr erkennen, weil die Themen zu komplex sind oder weil die Aspekte zu viel geworden sind. Aber es ist jetzt Zeit, dass wir uns neben dem Thema Krieg auch dem der Flucht annehmen. Wir müssen uns damit beschäftigen, ob wir das wollen oder nicht. Die internationale Gemeinschaft, die reichen Regierungen müssen unbedingt nachlegen.

Jordanien hat sehr lange gezögert, das erste Flüchtlingslager zu errichten, da sie keinen Rückzugsraum für Rebellen schaffen wollten.

Über die Gründe können wir nur spekulieren. Es hat nach dem Attentat auf den syrischen Verteidigungsminister und den Kämpfen in Damaskus ein Exodus eingesetzt. Die Rückzugsräume werden kleiner. Vor zwei, drei Monaten kamen täglich 300 bis 400 Flüchtlinge nach Jordanien, jetzt kommen bis zu 1500 Leute über die Grenze. Wir schätzen, dass rund 35 000 Syrer nach Jordanien geflohen sind. Das könnten allerdings noch deutlich mehr sein, da viele Syrer sich aus Angst vor Vergeltung nicht registrieren lassen wollen. Die Vereinten Nationen gehen von 1 bis 1,5 Millionen Menschen aus, die insgesamt in der Region auf der Flucht sind. Diese Dimension konnte niemand vorhersehen.

Es gibt immer wieder Hinweise, dass viele Syrer auch vor den Rebellen fliehen. Vor wem waren die Menschen auf der Flucht, mit denen Sie sprachen?

Ich weiß, dass es Berichte gibt, wonach auch Oppositionelle brutal gegen die Bevölkerung vorgehen. Aber die Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren Menschen, die vor allem Angst vor dem Regime hatten. Meine Aufgabe ist es nicht, Flüchtlinge zu fragen, gegen wen oder was sie sind. Wir müssen dafür sorgen, dass Flüchtlinge unter würdigen Umständen in einem Land leben können. Wir haben momentan alle Hände voll zu tun, um diejenigen, die in der Lage sind, davon zu überzeugen, Geld zu geben. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Wie reagieren die Jordanier auf die Flüchtlingswelle?

Die Jordanier gehen mit der Situation sehr gelassen um. Das ist bewundernswert. Dabei wirkt sich das konkret auf alle Einwohner aus. Jordanien ist eines der wasserärmsten Länder der Welt. Wenn plötzlich Zehntausende Menschen mehr in dem Land sind, steigen die Wasserpreise um 50 bis 80 Prozent. Angesichts dieser Folgen erleben wir eine sehr tolerante und geduldige Reaktion der Jordanier.

Experten befürchten, dass mit dem Ende des Assad-Regimes die Flüchtlingsproblematik noch größer wird.

Die Flüchtlinge mit denen ich gesprochen habe, glauben, dass sie noch lange in Jordanien bleiben müssen. Manche gehen davon aus, dass sie mehrere Jahre nicht nach Syrien zurückkönnen.

Die Fragen stellte Dietmar Telser

Care-Mitarbeiter Thomas Schwarz bloggt von seinen Erfahrungen in Jordanien auf www.ku-rz.de/schwarz