Karibikreise: Kein Hemd, keine Schuhe, keine Probleme

Wie unberührt sollen die Jungferninseln dagelegen haben, als Columbus sie einst entdeckte: Bis heute sind die meisten unbewohnt – Langeweile müssen Besucher dennoch nicht fürchten, weil es noch immer viel zu entdecken gibt. Zur Fortbewegung empfiehlt sich ein Segelboot.

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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Brrrrr, eisig!„, war der meistgehörte Kommentar, als ich meine Reisepläne, Segeln auf den Britischen Jungferninseln, erwähnte. Und zugegeben: Auch ich musste erst einmal suchen, wo die British Virgin Islands – von Kennern salopp “BVI„ genannt – denn überhaupt liegen. Fündig wurde ich schließlich in der Karibik, rund 100 Kilometer östlich von Puerto Rico. Stiefel und Daunenjacke konnten also zu Hause bleiben. Und die spöttischen Kommentare neidischen Blicken weichen.

Das mit der Daunenjacke erweist sich als böser Fehler – obwohl die Temperatur auf den BVI offiziell nie unter 22 Grad liegt und das inoffizielle Lebensmotto “No shoes, no shirt, no problems„ (kein Hemd, keine Schuhe, keine Probleme) gilt. Von karibischen Temperaturen ist aber zunächst keine Spur, als wir im Flughafen von San Juan den Anschlussflieger erharren: eine Propellermaschine, die uns binnen einer Stunde von San Juan auf die Hauptinsel Tortola bringen soll. Die wartenden Passagiere in der Abflughalle werden nach US-Standard von der Klimaanlage tiefgekühlt. Wie gut, dass die Tex-Mex-Bar im Terminal einen 1 a Mojito serviert. In Tortolas Marina liegt dann tatsächlich “Monia„, ein 40-Fuß-Katamaran, der für die nächsten Tage unser Zuhause wird. Zur Grundausstattung zählen ein Sechserpack Cola, eine Flasche Rum und Limetten. Wie geheißen stößt die zusammengewürfelte Crew auf ihren Einzug mit Cuba Libre an und fällt mit bleiernen Gliedern ins Bett. Das Paradies muss warten, aber der Skipper hat schon das Motto der Reise ausgegeben: “Essen. Schlafen. Segeln.„ Zu Befehl.

Nasse Dollars werden akzeptiert

Dieser Auftakt wird Programm: Für den nächsten Tag steht Barhüpfen auf Jost van Dyke an. Das geht nicht, ohne die Soggy Dollar Bar in der White Bay zu besuchen – schließlich wurde dort der berühmteste Drink der Insel, der “Painkiller„, kreiert. Die Recherche erfordert ganzen Einsatz, weil man als Besucher traditionell von Bord springt und den Rest des Weges schwimmt. Weshalb nasse Dollarscheine (“soggy Dollars„) in der Bar ein anstandslos akzeptiertes Zahlungsmittel sind.

Lange vor den Filmpiraten der Karibik waren hier die wahren Piraten der Karibik zugange. Einer, der im 17. Jahrhundert den vorbeifahrenden Schiffen auflauerte, war der angeblich gnadenlose Däne Jost Van Dyke. Heute gelten die Gewässer als sicher. Noch so ein Grund, warum Sana am Tresen der “Soggy Dollar Bar„ Feierlustigen aus der ganzen Welt Cocktails im 30-Sekunden-Takt serviert. Um eine Palme schart sich ein Grüppchen angetrunkener Amerikaner und spielt ein Spiel, das deutsche Fernsehzuschauer als Stefan-Raab-Spiel kennen. Dabei versuchen die Spieler, mit einem Ring, der an einem Pendel befestigt ist, einen Haken zu treffen. Siegen empfiehlt sich eigentlich nicht – kostet eine Runde. Gefragt nach dem Namen des Spiels, antwortet Jake, der gerade dran ist “Wir nennen es hooked„. Was hakenförmig und zugleich so viel wie süchtig, total begeistert heißt. Das trifft's, wie es scheint, Jake hat offenbar Übung. Gekonnt schlenzt er den baumelnden Ring über den Haken in der Palme, die Freunde jubeln. Rundum leuchten rote Gesichter von zu viel Sonne und zu vielen Drinks. Bleibt zu hoffen, dass der Painkiller sein Versprechen als Schmerzstiller auch am nächsten Morgen noch hält.

