Rheinland-Pfalz

Eine Region stand für ihr Oberlandesgericht in Koblenz auf

Volkeswille hat Gewicht: Ministerpräsident Kurt Beck erreichten  stapelweise Unterschriften. An die 70.000 forderten eine bürgernahe  Justiz.
Volkeswille hat Gewicht: Ministerpräsident Kurt Beck erreichten stapelweise Unterschriften. An die 70.000 forderten eine bürgernahe Justiz. Foto: DPA

Es war der 28. April 2011, als der sich noch gegen das Amt des Justizministers wehrende SPD-Fraktionschef Jochen Hartloff am Rande der rot-grünen Koalitionsverhandlungen, irgendwie nebenbei, die Auflösung des Oberlandesgerichts Koblenz (OLG) samt der Generalstaatsanwaltschaft verkündete.

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Rheinland-Pfalz – Es war der 28. April 2011, als der sich noch gegen das Amt des Justizministers wehrende SPD-Fraktionschef Jochen Hartloff am Rande der rot-grünen Koalitionsverhandlungen, irgendwie nebenbei, die Auflösung des Oberlandesgerichts Koblenz (OLG) samt der Generalstaatsanwaltschaft verkündete.

Künftig gebe es im Land nur noch ein OLG – aber nicht in dem für zwei Drittel der Rheinland-Pfälzer an allen Verkehrsadern gelegenen Koblenz, sondern im weit entfernten und schwer erreichbaren Zweibrücken.

Der Justiz verschlug es die Sprache – aber nur kurz. Schon am nächsten Morgen hing ein Betttuch mit Protest am OLG, dessen ehrwürdiger Bau mit immer mehr „Hände weg“-Plakaten zugehängt wurde. Da Hartloff keine tragfähigen Gründe nannte, lag schnell auf der Hand: „Das ist Rache“ – Rache für die Schmach, dass der von Justizminister Heinz Georg Bamberger mit allen Tricks und verfassungswidrig am Oberlandesgericht Koblenz installierte Präsident Ralf Bartz den Chefposten hatte räumen müssen. Denn das Bundesverfassungs- und in letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht hatten dem Konkurrenten, dem Koblenzer Landgerichtspräsidenten Hans-Josef Graefen, recht gegeben und seine Argumentation voll gestützt. Der Racheakt, außerhalb des offiziellen Protokolls auch zugegeben, brachte nicht nur die Juristen im Norden des Landes auf die Palme. OLG-Richterratsvorsitzender Peter Itzel und der Koblenzer Anwaltsverein, aber auch alle Kammern und Unternehmen waren aus dem Stand ungewöhnlich kampagnefähig – noch bevor sich der Verein Pro Justiz Rheinland gründete. Juristen protestierten bei den Koalitionsparteitagen am 7. Mai. Der frühere Koblenzer Oberbürgermeister Eberhard Schulte-Wissermann (SPD), eher als personifizierte Besonnenheit bekannt, sprach beim SPD-Parteitag empört von einem Skandal. Christian Altmaier, Koblenzer SPD-Vize, brach gar ein Tabu und forderte den Rücktritt von SPD-Chef Kurt Beck.

Dass Beck und Hartloff die Brisanz des Themas komplett unterschätzt hatten, musste ihnen am 13. Mai dämmern: An die 3000 Juristen, Vertreter von Kammern, Unternehmen und Kommunen sowie viele Bürger gingen laut pfeifend auf die Straße, auch vom Koblenzer Oberbürgermeister Joachim Hofmann-Göttig (SPD) angeführt. Alle kämpften bei der großen Kundgebung für eine bürgernahe Justiz. Hartloff, der schon vor dem Amtsantritt am 18. Mai im Chaos gelandet war, schaute zu und ging nicht ans Mikrofon. Was sollte er auch sagen: Die Mär von sinkenden Fallzahlen war schon widerlegt, die des großen Sparens auch.

Mit der Justiz im Norden solidarisierten sich immer mehr Kommunen (auch SPD-Oberbürgermeister und SPD-Landräte) – sowie auch bundesweite Initiativen mit dem am 8. Juni gegründeten Verein Pro Justiz Rheinland, der in den nächsten Monaten rund 70 000 Unterschriften sammelte. Metzgereien, Bäckereien und auch der Handel legten Unterschriftenlisten aus, sogar Pfarrer in der Sakristei. Als Hartloff am 23. Juni schließlich zum OLG reiste, fehlten ihm immer noch Argumente. Er galt in der hitzigen Runde schlicht als „Minister Ahnungslos“, zumal er die Ausschreibung für die OLG-Chefstelle stoppte. Keine Eiszeit herrschte am 29. Juli beim Besuch von Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler, der auch eine „bürgernahe Justiz“ will und „keine Reform um der Reform willen“. Als immer mehr überregionale Zeitungen hämisch über den Aufstand in „König Kurts“ Reich berichteten, die alte Kluft zwischen Rheinländern und Pfälzern aufbrach und ein Bürgerbegehren drohte, zogen hinter den Kulissen SPD-Fraktionschef Hendrik Hering und Generalsekretär Alexander Schweitzer die Reißleine. Beck und Hartloff installierten am 9. August die schlichtende Kommission unter dem Vorsitz des Speyerer Professors Hermann Hill (CDU). Die Bekanntgabe mussten die bangenden Betroffenen über einen Liveticker unserer Zeitung verfolgen.

Die Kommission mit Sachverständigen aus mehreren Bundesländern besuchte die OLGs in Koblenz und Zweibrücken sowie auch die Generalstaatsanwaltschaften und ebenso das Mainzer Verwaltungsgericht, das auch vom Aus bedroht war. Diesen Vorschlag hat auch der scheidende Präsident des Oberverwaltungsgerichts in Koblenz, Karl-Friedrich Meyer, stark unterstützt. Der Landesvereinigung der Verwaltungsrichter und der Hauptpersonalrat allerdings schlugen vor, Personal an allen Verwaltungsgerichten einzusparen und so das Mainzer Gericht zu retten. Als am 21. November nach gut fünfjährigem Streit und mehr als ein emJahr nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Hans-Josef Graefen zum Präsidenten des OLG ernannt wurde, atmeten am OLG alle auf: Dieses Signal gab Mitarbeitern eine gewisse Sicherheit zurück, zumal auch der Chefposten bei der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken wieder besetzt wurde.

Am 27. März grübeln Justizwachtmeister morgens immer noch verunsichert, als sie den Terrorprozess im streng abgesicherten OLG bewachen. Elf Monate der Ungewissheit und Hilflosigkeit haben Spuren hinterlassen. „Was wird wohl?“ Nachmittags genießen dann alle bei der Personalversammlung das riesengroße große, aber auch erschöpfte Aufatmen.

Ursula Samary