Mainz

Eroi mit ihm: Deutsch-Türke steht in der Mainzer Fastnacht auf der Bühne

Ist die fünfte Jahreszeit vorbei, widmet sich Ercan Demirel seiner Karriere als Musiker und Produzent. Ende des Jahres soll sein erstes deutsches Album erscheinen.
Ist die fünfte Jahreszeit vorbei, widmet sich Ercan Demirel seiner Karriere als Musiker und Produzent. Ende des Jahres soll sein erstes deutsches Album erscheinen. Foto: Kirschstein

Ercan Demirel ist Deutsch-Türke, Popstar in der Türkei – und steht in der Mainzer Fastnacht auf der Bühne. „Wolle mer ihn eroilosse?“ – diese berühmte Frage des Sitzungspräsidenten haben die Mainzer Narren
 längst beantwortet.

Lesezeit: 6 Minuten
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Von Gisela Kirschstein

„Ercan, du musst auf die Bühne, die Hofsänger sind noch nicht da!“ Wir sind hinter der Bühne des Gonsenheimer Carnevals Vereins (GCV), draußen tobt die „Stehung“, die Fastnachts-Rock-Pop-Party von Mainz. Der junge Mann schnappt sich seinen Hut und verschwindet Richtung Bühne, kurz darauf rockt er den Saal. „Ercan Demirel“ – sie feiern ihn mit Sprechchören. Wie einen Popstar. Was er auch ist – in der Türkei.

Ercan ist der erste Deutsch-Türke in der Mainzer Fastnacht. Seit 2011 steht er bereits auf der närrischen Rostra, wie sie das hier nennen, und singt. „Labersack und Labbeduddel, Kubberdutt und Kuddelmuddel“ – es ist tiefstes Meenzerisch, was Demirel da schmettert, und es ist ein Lied über die Integration. Im Kindergarten nämlich lernte der Sohn türkischer Einwanderer echtes Meenzerisch – und die Fastnacht kennen.

Als Kind ging Ercan oft als Pirat, das passte gut zu seinen schwarzen Haaren. Sein Vater kam aus Südostanatolien, der Großvater war der erste der Familie, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam. In Mainz-Kastel wuchs Ercan auf, die Eltern betrieben eine Reinigung. Ercan machte Fachabitur in Informatik, studierte kurz Fernsehtechnik – doch seine Liebe gehörte immer der Musik.

„Ich will euch jetzt Bauchtanzen sehen!“, ruft Demirel in den aufgeheizten Saal, und die Menge der jungen Leute johlt. Türkische Popklänge schallen aus dem Lautsprecher, Ercan schmettert eines der bekanntesten türkischen Lieder überhaupt. Auf türkischen Hochzeiten machten Ercan und sein Bruder Musik, jahrelang, bis der Bruder – ein Gefäßchirurg – der Arbeit den Vorrang gab.

Ercan begann, seine eigenen Lieder zu produzieren. „Ich habe immer gern improvisiert“, sagt er. Gitarre, Bass, Schlagzeug, schließlich das Keyboard – als Autodidakt brachte er sich die Musik bei. Seine Lieder stellte er auf YouTube, einfach aus Spaß. Dann, eines Sommers, kam Ercan nach zwei Wochen aus dem Urlaub – und eines seiner türkischen Lieder war auf 4000 Klicks hochgeschnellt. „Elveda Deme Bana“ hieß der Song, „Verabschiede Dich nicht“ – es war der Anfang einer typischen YouTube-Karriere. Die Jugendlichen in der Türkei hatten den jungen Deutsch-Türken und seine Musik entdeckt.

