Goldgräberstimmung an der Saar

Von NICOLE MIEDING
Goldener Herbst an der Saar: Der monumentale Kanzemer Altenberg bildet das imposante Panorama zum nicht minder 
beeindruckenden Architektur-
ensemble des neu gegründeten Weinguts Cantzheim.
Goldener Herbst an der Saar: Der monumentale Kanzemer Altenberg bildet das imposante Panorama zum nicht minder 
beeindruckenden Architektur-
ensemble des neu gegründeten Weinguts Cantzheim. Foto: Nicole Mieding

Renaissance, Wiedergeburt, ist das Wort, das in Verbindung mit dem Weinbau an der Saar in jüngster Zeit häufig fällt. Am westlichsten Ende von Rheinland-Pfalz sind die Winzer im Aufbruch, vielerorts haben sie die Stunde Null ausgerufen.

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Ein barockes Gutshaus in bester Lage, aufwendig und mit viel Gespür saniert, im Rücken ragt die Steilwand des Kanzemer Altenbergs empor. Den belebenden Kontrast zu diesem Ensemble bildet ultramoderne Architektur: Ein nagelneues Gästehaus, unverfroren schlicht wie das Haus vom Nikolaus, in dessen strenge Fassade aus Stampfbeton Fenster wie Sehschlitze geschnitten sind. Als nette Willkommensgeste hat man dem Neuling einen grünen Rasenteppich ausgerollt. Wie viel hier investiert wurde, sagt Anna Reimann nicht, „das ist privat.“ Nur, dass sie Gut Cantzheim, im Juli eröffnet, zusammen mit ihrem Mann Stephan als offenes Haus führen will. „Die Tür zuzumachen, ist das falsche Signal“, findet die Neuwinzerin.

„Nach 14 Jahren als immer grinsende Verkaufsmadame war ich es leid und wollte selbst produzieren“, sagt die Oenologin und Gartenbauingenieurin über die Zeit, in der sie den Export des Moselweinguts Molitor, später das Marketing der Bischöflichen Weingüter in Trier leitete. Also hat sie sich umgeschaut und im arg zugerichteten Weingutsgebäude des ehemaligen Prämonstratenserklosters Wadgassen als Architekturliebhaberin eine Herausforderung gefunden. Nachbar ist Günther Jauch mit seinem Weingut von Othegraven. Der Fernsehmoderator hat es 2010 Reimanns Großtante abgekauft. „Wir sind ein totales Start-up“, betont sie, „setzen mit unseren fünf Hektar auf klein, aber fein.“ Den ersten Jahrgang 2016 hat sie im Keller eines befreundeten Winzers ausgebaut, „ein unspektakulärer Aussiedlerbetrieb aus den 1970er-Jahren“, wie sie beschreibt. Die Ausbeute: bescheidene 10.000 Flaschen. 2017 ist die Produktion aber schon doppelt so hoch. Mal sehen, wohin das noch führt.

Anna Reimann hat in Kanzem ein neues Weingut samt Gästehaus gegründet.

Nicole Mieding

Moselwinzer Markus Molitor investiert schon seit 17 Jahren in Lagen an der Saar und hat sich dort schon 40 Hektar zusammengekauft. Jetzt will er die Weinlagen rund um die ehemalige Staatsdomäne Serrig aus dem Dornröschenschlaf 
wecken.

Nicole Mieding

Roman Niewodniczanski, Erbe der Bitburger-Dynastie, hat sich an der Saar inzwischen als Rieslingbaron etabliert.

Nicole Mieding

Dorothée Heimes ist Quereinsteigerin. Vor 15 Monaten hat die ehemalige Sozialarbeiterin in Serrig mit ihrer Familie das Weingut Würtzberg (ehemals Dr. Siemens) übernommen.

Nicole Mieding

Zwar ist die Saar unter den Weinbauregionen ein Zwerg. Neuerdings wagt man hier aber wieder, groß zu denken, weil den Winzern im äußersten Westen von Rheinland-Pfalz der Klimawandel in die Hände spielt. Auf den Schiefersteilhängen im kühlen Seitental der Mosel (zu der die Saar weinbaurechtlich zählt) reifen die Trauben, überwiegend Riesling, besonders lang. Das ergibt fruchtig-schlanke, äußerst langlebige Weine von einer Qualität, die sich nicht nur schmecken, sondern auch an Zahlen ablesen lässt. Die Hälfte der Weingüter des VDP Mosel erzeugt an der Saar, wobei die nur ein Zehntel der Anbaufläche hat: 770 Hektar – momentan, denn sie wächst. Auch der teuerste Weißwein der Welt stammt von hier: Eine Flasche Scharzhofberger Trockenbeerenauslese von Egon Müller war Bietern auf der Trierer Weinauktion rund 14.500 Euro wert. Inklusive Steuern.

