RZ-Gastbeitrag: Die PR bekommt häufig die Rolle des Schurken

Fast konnte man darauf wetten: Im Endspurt des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes tauchte doch noch eine Geschichte auf, die als „Skandal“ taugen sollte. Es ging um den Internet-Blog „Wir in NRW“ und dessen unter einem Decknamen agierende Autoren.

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Von Andreas Valentin

Fast konnte man darauf wetten: Im Endspurt des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes tauchte doch noch eine Geschichte auf, die als „Skandal“ taugen sollte. Es ging um den Internet-Blog „Wir in NRW“ und dessen unter einem Decknamen agierende Autoren. Diese hatten im Wahlkampf 2010 den damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers heftig kritisiert und sollen dann – so der aktuelle Vorwurf – mit PR-Aufträgen der neu gewählten Landesregierung „belohnt“ worden sein.

Diese Geschichte folgt einem typischen Muster, denn sie bedient sich eines Klischees, das die Einstufung eines Vorgangs als Skandal offensichtlich erleichtert, nämlich das Klischee des undercover agierenden bezahlten PR-Profis und Medien-Manipulators, der im Auftrag geheimer Mächte seinen dunklen Machenschaften nachgeht und nur durch Zufall oder Verrat entlarvt werden kann.

Wie schon bei Hunzinger und Co. spielt auch in diesem Stück ein PR-Mann den Schurken. Und offensichtlich ist dieses Klischee so weit akzeptiert, dass der politische Gegner es – und das ist die Ironie der Geschichte – seinerseits für eigene PR-Zwecke gut gebrauchen kann. Nun gibt es zweifelsohne auch in den Public Relations die berühmten schwarzen Schafe. Aber das hier verbreitete Zerrbild taugt zur pauschalen Diskreditierung – und das ist billig.

In einer pluralistischen Gesellschaft entsteht Meinungs- und Willensbildung gerade dadurch, dass Interessen organisiert werden, um sie wirkungsvoll zu vertreten. Dazu gehört selbstverständlich, dass Parteien, Verbänden oder Unternehmen von Public-Relations-Managern und -Agenturen unterstützt werden. Zu den Merkmalen der PR zählt ja gerade, dass man im Auftrag von bestimmten Einzelinteressen tätig wird und diese mittels Medienarbeit, Publikationen oder Veranstaltungen durchzusetzen versucht.

Es gibt deshalb keinen Grund, diese Interessenvertretung zu kaschieren – denn in einer pluralistischen Gesellschaft trägt sie dazu bei, dass unser politisches und gesellschaftliches System überhaupt funktioniert. Je mehr dies tun, je professioneller es dabei zugeht, desto besser sind die Ergebnisse des Wettbewerbs. Dass es dabei immer wieder darauf ankommt, den demokratischen Spielregeln sowie sozialen Gesichtspunkten Anerkennung und Durchsetzung zu verschaffen – das sind Probleme, die sich grundsätzlich und schon immer gestellt haben und nichts mit der wachsenden Rolle der PR zu tun haben.

Die Geschichte mit dem PR-Mann als Schurken trägt vielmehr nur deshalb, weil sie Ausdruck eines weitverbreiteten Unbehagens darüber ist, wie sich unsere neue Online-Gesellschaft entwickeln wird. Die Medien selbst fühlen sich angesichts der wachsenden PR-Branche von einer „fünften Gewalt“ bedroht – oft vergessend, dass ihnen als „vierte Gewalt“ selbst der Vorwurf gemacht wurde, zu viel und zu unkontrollierten Einfluss auf die politischen Entscheidungen zu haben. Die PR nutzt die sozialen Medien für ihre Zwecke – so wie die Medien selbst oder auch einzelne Journalisten, die sich mit Blogs attraktive neue Spielräume geschaffen haben.

Beide – PR und Medien – sehen sich dabei gleichermaßen der Herausforderung gegenüber, dass sich die Onlinemedien zu den neuen Leitmedien entwickeln und womöglich vor allem das Fernsehen ablösen. Fast jeder kann in kürzester Zeit und mit hoher Reichweite Nachrichten und Kommentare verbreiten – und zwar jenseits journalistischer Spielregeln oder der Wertkodizes der Berufsorganisationen der PR.

Was im NRW-Wahlkampf tatsächlich zur Skandalisierung taugte, war nicht die Vermutung, dass hinter dem Blog ein PR-Mann gestanden haben könnte, sondern die Tatsache, dass im neuen Leitmedium Internet die ehemals Künstlern vorbehaltene Konvention der Pseudonyme eine neue Dimension erhalten hat, die die politische Diskussion von identifizierbaren Personen oder Organisationen zu verdrängen droht.

Sogenannte Klarnamen zu nutzen, hat angesichts der Datensammelwut von Facebook oder Google zweifelsohne Risiken – aber was ist gewonnen, wenn wir zukünftig nur noch Decknamen-Diskussionen führen? Welche Standards gelten also, wenn die öffentliche Meinung demnächst vor allem im Netz entsteht? Wo bleibt die öffentliche Verantwortung, wenn ein Milieu der anonymen Beschuldigungen das Leben mit und von den Neuen Medien beherrscht? Die Antworten auf diese Fragen interessieren PR-Leute genauso wie Medienvertreter und Politik.

Von Andreas Valentin