„Als ich in die Türkei kam, stellte ich fest, dass die Radiosender meine Lieder schon spielten, obwohl sie mich gar nicht kannten“, erzählt Demirel, „das war aus dem Internet rübergeschwappt.“ 2007 war das, 2009 stieg Demirels erstes türkisches Album in den Charts ganz weit oben ein. „Ich hatte schon einen ziemlichen Hype“, sagt er, bis heute spielen sie seine Songs im Radio. Dabei kennt Demirel die Heimat seiner Eltern nur vom Urlaub. „Ich bin Mainzer“, sagt Ercan, und natürlich feiere er auch Fastnacht, „wie die anderen auch.“ Es gebe da eben nur den kleinen Unterschied, dass seine Wurzeln eben auch in der Türkei lägen. Auch, das kleine Wörtchen ist Demirel wichtig. Denn die Fastnacht, sie ist auch ein Teil von ihm geworden. 2011 holte ihn ein befreundeter Mainzer zum ersten Mal auf die Fastnachtsbühne, bei den Mombacher Bohnebeiteln war das, und Ercan drehte sehr nervös seine Gitarre vor dem ersten Auftritt. „Da sitzt schon ein anderes Publikum“, sagt er, das sei schon schwerer als in der Popwelt. „Der Inhalt ist wichtig“, weiß er, und die Leute seien aufmerksamer gewesen. „Das war ja was Neues, das mit mir“, sagt Ercan, und grinst: „Klar, war ich der Quoten-Türke.“

Ercan Demirel punktet als Künstler in höchst unterschiedlichen Genres: Daheim in Mainz tritt er als Fassenachter auf – in der Türkei ist er ein Popstar. Ein <br />„Vorzeigetürke“ will Demirel aber nicht sein.
Ercan Demirel punktet als Künstler in höchst unterschiedlichen Genres: Daheim in Mainz tritt er als Fassenachter auf – in der Türkei ist er ein Popstar. Ein
„Vorzeigetürke“ will Demirel aber nicht sein.
Foto: Kirschstein

Erhard Grom, ein Urfastnachter vom GCV, schrieb Ercans erste Lieder, auch das mit dem „Labersack und dem Labbeduddel“, einem Mainzer Wort für Döskopp. Grom holte den Sänger auch in der nächsten Kampagne zum GCV, seither tritt Demirel hier auch bei den regulären Sitzungen auf, mit Riesenerfolg. „Er passt zu uns, weil er ein toller Typ ist, ein Fastnachter, einer von uns“, sagt Hans-Peter Betz, langjähriger Sitzungspräsident von „Mainz bleibt Mainz“ und als „Guddi Gutenberg“ einer der Stars der Mainzer Fastnacht.

Beim GCV, Betz' Heimatverein, reden sie nicht nur von Nachwuchsförderung, sie betreiben sie auch. Zwei Drittel der Akteure auf der Bühne sind unter 40 Jahre alt, ebenso der Sitzungspräsident Sebastian Grom, Sohn des Urfastnachters Erhard. Der Vater steht selbst noch als Pirat in der Bütt, oder als Hundehalter wie in diesem Jahr, und verzückt den Saal mit seinen traditionell gereimten Vorträgen. Hier beim GCV schaffen sie den Spagat aus alten Fastnachtshelden und experimentierfreudigem Nachwuchs mühelos. Neuen Redner eine Chance geben, das gehört hier eben auch dazu – oder eben auch neuen Sängern wie Demirel. „Wir schmücken uns nicht mit ihm“, sagt Betz ganz sachlich, „er ist bei uns nicht der Vorzeigetürke.“ Viel wichtiger sei, dass Ercan beim Singen „jeden Ton trifft“, sagt Betz trocken, „das tun andere nicht unbedingt“.

„Ich wollte dir nur mal eben sagen“, grölt der Saal, Demirel rockt das Auditorium mit einem deutschen Popsong. „Die Fastnacht war schon auch ein Trigger, das hat meine deutsche Musik angeschubst“, erzählt Ercan hinter der Bühne. 2011 nahm ihn die Deutsche Popakademie in Mannheim an, gerade hat Demirel seine Bachelor-Arbeit abgegeben – es ist sein drittes türkisches Album.

Doch als nächstes soll die Reise Richtung deutsche Popmusik gehen, das erste deutsche Album Ende des Jahres erscheinen. „Ich freue mich riesig, das war immer ein Traum von mir“, sagt Ercan mit leuchtenden Augen. Black Music mit deutschen Texten soll es werden, mit einem Hauch von Urbanität, die Texte sind in Zusammenarbeit mit anderen Komponisten entstanden.

In der Türkei sei er ja auch „nicht mehr der Allerjüngste“, sagt der 31-Jährige grinsend – als Teenieschwarm wird Ercan langsam zu alt. Seine türkischen Wurzeln werde er nie vergessen, die türkische Popmusik immer ein Teil von ihm sein, sagt er. „Aber zu Hause bin ich hier, Mainz ist meine Heimat“, betont er.