Auf zur Schatzinsel

Aber so weit sind wir noch nicht. Weiter geht's nach Norman Island, der Insel, die Robert Louis Stevenson in seinem Roman “Die Schatzinsel„ beschreibt. Einen Schatz finden wir in der Piratenbucht nicht. Dafür das Pirates Bight, ein hübsches Restaurant, das zwei Liegestuhllängen entfernt von einer sanft plätschernden Brandung liegt. Die Bar ist das einzige bisschen Zivilisation auf der Insel, Hotelbetten gibt's nicht. Egal, für die Anreise braucht's ein Boot – die meisten Besucher haben ihre Koje also ohnehin mit. Genau genommen braucht man aber gar kein Bett, geschlafen wird nicht. Höchstens gedöst, tagsüber, unter einer der vielen Palmen. Nachts steppt der Bär: Auf “Willy T.„, einer zum Partyschiff umgebauten abgetakelten Fregatte, die in der Bucht vor Anker liegt. Nun ist aber Tag, am Steg dümpeln nur ein paar Dinghys. Im kristallklaren Wasser haben sich drei Pärchen um ein umgedrehtes Surfbrett gruppiert, darauf stehen ihre Drinks, aus den Lautsprechern der Bar klingt gebremste Reggaemusik.

Essen, schlafen, Segeln

Hat's irgendwer eilig? Wir nicht. Wir sind gesegelt, haben geschlafen. Also Zeit fürs Essen. Zumal sich der frische Anstrich des neuen Restaurants (gemunkelt wird von einem “warmen Abriss„) ganz zauberhaft in die Umgebung fügt: weiß wie der Sand vor der Tür, das Dach türkisblau wie das Meer und der Himmel, darunter alles offen mit sensationellem Blick auf die Bucht, von der die Meeresbrise sanft den Raum durchweht. Da sitzen wir nun, die Füße im Sand. “Keine Schuhe, kein Service„, diese eiserne Regel der Gastronomie ist auf den BVI ausgehebelt. Unser nächster Stopp, die Privatinsel Peter Islands, stellt da schon gesteigerte Anforderungen an den Dresscode: Flip-Flops und Polohemd wird ausgerufen. Als Frau darf's statt Strandtuch auch gern eine längere Tunikabluse oder ein dünnes Flatterkleidchen sein. Kurz: Alles, was über einen Bikini hinausgeht, ist prima – auf den BVI nennt sich das “Caribbean casual„.

Weil sich das Mühen um die Frisur an Bord eines Segelboots erübrigt, hat sich das Kopftuch, mit dem unser Käptn seine Locken bändigt, auf die anwesenden Frauen stilbildend ausgewirkt. Bandanas verkauft erfreulicherweise jeder Hotel-, Restaurant- oder Andenkenladen, auch der im Pirates Bight. Und so sehen wir, als wir wieder in unser Dinghy steigen, allesamt aus wie ein Captain-Sparrow-Lookalike. Als wir auf unseren Katamaran zufahren, färbt sich der Himmel flamingofarben. Die Wedel der Palmen, die wir zurücklassen, heben sich ab wie Scherenschnitte. Vom Strand weht der Wind Phil Collins' Stimme heran. “Please give me one more night", schmachtet er – gib mir bitte noch eine Nacht. Wir singen mit. Ein Lied, das fortan zu unserem abendlichen Stoßgebet wird.