Tunis

Reisen: Ein Unternehmer hat eine Tour auf den Spuren des Umbruchs entwickelt, traut sich aber nicht, sie anzubieten

Wenn er nur einmal kurz hineinblicken dürfte. Wenn er nur ein einziges Mal erkennen könnte, was sich hinter den dicken Mauern des Innenministeriums verbirgt. Vielleicht würde er nichts anderes als Büros mit großen Schreibtischen sehen, auf denen gebündelte Akten liegen. Vielleicht, sagt Souheil Mouldi, ist aber dort noch viel mehr.

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Verhörzimmer des Ben-Ali-Regimes, unterirdische Gänge und Verliese, an deren Wänden Inhaftierte ihre Botschaften hinterlassen haben. Souheil Mouldi steht am Absperrgitter des Ministeriums in der Avenue Habib Bourguiba von Tunis. Er ist Inhaber einer Reiseagentur, 50 Jahre alt, dünnes Haar, das blaue Hemd spannt ein wenig über dem Gürtel. Unter seinen linken Arm hat er eine Ledermappe geklemmt, ein bisschen sieht er so aus wie ein Politiker.

Es ist eine ungewöhnliche Stadtführung, die Souheil Mouldi präsentiert. „Jasmine Revolution Tour“ hat er die Route genannt, auf der er die symbolischen Orte des Aufstandes von vor zwei Jahren in Tunesien besucht. Mit seiner Mappe spaziert Souheil Mouldi die Flaniermeile der Hauptstadt entlang. Manchmal breitet er die Arme aus, um zu zeigen, wie an diesen Januartagen die Menschenmenge auf dem Boulevard anschwoll, dann lässt er die Demonstranten wieder mit Plakaten und Fahnen die Straßen entlangmarschieren.

Alternatives Projekt: Souheil Mouldi vor dem ehemaligen Gebäude der Partei Ben Alis.
Alternatives Projekt: Souheil Mouldi vor dem ehemaligen Gebäude der Partei Ben Alis.
Foto: Dietmar Telser

Souheil Mouldis Tour führt auch zu den geplünderten Häusern der Ben-Ali-Familie. In der früheren Villa von Imed Trabelsi, dem korrupten Neffen der Präsidentengattin, tritt man auf knirschende Glassplitter und blickt durch scheibenlose Fenster auf das Meer. Nichts haben die wütenden Demonstranten übrig gelassen außer Scherben, einem ausgeweideten Auto im Garten und Wänden voller Graffiti. An die Außenwand ist das Bild eines Mannes gemalt, der wie ein Fußballer zum Fallrückzieher anhebt. Aber der Ball ist Ben Alis Kopf.

Das also ist Souheil Mouldis Stadtführung. Aber eigentlich ist es immer noch nicht mehr als eine Idee. Wenige Wochen nach der Revolution hat er sein Konzept vorgestellt. Er hat Flyer gedruckt, auf Messen gesprochen, im Internet dafür geworben. Bis heute hat er die Tour nicht einmal gemacht. Es war von Anfang an eine heikle Sache. Die Nachfrage war groß, sagt er. Doch er musste auch viel Prügel einstecken. Zynisch und voyeuristisch fanden viele das Angebot, und mancher warf ihm vor, mit dem Leid der Leute Geld machen zu wollen.

Mehrmals soll ihm auch von offizieller Seite signalisiert worden sein, dass sein Projekt auf wenig Zustimmung stoße. Souheil Mouldi versteht das nicht. „Wir können doch stolz auf unsere Geschichte sein“, sagt er. Es gebe ja auch in Berlin Führungen zur Berliner Mauer, und in Amerika dürften Touristen sogar die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz besuchen.

Es ist nicht allein die Kritik, die ihm zu schaffen macht. Auch die Sicherheitslage hat sich im postrevolutionären Tunesien verschlechtert. Reisen nach Tunesien gelten zwar weiterhin als unproblematisch, aber zuletzt haben Berichte über radikale Salafisten viele Touristen verunsichert. Im Herbst gab es bei einem Angriff auf die US-Botschaft in Tunis Tote, mehrmals attackierten die einst unter Ben Ali verfolgten Islamisten Tunesier, die Alkohol ausschenkten.

Und schließlich sind da noch die vielen Demonstrationen seit der Revolution. „Ich würde mich momentan nicht wohlfühlen, wenn ich mit Touristen diese Orte besuchte.“ Zehn Tage später gibt Mouldi bei der Deutsch-Tunesischen Tourismuskonferenz in Hammamet selbst den Revolutionär. Es geht um den Umbruch im tunesischen Tourismus, einem Land, das in der Vergangenheit fast ausschließlich auf den Massentourismus gesetzt hat.

Im vergangenen Jahr hat Mouldi mit einigen Mitstreitern den Verband des Alternativtourismus gegründet, jetzt soll er über die Perspektiven eines anderen Tourismus sprechen. Er sagt, er wolle nicht lange sprechen, dafür kommt er gleich zur Sache. Er klagt, dass es keine finanziellen Anreize für alternative Projekte gebe und dass Unternehmer für solche Projekte kaum Kredite erhielten. Er fordert mehr Unterstützung für nachhaltige Projekte besonders auf dem Land.

Tatsächlich hat Tunesien auch im Tourismus einen Wandel dringend nötig. Im Jahr der Revolution sind die Buchungen aus Deutschland um rund 41 Prozent zurückgegangen. Aber mit dem tunesischen Tourismus ging es bereits vor der Revolution aus deutscher Sicht bergab. Von 2005 bis 2010 sank die Zahl der jährlichen Einreisen aus Deutschland von 572 000 auf 459 000.

Vor dem Anschlag auf Djerba im Jahr 2002 zählte man jährlich sogar fast doppelt so viele Gäste aus Deutschland. Zu lange hat Tunesien einzig auf Billigtourismus gesetzt, kritisieren die Experten auf der Konferenz. Jeder Mangel, jedes Sicherheitsproblem trifft das Land nun besonders stark. Denn allein vom Preis lassen sich deutsche Touristen nicht mehr überzeugen. Die Revolution in Tunesien hat vielleicht den größten Imagewandel der vergangenen Jahre bewirkt.

Eigentlich ist das keine schlechte Ausgangslage für einen neuen Tourismus. Auch für Mouldi. „Niemand weiß, wohin die Zukunft unser Land führt“, hat er zum Abschied seiner Führung gesagt. „Vielleicht sehen Sie mich aber nächste Woche schon mit Reisegruppen vor dem Innenministerium stehen.“

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