Diese beeindruckende Bilanz weckt selbst bei kühlen Rechnern Begehrlichkeiten. „An der Saar wird viel investiert“, weiß der Geschäftsführer der Mosel-Weinwerbung Ansgar Schmitz. Fünf neue Weingüter haben sich etabliert. „Neben den alteingesessenen Traditionsbetrieben gibt es eine junge, aufstrebende Liga, und auch Winzer von der Mosel produzieren hier“, sagt er. „Wo kriegt man denn heute noch ein Stück arrondierte Weinlage von dieser Qualität und mit dieser Geschichte?“, fragt Markus Molitor und lässt den Blick fasziniert über seine Neuanschaffung Schloss Serrig schweifen. Die ehemalige Staatsdomäne hat 1903 der preußische König gegründet, sie war einmal das größte deutsche Weingut. Seither ist viel passiert. Besser gesagt, zu wenig. Der letzte Besitzer hat sich damit begnügt, die Trauben aus 25 Hektar bester Lagen an eine Genossenschaft zu liefern. Molitor, Spitzenwinzer von der Mosel, wo er sagenhafte 70 Hektar bewirtschaftet, will künftig wieder in Serrig keltern – sobald Mannschaft und Technik dafür stehen. Erst mal hat er aber den überwiegenden Teil der Flächen gerodet und 100.000 neue Rebstöcke bestellt. Was all das kostet, behält er für sich. Trauben werden die neu angelegten Weinberge frühestens in drei Jahren tragen. Die wird Molitor wohl noch ins knapp 80 Kilometer entfernte Wehlen fahren.

Sein Freund Roman Niewodniczanski wird nicht müde zu betonen, dass die teuersten Weine einst nicht aus dem Bordeaux oder Burgund, sondern von der Saar kamen: „1907 kostete eine Flasche Ockfener Geisberg fast doppelt so viel wie eine Flasche Mouton-Rothschild.“ Da will der Ururenkel aus der Brauereidynastie Bitburger wieder hin. 1999 hat er das Weingut Van Volxem in Wiltingen mit knapp 9 Hektar gekauft und inzwischen auf 90 Hektar ausgebaut. Mit Markus Molitor hat er den lang brach gelegenen Geisberg in einem Seitental der Saar gerodet und zur Wiederbelebung der 13 Hektar historischer Grand-Cru-Lagen „versehentlich ein paar Tausend Bäume umgelegt“, wie er sagt. Das brachte die Umweltbehörde auf den Plan, als Wiedergutmachung will Niewodniczanski nun den Wiltinger Saarbogen rekultivieren.

Sein ehrgeizigstes Projekt ist aber die neue Kellerei: Van Volxems komplette Produktion (rund 400.000 Flaschen) wird aus dem Ort in den Weinberg zwischen Wiltingen und Biebelhausen verlegt: eine „Weinmanufaktur“, deren Hauptbau, ein gigantischer Turm aus Beton, wie ein Bergfried auf dem Schlossberg thront. „Das ist gar nicht so groß, wie's aussieht“, versucht Niewodniczanski, die monumentale Wirkung kleinzureden. Die Zahl der Quadratmeter will er nicht nennen, das „Handelsblatt“ hat 6800 recherchiert. Größe ist für den Zweimetermann aber ohnehin relativ. „Moët &  Chandon, Frankreichs größter Champagnerproduzent, produziert 62 Millionen Flaschen. Dagegen ist Van Volxem ein Zwerg“, sagt Niewodniczanski, als er im Rohbau steht und durch die noch glaslosen, knapp neun Meter breiten Fenster das imposante Weinbergpanorama unter seinen Füßen sieht. „Meine Vorfahren waren sparsame, fleißige Waldarbeiter – die Banken leihen mir Geld. Ich hab die Chance, etwas zu schaffen, das die Logistik des Weinguts absichert, der Region ein Stück Heimat und einen Blick in die Zukunft gibt“, schildert er seine Sicht. „Als ich nach Wiltingen kam, lag die Hälfte der Rebflächen brach, heute sind hier kaum noch Brachen zu finden.“ Für den gelernten Wirtschaftsgeografen ist das nicht das Ende: „An der Saar liegen noch 200 Hektar unter Büschen versteckt, die man neu bestocken könnte.“

NICOLE MIEDING