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Deutschland

Kabinett bringt Gesetzentwurf auf den Weg: Angehörige von Pflegebedürftigen sollen finanziell entlastet werden

Von Basil Wegener
Die Pflege der Eltern soll bald weniger Geld verschlingen.
Die Pflege der Eltern soll bald weniger Geld verschlingen. Foto: keatikun - stock.adobe.com

Pflege von Eltern soll nicht arm machen – so heißt es in der Bundesregierung anlässlich ihres neuen Gesetzentwurfs zur Entlastung von Angehörigen. Vorgelegt hat ihn Sozialminister Hubertus Heil (SPD), das Bundeskabinett gab am Mittwoch grünes Licht. Ein Überblick über die Lage heute und die Pläne:

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Wie sollen Kinder von Pflegebedürftigen entlastet werden?

Wenn Vater oder Mutter ins Heim kommt, Rente, die Leistungen der Pflegeversicherung und das eigene Vermögen aber nicht reichen, dann springt die Sozialhilfe mit der „Hilfe zur Pflege“ ein. Doch oft bittet das Sozialamt dann die Kinder zur Kasse, um einen Teil der Kosten zurückzubekommen. Das soll künftig meist entfallen: Wer weniger als 100.000 Euro brutto pro Jahr verdient, soll verschont werden.

Was müssen Angehörige bisher bezahlen?

Das ist sehr unterschiedlich. Oft scheuen die Ämter überhaupt vor solchen Forderungen zurück, weil aufwendige Verfahren und Einkommensprüfungen nötig werden. Grundsätzlich steht den Betroffenen ein Selbstbehalt von mindestens 1800 Euro zu (siehe Beispielrechnungen).

Warum sind die Rückforderungen für Angehörige oft belastend?

Oft dauert es jahrelang von der Ankündigung einer Prüfung bis zum Bescheid. Dann kann es auch zu hohen Rückforderungen kommen. Zudem ist es oft das erste Mal, dass die Kinder der Pflegebedürftigen überhaupt mit dem Sozialamt zu tun bekommen und ihre Einkommensverhältnisse offenlegen müssen.

Für wie viele Menschen entfällt die Beteiligung nun?

Das ist schwer zu sagen, denn es gibt keine aktuelle aussagekräftige Statistik. Im Gesetzentwurf ist von rund 55.000 Menschen die Rede. Betroffen sind ausschließlich die jeweiligen Töchter und Söhne der Pflegebedürftigen, ausschlaggebend ist das eigene Einkommen. Das Einkommen etwa von Ehepartnern spielt keine Rolle.

Wie hoch sind die Eigenanteile für ein Heim heute?

Sie reichen von 1200 Euro pro Heimplatz in Sachsen-Anhalt über 1800 Euro in Berlin, Bremen und Hessen, die im Bundesdurchschnitt liegen, bis 2100 Euro in Baden-Württemberg und 2300 Euro in Nordrhein-Westfalen. Enthalten sind Kosten für Pflege, Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen.

Wie viele Pflegebedürftige sind auf Sozialhilfe angewiesen?

Rund 300.000. Hilfe zur Pflege erhielten am 31. Dezember 2017 287.000 Menschen, davon 233.000 in Heimen. Die Zahl der Antragsteller innerhalb eines Jahres liegt deutlich höher. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisiert deshalb, der eigentliche Skandal sei, dass Hunderttausende Pflegebedürftige überhaupt aufs Sozialamt angewiesen seien. „Geschützt werden soll nun lediglich der verschwindend kleine Teil an Angehörigen, die einen Teil der Kosten erstatten müssen.“ Wegen des schon geltenden Selbstbehalts seien dies eher Besserverdienende.

Wer soll durch das Gesetz noch entlastet werden?

Unterhaltspflichtige Eltern volljähriger behinderter Kinder, wenn diese Eingliederungshilfe beziehen. Der bisherige Anteil von monatlich 34,44 Euro, den Eltern zu leisten haben, soll komplett gestrichen werden. Bei Hilfe zum Lebensunterhalt beträgt der entfallende Betrag 26,49 Euro im Monat. Eltern erwachsener behinderter Kinder in Internaten werden nicht mehr zu deren Lebensunterhalt herangezogen. Zudem soll die Ausbildung von Menschen mit Behinderung besser gefördert werden. Rund 220.000 Menschen sollen durch diese Regelungen profitieren, auch wenn die Summen hier unterm Strich kleiner sind. Basil Wegener

So wird der Elternunterhalt zurzeit berechnet

Der Umzug ins Heim stellt nicht nur den Pflegebedürftigen vor eine große Herausforderung. Reichen Rente und angespartes Vermögen nicht aus, alle Kosten für den Heimplatz zu decken, werden unter Umständen die Kinder unterhaltspflichtig. Bislang ist die Berechnung des Elternunterhalts recht komplex, zumindest bei verheirateten Kindern. Zugrunde liegt das bereinigte Nettogehalt (sehr vereinfacht gesagt das, was auf dem Konto des Arbeitnehmers landet) des unterhaltspflichtigen Kindes, von dem der Selbstbehalt von 1800 Euro abgezogen wird. Von dem Betrag können 50 Prozent für den Elternunterhalt eingefordert werden.

Beispielrechnung Single: Das bereinigte Nettoeinkommen liegt bei 2100 Euro, 1800 Euro werden als Selbstbehalt abgezogen, bleiben 300 Euro. Davon die Hälfte, also 150 Euro, muss das Kind an Sozialhilfe zurückzahlen.


