München

Rezension von Claus Ambrosius: SM-Bestseller „Shades of Grey“ fesselt nicht

E.L. James
Die britische Autorin E. L. James ist mit «Fifty Shades of Grey» berühmt geworden. Foto: paco Campos

Von Aristophanes' „Symposion“ bis zu Émile Zolas „Nana“, von Nabokovs „Lolita“ bis zur berüchtigten Josefine Mutzenbacher: Was wäre die Literatur seit ihres Anbeginns ohne Erotik?

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In unzähligen Anthologien der erotischen Literatur zusammengetragen oder im Kultbuch „Die klassische Sau“ von 1986 praktisch in heißen Häppchen vereint, finden sich Autoren, die Lust und Liebe mit Betonung auf Ersterem zum Thema gemacht haben – unter ihnen selbstverständlich auch die größten Namen der Literaturgeschichte.

Und heute? Auch unser Buchmarkt funktioniert nach dem Gesetz „Sex sells“ – was anzüglich ist und sich ums Ausziehen dreht, verkauft sich besser. Zuletzt profitierte davon in Deutschland die Autorin Charlotte Roche, die mit ihren „Feuchtgebieten“ und „Schoßgebeten“ traumhafte Auflagen erreichte und die Diskussion im Literaturbetrieb über Wochen beschäftigte.

Foto: frei

Über eine ebenso gigantische Startauflage wie Frau Roche darf sich das Buch einer britischen Autorin freuen, das seit einigen Tagen durch den Blätterwald gehetzt und in den Buchläden bestens verkauft wird: 500 000 Stück von E. L. James' „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“ hat der Münchener Goldmann Verlag auf den gierigen Markt geworfen, die nächste Auflage rotiert schon in den Druckpressen. 15 Millionen Exemplare der „Shades“-Trilogie sind international schon über die Ladentheke gewandert – auch in Deutschland kommen die nächsten beiden Teile im Abstand weniger Wochen heraus.

Der Inhalt in Kurzfassung: Eine 21-jährige Studentin lernt einen milliardenschweren Schönling kennen. Der Haken: Er ist nicht für eine „normale“ Beziehung zu haben, sondern sucht für seine Bedürfnisse eine Sklavin. Prompt probiert die junge Frau, die vorher noch nie mit einem Mann zusammen war, ein paar Facetten der Unterwerfung aus und begibt sich probeweise ins Reich des Sadomasochismus. Gestartet war die Geschichte als Fortsetzungsroman in einem Internetforum – als die Autorin merkte, wie gewaltig der Erfolg zu werden versprach, stieg sie auf den altbewährten Vermarktungsweg des Verlagswesens um und verdiente sich eine goldene Nase.

In US-Talkshows wird angesichts der „Shades“-Trilogie ungewöhnlich offen über Sex gesprochen – in dem weithin ziemlich prüden Land das vermutlich größte Verdienst der Autorin, denn literarisch gesehen ist zumindest der erste, jetzt auf Deutsch erschienene Band ein Rohrkrepierer.

E. L. James erzählt im tiefgangfreien Plauderton aus dem Leben der jungen Studentin, als ginge es um Hanni und Nanni unter verschärften Umständen. Originelle Ideen – E-Mail-Gefechte des jungen Paares und innere Monologe der Studentin mit ihrem Unterbewusstsein und einer „inneren Göttin“ (die wohl auf den Namen Libido hört) – verpuffen im sprachlichen Niedrigwasser. Weit schlimmer: Bei den gefühlt zwei Dutzend Liebesszenen des Buches schöpft die Autorin aus einem sehr kleinen Fundus stetig beinahe wortgleich wiederholter Textbausteine – unglaublich, dass hier kein Lektor eingreifen wollte oder konnte.

In Deutschland ist eine ambitionierte Debatte entbrannt: Muss es nicht bedenklich stimmen, dass sich so viele Frauen auf ein Werk stürzen, in dem eine Geschlechtsgenossin Freude an der Unterwerfung findet? So und ähnlich hinterfragen „Stern“ und andere den Erfolg von „Shades of Grey“. Dabei tut man dem softpornografischen Machwerk nun wirklich zu viel Ehre an – hier funktioniert einfach die gute alte Mundpropaganda, man will eben mitreden können. Sollte der Mumpf verfilmt werden, könnte er ohnehin erst ab 18 gezeigt werden, bis dahin gilt Oscar Wildes weises Wort: „Es gibt keine moralischen oder unmoralischen Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben. Sonst nichts.“

Was aber gar nicht angeht: Der Weltbild-Verlag vertreibt das Buch fröhlich über seine Buchhandlungen und sein Internetportal, schließt aber die Warnung an: „Die hier beschriebene Unterwerfung der Frau widerspricht dem Welt- und Menschenbild, von dem wir uns als Buchhändler leiten lassen.“ Kassieren und dabei den Zeigefinger heben: Das ist nun wirklich Doppelmoral vom Feinsten. Claus Ambrosius

E. L. James: „Shades of Grey – Geheimes Verlangen“, Goldmann, 608 Seiten, 12,99 Euro