Auf der Bühne, in der GCV-Sitzung, greift Demirel in dieser Kampagne bei seinem Auftritt zur Gitarre und singt: „Wir teilen unser Glück mit euch, denn wir haben ein Mainzer Herz.“ Es ist eine Hymne an die Flüchtlinge und an diejenigen, die ihnen ganz selbstverständlich helfen. In Mainz sind das viele, die Willkommenskultur ist groß in der Stadt am Rhein. Doch auch Demirel spürt, dass die Stimmung zu kippen droht, und so singt er nun: „Wenn wir doch alle menschlich wär'n, wir würden doch gar nichts hier entbehr'n, drum lasst uns alle Mainzer sein!“

Warum singt er einen solchen Song? „Wer, wenn nicht ich?“, kontert Demirel. Als Künstler habe er die Möglichkeit, so viele Menschen zu erreichen, „und wenn ich nur Halligalli mache, warum mache ich dann Musik?“ Jeder, wirklich jeder sei doch mal in Not gewesen, sagt Demirel, „auch wir hier in Mainz“. Miterlebt habe er die Nachkriegszeit natürlich nicht, doch auch ihm hat sich die kollektive Erinnerung an die Zeit mit dem in Trümmern liegenden Mainz mitgeteilt, damals, als sich das „Heile, heile Gänsje“ tief in die Mainzer Seele fraß. „Ich weiß, dass es die Mainzer nicht leicht hatten nach dem Krieg“, sagt Demirel, „wenn wir nicht wissen, was Not heißt, wer dann?“

Das „Wir“, es kommt ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. Ein wohltuendes Beispiel sei Ercan in diesen Zeiten der allgemeinen Hysterie, sagt Betz, ein Beispiel dafür, dass Integration auch anders sein könne, „wenn man sich nur öffnet und tolerant ist“. Und dabei, sagt Betz, „war es für uns nicht ganz einfach – Fleischwurst isst er ja nicht“. Spricht's, grinst, und wirft einen Blick auf das Mainzer Nationalgericht „Weck, Worscht und Woi“. Nur eine Bühne konnte Ercan auch dieses Jahr nicht entern – es ist wieder nichts geworden mit „Mainz bleibt Mainz“. Schade, findet Demirel. „Das Thema Integration beschäftigt uns seit Jahren“, sagt er, „da würde man so einer Sendung nicht mit schaden.“ Ein positives Zeichen setzen, ein Signal gegen die negative Stimmung, das wäre Demirel wichtig: „Das muss ja nicht ich sein, aber es sollte irgendjemand mal so etwas tun.“

Doch die ZDF-Verantwortlichen wollten nicht, Musik sei eher ein Wegzapp-Faktor, hieß es ausweichend. Ercan zuckt mit den Schultern, er selbst will unbedingt weiter Fastnacht machen, dann eben beim GCV, wo er willkommen ist. „Dass jemand mit fremden Wurzeln etwas Urdeutsches macht“, sagt er, „das kommt gar nicht übel an.“

„Mainzer Herz“

Es ist ein Plädoyer für Weltoffenheit, für die Integration: das Lied „Mainzer Herz“. Ercan Demirel singt es in der Fastnachtskampagne 2016. Der Text stammt von Erhard Grom, die Musik von Demirel: „In unserer schönen Stadt bleibst du nie lang allein, ein Fremder ist nie lange fremd in unserem schönen Mainz. Wir öffnen unsere Tür und reichen unsere Hand. Wer zu uns kommt, der fühlt sich wohl in unserem schönen Land. Und wer da meint, das Haus ist voll und keiner darf mehr rein, der kann bestimmt im Herzen kein echter Mainzer sein. (...) Heute helfen wir und zeigen gern den Menschen in ihrem Schmerz: ,Wir teilen unser Glück mit euch, denn wir haben ein Mainzer Herz’. Wenn wir doch alle menschlich wären, es wäre zu schön, um wahr zu sein. (...) Drum lasst uns nicht nur am Rhein, lasst uns alle Mainzer sein, lasst uns echte Mainzer sein.“