Ist das unterhaltspflichtige Kind verheiratet, wird es komplizierter: Das Nettogehalt des Partners wird hinzugerechnet, das Schwiegerkind wird mit in die Pflicht genommen. Der Familienselbstbehalt liegt dann bei 3240 Euro, zusätzlich gilt eine Haushaltsersparnis von 10 Prozent, da ein gemeinsamer Haushalt Kosten spart; zudem wird berücksichtigt, wie hoch der Anteil des Kindes am Familieneinkommen ist. Danach berechnet sich dann der Unterhalt.

Beispielrechnung Ehepaar: Das unterhaltspflichtige Kind verdient 3000 Euro, der Partner 1000 Euro. Von der Summe werden 3240 Euro als Selbstbehalt abgezogen, davon wiederum 10 Prozent Haushaltsersparnis, bleiben 684 Euro. Die Hälfte der Summe wird noch dem Familienbedarf zugerechnet, dieser liegt demnach bei 3582 Euro (3240 Euro plus 342 Euro). Nun wird der Anteil des unterhaltspflichtigen Kindes berechnet (in diesem Fall 75 Prozent), wodurch unterm Strich 313,50 Euro als Unterhalt stehen (Einkommen des Kindes minus 75 Prozent des Familienbedarfs).

Zum Vergleich: Ist das unterhaltspflichtige Kind nicht der Hauptverdiener, verringert sich der Betrag des Unterhalts deutlich. Verdient das Kind 1000 Euro, der Partner 3000, bleiben unterm Strich 104,50 Euro an Unterhalt übrig. Allerdings: Als Single müsste das Kind mit 1000 Euro netto gar keinen Unterhalt zahlen.

Durch die geplante Neuregelung werden Kinder erst zum Unterhalt verpflichtet, wenn sie mehr als 100 000 Euro brutto im Jahr verdienen, das entspricht etwa 4500 Euro netto im Monat.

Kathrin Hohberger

Budget für Berufsausbildung: Was sich für Menschen mit Behinderung verbessert

Neben der finanziellen Entlastung Angehöriger enthält der Gesetzentwurf weitere Vorhaben, die die Teilhabe von Menschen mit Behinderung verbessern sollen. Geplant ist etwa ein Budget für Ausbildung.

Damit sollen Menschen mit Behinderung unterstützt werden, die eine reguläre Berufsausbildung bei einem öffentlichen oder privaten Arbeitgeber antreten. Bisher wird nur die berufliche Bildung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gefördert – allerdings können die Auszubildenden dort keinen anerkannten Berufsabschluss erwerben. Das Budget umfasst die Kosten für notwendige Anleitung und Begleitung sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Berufsschule.

Der Sozialverband VdK begrüßt in einer Stellungnahme diese Regelung ausdrücklich: „Bislang wurden junge Menschen, die Anspruch auf Leistungen im Berufsbildungsbereich der WfbM haben, nicht von der Arbeitsagentur gefördert, selbst, wenn sie selbst einen passenden und ausbildungsbereiten Betrieb gefunden haben.“Zudem soll auch für Menschen mit Behinderung, die beginnen, in einer WfbM zu arbeiten und im sogenannten Eingangsverfahren oder Berufsbereich sind, die Grundsicherung gelten. Meist handelt es sich um junge Menschen, die von ihren Eltern betreut werden. Solange sie sich noch in der Schulausbildung befinden und über 15 Jahre alt sind, bekommen sie unproblematisch die Grundsicherung. „Wenn sie dann in den Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM wechseln, verlieren sie ihren Leistungsanspruch nach dem Vierten Kapitel SGB XII, obwohl sich an ihrer gesundheitlichen Situation gar nichts geändert hat“, schreibt der VdK in seiner Stellungnahme. Das stelle eine deutliche Ungleichbehandlung im Vergleich mit den Menschen mit Behinderung dar, die bereits im Arbeitsbereich der WfbM arbeiten. Der Bundesverband der Lebenshilfe schreibt in einer Stellungnahme, dass er sowie zahlreiche Sozialgerichte bereits der Meinung sind, dass „ein solcher Anspruch allerdings auch schon aufgrund der bisherigen Regelung besteht“. Die Neuregelung sei aber als positiv zu betrachten, da in Zukunft Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.

Eine weitere Änderung betrifft die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), die 2018 eingeführt wurde und bis 2022 befristet war. Diese Befristung soll fallen, die EUTB dauerhaft erhalten bleiben. In den von Trägern und Leistungserbringern unabhängigen Beratungsstellen werden Menschen mit Behinderung zu allen Fragen rund um Rehabilitation, Teilhabe (am Arbeitsleben) und selbstbestimmtes Leben beraten. Besonders bei der Antragstellung von Leistungen sind die Berater der EUTB ein wichtiger Ansprechpartner. VdK und Lebenshilfe begrüßen die Entfristung der EUTB naturgemäß. Durch die bislang bestehende Befristung werde der Aufbau von Beratungsstrukturen behindert, da Planungssicherheit fehlt, schreibt der VdK. Die Beratung bei einer EUTB ist kostenlos, in Rheinland-Pfalz gibt es 34 Beratungsstellen, etwa in Bad Kreuznach, Montabaur, Koblenz oder Bad Ems. Alle Standorte sind unter www.teilha beberatung.de zu finden. hoh

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