Fremdsprachen einmal anders – Erste Stunde: Géo

„Gestatten, wir sind die Bilis!“ (von links) Franziska, Sina, Lucile, Marie und Nuria gehören zu den Schülerinnen am Andernacher Bertha-von-Suttner-Gymnasium, die bilingualen Unterricht haben. Konkret heißt das: Die Fächer Geschichte und Erdkunde werden auf Französisch unterrichtet – von Katharina Kaever. Bilinguale Schulen sind immer mehr im Kommen.
„Gestatten, wir sind die Bilis!“ (von links) Franziska, Sina, Lucile, Marie und Nuria gehören zu den Schülerinnen am Andernacher Bertha-von-Suttner-Gymnasium, die bilingualen Unterricht haben. Konkret heißt das: Die Fächer Geschichte und Erdkunde werden auf Französisch unterrichtet – von Katharina Kaever. Bilinguale Schulen sind immer mehr im Kommen. Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Ein Drittel der rheinland-pfälzischen Gymnasien hat einen bilingualen Zweig. Sprachtalentierte Schüler werden nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Französisch oder Englisch unterrichtet. Zum Beispiel in Andernach, wo Schüler Géo und Histoire haben.

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Von unserem Journalchef Michael Defrancesco

Normalerweise sagen Zehntklässler zueinander: „Los, beeil dich, wir kommen zu spät zu Erdkäse.“ Auch wenn Erdkundelehrer diese Abkürzung wohl eher ungern hören – sie hält sich seit Jahr und Tag an den weiterführenden Schulen des Landes. Erdkäse. Wie elegant klingt das hingegen, wenn Marie Brockers (15) ihre Freundin Nuria Schröder (16) anstupst: „Komm, wir müssen zu Géo.“

Géo – diese Abkürzung, französisch wie Scheo ausgesprochen, zeigt schon, was am Andernacher Bertha-von-Suttner-Gymnasium anders als anderswo ist: Die anwesenden jungen Damen werden in Erdkunde auf Französisch unterrichtet. Und in Geschichte auch, also in Histoire.

„Wir waren 1991 eine der ersten Schulen im nördlichen Rheinland-Pfalz, die einen bilingualen Zweig eingeführt haben“, sagt Katharina Kaever. Sie ist die Lehrerin von Marie und Nuria und all den anderen Bilis (wie die Bilingualen liebevoll genannt werden) – eine von fünf an der Schule -, und sie war selbst bilinguale Schülerin in Andernach.

Die Mädchen kommen in den Klassenraum, setzen sich, schlagen die Bücher auf. Begrüßt werden sie mit „Bonjour“, und danach entspinnt sich ein französisches Feuerwerk, das einen Nichtfranzosen verschrecken würde. Gleichzeitig steigt die Achtung vor den Schülerinnen – denn die halten mit und fangen munter an, mit ihrer Lehrerin zu diskutieren.

„Ich spreche im Geschichtsunterricht nur Französisch“, sagt Katharina Kaever. „Aber wer von den Schülern sich nicht äußern kann, der darf auch ruhig auf Deutsch antworten.“ Es gibt schließlich keine Note aufs korrekte Französisch, sondern auf das Geschichts- und Erdkundewissen. „Aber das ist echt die Ausnahme, dass wir Deutsch reden“, sagt Franziska Kirchem lachend, „das kratzt doch ziemlich an unserer Ehre.“

Wer Interesse am bilingualen Zweig hat, der beginnt in der fünften Klasse mit Französisch als erster Fremdsprache. Und die Schule geht gleich in die Vollen: fünf Stunden plus eine Stunde bei einer Muttersprachlerin werden unterrichtet. Das hat zur Folge, dass die Schüler sehr schnell mit der doch nicht ganz leichten Sprache vertraut gemacht werden. Am Ende der sechsten Klasse empfiehlt die Schule den Eltern dann ihr Kind für den bilingualen Zweig – oder auch nicht. Ab der siebten Klasse geht es dann los: Weiterhin werden vier Stunden Französisch in der Woche unterrichtet, dazu kommen eine Stunde Erdkunde und eine Stunde Geschichte auf Französisch. Ergibt sechs Stunden pro Woche, in denen nur Französisch gesprochen wird. Wer dies bis zum Abitur durchzieht, der hat die Möglichkeit, in Andernach sowie in fünf weiteren Gymnasien des Landes das Abi-Bac zu machen – also parallel zum deutschen Abitur auch das französische Baccalauréat. Dazu schickt das französische Bildungsministerium einen Prüfungsbeauftragten ans Gymnasium, der nicht nur die schriftlichen Abiturarbeiten einsieht und benotet, sondern der auch eine mündliche Prüfung auf Französisch abnimmt. „Dabei achtet der Inspecteur ganz besonders auf die Coolness der Schüler“, sagt Katharina Kaever. „Es geht ihm darum, dass die Schüler reagieren und interagieren können.“

An 13 Gymnasien – darunter in Andernach – mit bilingualen Zügen kann ergänzend zum Abschlusszeugnis der Allgemeinen Hochschulreife das „CertiLingua“-Exzellenzlabel für mehrsprachige, europäische und internationale Kompetenzen erworben werden. Es dokumentiert die Fähigkeit der Absolventen, neben der Mutter- bzw. Erstsprache in zwei und gegebenenfalls weiteren Sprachen schriftlich und mündlich auf dem Kompetenzniveau B2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen in besonderem Maße international handlungsfähig zu sein.

„Bilinguale Unterrichtsangebote sind in Rheinland-Pfalz weit verbreitet und arbeiten sehr erfolgreich“, heißt es aus dem Mainzer Bildungsministerium. „Der Fachunterricht in einer Fremdsprache wirkt für viele – vor allem für an Fremdsprachen interessierte – Schüler sehr motivierend und trägt dazu bei, die Sprachkompetenz auf hohem Niveau weiterzuentwickeln. So gesehen, ist das bilinguale Unterrichtsangebot ein wichtiger ergänzender Baustein im Fremdsprachenunterricht und in der Begabtenförderung.“

„Wir machen das tatsächlich alles freiwillig“, sagt Sina Foehrmann, und ihre Klassenkameradinnen nicken zustimmend. „Auch wenn wir einmal mehr Nachmittagsunterricht haben als die anderen.“ Für den Unterricht werden die gleichen Bücher benutzt, die auch in Frankreich in den jeweiligen Fächern und Altersstufen gebraucht werden. „Das ist manchmal ganz schön schwierig, vor allen Dingen bei politischen Texten“, sagt Marie. „Da verstehen wir manches nicht, weil die Schulbücher ja für Franzosen gemacht worden sind“, ergänzt Nuria.

Als Lehrbücher werden original französische Lehrbücher verwendet – und teilweise für den deutschen Lehrplan ergänzt.
Als Lehrbücher werden original französische Lehrbücher verwendet – und teilweise für den deutschen Lehrplan ergänzt.
Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Was hilft: Die französischen Lehrbücher sind wesentlich bildlastiger als ihre deutschen Pendants. „Da können wir uns wieder sehr viel aus den Bildern heraus erschließen“, erzählt Marie. Was Lehrern wie Schülern rasch auffällt: Der französische Lehrplan ist in vielen Bereichen ganz anders als in Deutschland. „In Géo wird der Fokus beispielsweise intensiv auf die ehemaligen französischen Kolonien gelegt“, sagt die Lehrerin. Afrika, Indien – diese Regionen der Welt finden sich im deutschen Erdkundeunterricht eher selten und bei Weitem nicht so ausführlich. „Und in Histoire wird der Erste Weltkrieg sehr viel ausführlicher behandelt als der Zweite Weltkrieg, weil er für die Franzosen bis heute eine viel größere Bedeutung hat.“ Die Weimarer Republik findet hingegen überhaupt nicht statt. Für die Lehrer bedeutet das, dass sie auswählen müssen und teilweise Stoffe aus dem deutschen Lehrbuch übersetzen, damit die Bilis nicht mit ihrem in Deutschland geforderten Wissen ins Hintertreffen geraten.

Ausgebildet dafür sind die Lehrer. „Ich habe in Mainz und Dijon studiert und diverse Seminare für den bilingualen Unterricht gehabt“, sagt Katharina Kaever. Teils mit französischen Lehramtsanwärtern zusammen.

Die Schüler bereuen die zusätzliche Arbeit nicht. Meistens zumindest ... „Ich möchte auf jeden Fall was mit Sprachen studieren“, sagt Marie. Die Türen in Europa stehen ihr dafür offen – mit dem Abi-Bac kann sie sofort an jeder französischen Universität studieren. Und das Englisch wird dabei nicht vernachlässigt. „Die Bilis sind sprachenbegabt und in Englisch deshalb nicht schlechter“, hat Katharina Kaever beobachtet. Und was ist mit der dritten Fremdsprache? „Och, ich bin eh so oft in der Schule, da habe ich auch noch Latein gewählt“, sagt Nuria Schröder und grinst. „Das ist schon okay.“

Dank diverser Schulpartnerschaften erleben die Schüler Frankreich auch hautnah. „Im Februar gehe ich für drei Monate nach Paris in die Schule“, erzählt Marie, gerade jetzt ist die junge Pariserin Lucile Daull als Austauschschülerin bei ihr zu Hause.

Ob sich die Bilingualen an ihrer Schule manchmal wie die Exoten fühlen? Die Mädchen schauen sich an und müssen lachen. „Wir sind keine Exoten. Wir sind die Bilis!“

Wissenswertes:

Aktuell gibt es 21 bilinguale Grundschulen landesweit (12 mit Französisch und 9 mit Englisch als zweiter Unterrichtssprache). In den zweisprachigen Klassen sind in der Regel jeweils deutsche Lehrkräfte und Lehrkräfte mit der Muttersprache Englisch oder Französisch beziehungsweise mit dem studierten Fach Englisch oder Französisch als Tandems eingesetzt. Von den 151 Gymnasien in Rheinland-Pfalz haben 48 bilinguale Züge (also knapp ein Drittel), 34 deutsch-englischen Zug und 14 deutsch-französischen Zug. Davon bieten 6 Gymnasien zusätzlich die Möglichkeit an, neben dem Abitur das Baccalauréat zu erwerben. Bilingual unterrichten fünf Realschulen plus und eine integrierte Gesamtschule sowie elf berufliche Gymnasien (dort wurde in einem Schulversuch der bilinguale Unterricht in den Fächern Betriebswirtschaftslehre, Bau- und Metalltechnik angeboten, der Schulversuch wird nach seinem Abschluss jetzt zum Regelangebot).

Die Initiative für bilinguale Angebote geht immer von den Schulen aus. Dabei müssen das Kollegium, die Schulelternvertretung, die Schulaufsicht und der Schulträger eingebunden werden. Unterstützt werden bilinguale Angebote vom Land durch Zuweisung zusätzlicher Lehrerwochenstunden.